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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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dunkles Gären und Sehnen: noch in der Rübe selbst faßt sie
der Liebestraum. Bisher hatten sie nichts, was an Liebe
mahnen konnte: keines war Mann oder Weib, -- jeder Ansatz
zu Geschlechtsteilen fehlte überhaupt. Aber jetzt auf einmal
eine Häutung: und aus dem schlichten Würmchen scheint ein
ganz neues Geschöpf zu werden. Dicht unter die äußerste
Wurzelwand geschmiegt, schwillt jedes winzige lebendige Fädchen
zu einer Gestalt an, die an eine kleine Flasche erinnert.
Fläschchen um Fläschchen wird eine Weile immer dicker, --
schon wölbt sich die elastische Wurzelhaut darüber nach außen
vor, als wolle der alte Rübenleib ein Geschlecht seltsamer junger
Rüben vorknospend gebären. Und wirklich: ein Teil der Flaschen
schwillt und schwillt, bis die Flasche einer bauchigen Zitrone
gleicht, die Zitrone drängt und drängt, und knacks -- die
Pflanzenhaut platzt, die Spitze der Zitrone schaut nach außen.
In Wahrheit ist die vorwitzige Spitze das lebendige Hinterteil
des Wurms. Eine Öffnung zeigt sich darin. Ein Geschlechts¬
thor. Ein weibliches. Das Zitronentierchen ist ganz in der
Stille Weib geworden. Die Hinterecke mit der Geschlechts¬
pforte frei hinausgedrängt, harrt es jetzt regungslos der Dinge,
die da kommen sollen.

Und sie kommen alsbald. Nicht alle Rübenweltfahrer da
drinnen sind zu weiblichen Zitronen geworden. Ein Teil hat
sich, nachdem er satt gefressen die bewußte Flaschenform erreicht
hatte, aus dieser seiner Flaschenhaut alsbald selber nach unten
wieder herausgezogen wie eine Wurst, die aus der eigenen
Haut kriecht. Abermals zum dünnen Fadenwürmlein geworden,
ist jedes dieser unruhigen Seelchen zugleich mit diesem Paletot¬
wechsel aber auch "Mann" geworden, -- mit regelrechtem
männlichen Geschlechtsorgan. Und jetzt, im Besitz der neuen
Kraft, scheint wenigstens diese Partei der alten Rübenwurzel
endgültig überdrüssig geworden zu sein: die neugebackenen Herren
durchstechen für ihren Teil wirklich die Pflanzenhaut, klimmen
außen am Dach ihres Gefängnisses lang und suchen im Banne

dunkles Gären und Sehnen: noch in der Rübe ſelbſt faßt ſie
der Liebestraum. Bisher hatten ſie nichts, was an Liebe
mahnen konnte: keines war Mann oder Weib, — jeder Anſatz
zu Geſchlechtsteilen fehlte überhaupt. Aber jetzt auf einmal
eine Häutung: und aus dem ſchlichten Würmchen ſcheint ein
ganz neues Geſchöpf zu werden. Dicht unter die äußerſte
Wurzelwand geſchmiegt, ſchwillt jedes winzige lebendige Fädchen
zu einer Geſtalt an, die an eine kleine Flaſche erinnert.
Fläſchchen um Fläſchchen wird eine Weile immer dicker, —
ſchon wölbt ſich die elaſtiſche Wurzelhaut darüber nach außen
vor, als wolle der alte Rübenleib ein Geſchlecht ſeltſamer junger
Rüben vorknoſpend gebären. Und wirklich: ein Teil der Flaſchen
ſchwillt und ſchwillt, bis die Flaſche einer bauchigen Zitrone
gleicht, die Zitrone drängt und drängt, und knacks — die
Pflanzenhaut platzt, die Spitze der Zitrone ſchaut nach außen.
In Wahrheit iſt die vorwitzige Spitze das lebendige Hinterteil
des Wurms. Eine Öffnung zeigt ſich darin. Ein Geſchlechts¬
thor. Ein weibliches. Das Zitronentierchen iſt ganz in der
Stille Weib geworden. Die Hinterecke mit der Geſchlechts¬
pforte frei hinausgedrängt, harrt es jetzt regungslos der Dinge,
die da kommen ſollen.

