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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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ehe der Bandwurm einmal zum wahren geschlechtlichen Liebes¬
ziel kommt, muß er mindestens einmal zuvor sterben (als Finne)
und zweimal (als Finne wie als Kopfbandwurm) ein lebens¬
längliches Cölibat durchleiden.

Dir schwindelt ..... aber laß dich noch auf Eins auf¬
merksam machen. Beachte genau, wie in diesem Roman zwei¬
mal der Fall eintritt, daß das eine Individuum sterben
muß
, damit das folgende lebe. Das Kettenglied -- zweifel¬
los in vieler Hinsicht die oberste Stufe der ganzen Folge als
die einzige wirklich geschlechtlich begabte, begattete Form --
muß den lieben warmen Nährdarm, wo das Manna in Gestalt
schon verarbeiteter menschlicher Nährsäfte von allen Seiten quillt,
roh verlassen, muß in die Versenkung erst des menschlichen
Ausfuhrganges, dann des schaurigen Verwesungslaboratoriums
außerhalb des Menschenleibes hinabstürzen und muß dort hoff¬
nungslos der Zersetzung erliegen: damit das wohl verpanzerte
Ei den Weg des Heils einschlage gen Rind, Schwein oder Hecht.
Abermals aber die Finne muß aus Rind, Schwein und Hecht
heraus in den Menschenmagen, muß dort elend an der Magen¬
säure sterben, auf daß der Kopfbandwurm an die Stätte seiner
Bestimmung, in den Menschendarm, gelange.

Eine Generation freilich lebt und lebt fort trotz und jen¬
seits aller Nachkommenschaft: der Kopfbandwurm. Er sitzt an
der Quelle fünf, zehn, in gewissen Fällen zwanzig Jahre, läßt
die Generationen hinter sich knospen und knospen, unbekümmert,
ein Patriarch, den der Tod vergessen zu haben scheint. Auf
ihn trifft Busch's Wort: er "hat alles hinter sich und ist
gottlob recht tugendlich". Erst wenn sein Mensch stirbt,
rafft ihn der Hungertod. Und doch ist gerade er nur ein
Geschöpf zweiten Grades, eine "Amme", der die hohe Liebe
verschlossen bleibt, ohne du und du ....

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ehe der Bandwurm einmal zum wahren geſchlechtlichen Liebes¬
ziel kommt, muß er mindeſtens einmal zuvor ſterben (als Finne)
und zweimal (als Finne wie als Kopfbandwurm) ein lebens¬
längliches Cölibat durchleiden.

Dir ſchwindelt ..... aber laß dich noch auf Eins auf¬
merkſam machen. Beachte genau, wie in dieſem Roman zwei¬
mal der Fall eintritt, daß das eine Individuum ſterben
muß
, damit das folgende lebe. Das Kettenglied — zweifel¬
los in vieler Hinſicht die oberſte Stufe der ganzen Folge als
die einzige wirklich geſchlechtlich begabte, begattete Form —
muß den lieben warmen Nährdarm, wo das Manna in Geſtalt
ſchon verarbeiteter menſchlicher Nährſäfte von allen Seiten quillt,
roh verlaſſen, muß in die Verſenkung erſt des menſchlichen
Ausfuhrganges, dann des ſchaurigen Verweſungslaboratoriums
außerhalb des Menſchenleibes hinabſtürzen und muß dort hoff¬
nungslos der Zerſetzung erliegen: damit das wohl verpanzerte
Ei den Weg des Heils einſchlage gen Rind, Schwein oder Hecht.
Abermals aber die Finne muß aus Rind, Schwein und Hecht
heraus in den Menſchenmagen, muß dort elend an der Magen¬
ſäure ſterben, auf daß der Kopfbandwurm an die Stätte ſeiner
Beſtimmung, in den Menſchendarm, gelange.

Eine Generation freilich lebt und lebt fort trotz und jen¬
ſeits aller Nachkommenſchaft: der Kopfbandwurm. Er ſitzt an
der Quelle fünf, zehn, in gewiſſen Fällen zwanzig Jahre, läßt
die Generationen hinter ſich knoſpen und knoſpen, unbekümmert,
ein Patriarch, den der Tod vergeſſen zu haben ſcheint. Auf
ihn trifft Buſch's Wort: er „hat alles hinter ſich und iſt
gottlob recht tugendlich“. Erſt wenn ſein Menſch ſtirbt,
rafft ihn der Hungertod. Und doch iſt gerade er nur ein
Geſchöpf zweiten Grades, eine „Amme“, der die hohe Liebe
verſchloſſen bleibt, ohne du und du ....

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[243/0259] ehe der Bandwurm einmal zum wahren geſchlechtlichen Liebes¬ ziel kommt, muß er mindeſtens einmal zuvor ſterben (als Finne) und zweimal (als Finne wie als Kopfbandwurm) ein lebens¬ längliches Cölibat durchleiden. Dir ſchwindelt ..... aber laß dich noch auf Eins auf¬ merkſam machen. Beachte genau, wie in dieſem Roman zwei¬ mal der Fall eintritt, daß das eine Individuum ſterben muß, damit das folgende lebe. Das Kettenglied — zweifel¬ los in vieler Hinſicht die oberſte Stufe der ganzen Folge als die einzige wirklich geſchlechtlich begabte, begattete Form — muß den lieben warmen Nährdarm, wo das Manna in Geſtalt ſchon verarbeiteter menſchlicher Nährſäfte von allen Seiten quillt, roh verlaſſen, muß in die Verſenkung erſt des menſchlichen Ausfuhrganges, dann des ſchaurigen Verweſungslaboratoriums außerhalb des Menſchenleibes hinabſtürzen und muß dort hoff¬ nungslos der Zerſetzung erliegen: damit das wohl verpanzerte Ei den Weg des Heils einſchlage gen Rind, Schwein oder Hecht. Abermals aber die Finne muß aus Rind, Schwein und Hecht heraus in den Menſchenmagen, muß dort elend an der Magen¬ ſäure ſterben, auf daß der Kopfbandwurm an die Stätte ſeiner Beſtimmung, in den Menſchendarm, gelange. Eine Generation freilich lebt und lebt fort trotz und jen¬ ſeits aller Nachkommenſchaft: der Kopfbandwurm. Er ſitzt an der Quelle fünf, zehn, in gewiſſen Fällen zwanzig Jahre, läßt die Generationen hinter ſich knoſpen und knoſpen, unbekümmert, ein Patriarch, den der Tod vergeſſen zu haben ſcheint. Auf ihn trifft Buſch's Wort: er „hat alles hinter ſich und iſt gottlob recht tugendlich“. Erſt wenn ſein Menſch ſtirbt, rafft ihn der Hungertod. Und doch iſt gerade er nur ein Geſchöpf zweiten Grades, eine „Amme“, der die hohe Liebe verſchloſſen bleibt, ohne du und du .... — 243 — 16*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/259>, abgerufen am 24.11.2024.