Ihre regelrecht befruchteten Eier wachsen zur Finne aus.
Aus der Finne knospet der Kopfbandwurm.
Aus dem Kopfbandwurm aber knospen wieder die zwei¬ geschlechtigen Kettenjungen.
Denke dir's menschlich. Du zeugst mit deiner Frau regel¬ recht einen Jungen. Er legt sich zuerst ganz menschlich an, wie er aber groß wird, siehst du, daß er ganz wunderlich ver¬ schieden von dir aussieht und auch ganz anders leben will als du. Du schaust ihm noch kopfschüttelnd zu, da wächst ihm aus der Nase ein neuer Junge, ihm selbst wiederum ganz unähnlich, dagegen dir etwas ähnlicher, wenn schon gewiß nicht gleich. Du folgst dem Enkel mit neuem Interesse: da wächst ihm aus der Schulter schon wieder ein dritter Junge, der jetzt endlich dir zum Verwechseln gleich ist, auch ganz wie du sich ein Weib sucht und statt der bedenklichen Nasen- und Schulterproduktion wieder den altbewährten Liebespfad, den du selbst gewandelt bist, einschlägt.
Du merkst die Ähnlichkeit mit der Geschichte der Meduse. Aber der Hergang ist diesmal doch noch verwickelter. Der Zoologe hat ein Wort finden müssen, um in das Wirrsal Licht zu bringen. Er hat eingesehen -- und dir selbst, wenn dir's so passierte, ginge es nicht anders, daß die alte kurze Reihenfolge: Vater -- Sohn -- Enkel -- Urenkel u. s. w., hier nicht genügt. In unserem Bilde hieß es etwa: Vater -- unähnlicher Sohn -- Nasenjunge -- Schulterjunge = ähnlicher Sohn. Der Zoologe setzt beim Bandwurm das Wort "Amme" ein. Er zählt: echter Bandwurmvater (das Kettenglied im Menschendarm) -- Großamme (die Finne) -- Amme (der Kopf¬ bandwurm im Menschendarm) -- echtes Bandwurmkind (das aus dem Kopfbandwurm geknospete neue Kettenjunge).
Du siehst: dieser Liebesroman ist niemals in derselben Generation damit zum guten Ende zu bringen, daß sie "sich kriegen". Er muß, um dahin zu kommen, notwendig erst über mehrere Generationen fortspielen, und, so wahnsinnig es klingt:
Ihre regelrecht befruchteten Eier wachſen zur Finne aus.
Aus der Finne knoſpet der Kopfbandwurm.
Aus dem Kopfbandwurm aber knoſpen wieder die zwei¬ geſchlechtigen Kettenjungen.
Denke dir's menſchlich. Du zeugſt mit deiner Frau regel¬ recht einen Jungen. Er legt ſich zuerſt ganz menſchlich an, wie er aber groß wird, ſiehſt du, daß er ganz wunderlich ver¬ ſchieden von dir ausſieht und auch ganz anders leben will als du. Du ſchauſt ihm noch kopfſchüttelnd zu, da wächſt ihm aus der Naſe ein neuer Junge, ihm ſelbſt wiederum ganz unähnlich, dagegen dir etwas ähnlicher, wenn ſchon gewiß nicht gleich. Du folgſt dem Enkel mit neuem Intereſſe: da wächſt ihm aus der Schulter ſchon wieder ein dritter Junge, der jetzt endlich dir zum Verwechſeln gleich iſt, auch ganz wie du ſich ein Weib ſucht und ſtatt der bedenklichen Naſen- und Schulterproduktion wieder den altbewährten Liebespfad, den du ſelbſt gewandelt biſt, einſchlägt.
Du merkſt die Ähnlichkeit mit der Geſchichte der Meduſe. Aber der Hergang iſt diesmal doch noch verwickelter. Der Zoologe hat ein Wort finden müſſen, um in das Wirrſal Licht zu bringen. Er hat eingeſehen — und dir ſelbſt, wenn dir's ſo paſſierte, ginge es nicht anders, daß die alte kurze Reihenfolge: Vater — Sohn — Enkel — Urenkel u. ſ. w., hier nicht genügt. In unſerem Bilde hieß es etwa: Vater — unähnlicher Sohn — Naſenjunge — Schulterjunge = ähnlicher Sohn. Der Zoologe ſetzt beim Bandwurm das Wort „Amme“ ein. Er zählt: echter Bandwurmvater (das Kettenglied im Menſchendarm) — Großamme (die Finne) — Amme (der Kopf¬ bandwurm im Menſchendarm) — echtes Bandwurmkind (das aus dem Kopfbandwurm geknoſpete neue Kettenjunge).
Du ſiehſt: dieſer Liebesroman iſt niemals in derſelben Generation damit zum guten Ende zu bringen, daß ſie „ſich kriegen“. Er muß, um dahin zu kommen, notwendig erſt über mehrere Generationen fortſpielen, und, ſo wahnſinnig es klingt:
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Ihre regelrecht befruchteten Eier wachſen zur Finne aus.
Aus der Finne knoſpet der Kopfbandwurm.
Aus dem Kopfbandwurm aber knoſpen wieder die zwei¬
geſchlechtigen Kettenjungen.
Denke dir's menſchlich. Du zeugſt mit deiner Frau regel¬
recht einen Jungen. Er legt ſich zuerſt ganz menſchlich an,
wie er aber groß wird, ſiehſt du, daß er ganz wunderlich ver¬
ſchieden von dir ausſieht und auch ganz anders leben will als
du. Du ſchauſt ihm noch kopfſchüttelnd zu, da wächſt ihm aus
der Naſe ein neuer Junge, ihm ſelbſt wiederum ganz unähnlich,
dagegen dir etwas ähnlicher, wenn ſchon gewiß nicht gleich.
Du folgſt dem Enkel mit neuem Intereſſe: da wächſt ihm aus
der Schulter ſchon wieder ein dritter Junge, der jetzt endlich
dir zum Verwechſeln gleich iſt, auch ganz wie du ſich ein Weib
ſucht und ſtatt der bedenklichen Naſen- und Schulterproduktion
wieder den altbewährten Liebespfad, den du ſelbſt gewandelt
biſt, einſchlägt.
Du merkſt die Ähnlichkeit mit der Geſchichte der Meduſe.
Aber der Hergang iſt diesmal doch noch verwickelter. Der
Zoologe hat ein Wort finden müſſen, um in das Wirrſal
Licht zu bringen. Er hat eingeſehen — und dir ſelbſt, wenn
dir's ſo paſſierte, ginge es nicht anders, daß die alte kurze
Reihenfolge: Vater — Sohn — Enkel — Urenkel u. ſ. w.,
hier nicht genügt. In unſerem Bilde hieß es etwa: Vater —
unähnlicher Sohn — Naſenjunge — Schulterjunge = ähnlicher
Sohn. Der Zoologe ſetzt beim Bandwurm das Wort „Amme“
ein. Er zählt: echter Bandwurmvater (das Kettenglied im
Menſchendarm) — Großamme (die Finne) — Amme (der Kopf¬
bandwurm im Menſchendarm) — echtes Bandwurmkind (das
aus dem Kopfbandwurm geknoſpete neue Kettenjunge).
Du ſiehſt: dieſer Liebesroman iſt niemals in derſelben
Generation damit zum guten Ende zu bringen, daß ſie „ſich
kriegen“. Er muß, um dahin zu kommen, notwendig erſt über
mehrere Generationen fortſpielen, und, ſo wahnſinnig es klingt:
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/258>, abgerufen am 24.11.2024.
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