Und ſie kommen alsbald. Nicht alle Rübenweltfahrer da
drinnen ſind zu weiblichen Zitronen geworden. Ein Teil hat
ſich, nachdem er ſatt gefreſſen die bewußte Flaſchenform erreicht
hatte, aus dieſer ſeiner Flaſchenhaut alsbald ſelber nach unten
wieder herausgezogen wie eine Wurſt, die aus der eigenen
Haut kriecht. Abermals zum dünnen Fadenwürmlein geworden,
iſt jedes dieſer unruhigen Seelchen zugleich mit dieſem Paletot¬
wechſel aber auch „Mann“ geworden, — mit regelrechtem
männlichen Geſchlechtsorgan. Und jetzt, im Beſitz der neuen
Kraft, ſcheint wenigſtens dieſe Partei der alten Rübenwurzel
endgültig überdrüſſig geworden zu ſein: die neugebackenen Herren
durchſtechen für ihren Teil wirklich die Pflanzenhaut, klimmen
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[252/0268] dunkles Gären und Sehnen: noch in der Rübe ſelbſt faßt ſie der Liebestraum. Bisher hatten ſie nichts, was an Liebe mahnen konnte: keines war Mann oder Weib, — jeder Anſatz zu Geſchlechtsteilen fehlte überhaupt. Aber jetzt auf einmal eine Häutung: und aus dem ſchlichten Würmchen ſcheint ein ganz neues Geſchöpf zu werden. Dicht unter die äußerſte Wurzelwand geſchmiegt, ſchwillt jedes winzige lebendige Fädchen zu einer Geſtalt an, die an eine kleine Flaſche erinnert. Fläſchchen um Fläſchchen wird eine Weile immer dicker, — ſchon wölbt ſich die elaſtiſche Wurzelhaut darüber nach außen vor, als wolle der alte Rübenleib ein Geſchlecht ſeltſamer junger Rüben vorknoſpend gebären. Und wirklich: ein Teil der Flaſchen ſchwillt und ſchwillt, bis die Flaſche einer bauchigen Zitrone gleicht, die Zitrone drängt und drängt, und knacks — die Pflanzenhaut platzt, die Spitze der Zitrone ſchaut nach außen. In Wahrheit iſt die vorwitzige Spitze das lebendige Hinterteil des Wurms. Eine Öffnung zeigt ſich darin. Ein Geſchlechts¬ thor. Ein weibliches. Das Zitronentierchen iſt ganz in der Stille Weib geworden. Die Hinterecke mit der Geſchlechts¬ pforte frei hinausgedrängt, harrt es jetzt regungslos der Dinge, die da kommen ſollen. Und ſie kommen alsbald. Nicht alle Rübenweltfahrer da drinnen ſind zu weiblichen Zitronen geworden. Ein Teil hat ſich, nachdem er ſatt gefreſſen die bewußte Flaſchenform erreicht hatte, aus dieſer ſeiner Flaſchenhaut alsbald ſelber nach unten wieder herausgezogen wie eine Wurſt, die aus der eigenen Haut kriecht. Abermals zum dünnen Fadenwürmlein geworden, iſt jedes dieſer unruhigen Seelchen zugleich mit dieſem Paletot¬ wechſel aber auch „Mann“ geworden, — mit regelrechtem männlichen Geſchlechtsorgan. Und jetzt, im Beſitz der neuen Kraft, ſcheint wenigſtens dieſe Partei der alten Rübenwurzel endgültig überdrüſſig geworden zu ſein: die neugebackenen Herren durchſtechen für ihren Teil wirklich die Pflanzenhaut, klimmen außen am Dach ihres Gefängniſſes lang und ſuchen im Banne

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/268>, abgerufen am 24.11.2024.