früh an scheint sich die ganze Intelligenz des Weichtierstammes hierher konzentriert zu haben. Von allen Tierformen, die wir bisher betrachtet haben, sind sie überhaupt die "seelischsten". Aber es ist eine wilde Räuberseele, die uns entgegentritt, aller Intellekt angespannt auf rücksichtslosen Kampf, gegen Fremde wie gegen seinesgleichen. In diesem klugen, aber ewig kriegerischen Dasein kann auch die Liebe nicht gut ein Idyll sein, das läßt sich voraussehen. In der That erscheint sie wie eine Probe auf die ganze Charakteristik des Tiers. Der Intellekt kommt in ihr zum Ausdruck. Die Räubernatur. Und dann auch das erwähnte Weichtier-Erbe des etwas Ver¬ rückten, wie aus unmöglichen Stücken Zusammengenagelten.
Stelle dir vor, daß der Geschlechtsakt nicht bloß den Endzweck hätte, die männliche Samenflüssigkeit in das Leibes¬ innere des Weibes zu bringen, sondern daß die Schlußkatastrophe vielmehr so verliefe, daß das männliche Glied vom Körper des Mannes mit einem furchtbaren Ruck losrisse und in der weiblichen Scheide auf Niemehrwiedersehen verschwände. Das ist die Situation des Tintenfischs.
Im Grunde ist der Tintenfisch auch geschlechtlich ein hoch¬ entwickeltes Tier.
Das geschlechtliche Zwitterwesen, wie es die Schnecken so ausgiebig zeigen, das rohe Samenausschütten auf gut Glück, wie es bei den Austern vorkommt, nichts von alledem macht er mit. Stets ist er regelrecht zweigeschlechtig: Tintenmann und Tintenweib. Und beide Geschlechter scheinen mit ihren langen Armen wie geschaffen zu einer regelrechten Begattung in einem Moment engster Umklammerung. Wirklich sieht man sie, wenn die rechte Laune sich einstellt, dazu schreiten. Schon äußerlich geht es aber wüst genug dabei zu.
In den prachtvollen Becken der zoologischen Station zu Neapel, wo so viel scheues Getier der Tiefe seine diskretesten Herzensgeheimnisse hat offenbaren müssen, ist auch die Hochzeit der Tintenfische gelegentlich genau beobachtet worden.
früh an ſcheint ſich die ganze Intelligenz des Weichtierſtammes hierher konzentriert zu haben. Von allen Tierformen, die wir bisher betrachtet haben, ſind ſie überhaupt die „ſeeliſchſten“. Aber es iſt eine wilde Räuberſeele, die uns entgegentritt, aller Intellekt angeſpannt auf rückſichtsloſen Kampf, gegen Fremde wie gegen ſeinesgleichen. In dieſem klugen, aber ewig kriegeriſchen Daſein kann auch die Liebe nicht gut ein Idyll ſein, das läßt ſich vorausſehen. In der That erſcheint ſie wie eine Probe auf die ganze Charakteriſtik des Tiers. Der Intellekt kommt in ihr zum Ausdruck. Die Räubernatur. Und dann auch das erwähnte Weichtier-Erbe des etwas Ver¬ rückten, wie aus unmöglichen Stücken Zuſammengenagelten.
Stelle dir vor, daß der Geſchlechtsakt nicht bloß den Endzweck hätte, die männliche Samenflüſſigkeit in das Leibes¬ innere des Weibes zu bringen, ſondern daß die Schlußkataſtrophe vielmehr ſo verliefe, daß das männliche Glied vom Körper des Mannes mit einem furchtbaren Ruck losriſſe und in der weiblichen Scheide auf Niemehrwiederſehen verſchwände. Das iſt die Situation des Tintenfiſchs.
Im Grunde iſt der Tintenfiſch auch geſchlechtlich ein hoch¬ entwickeltes Tier.
Das geſchlechtliche Zwitterweſen, wie es die Schnecken ſo ausgiebig zeigen, das rohe Samenausſchütten auf gut Glück, wie es bei den Auſtern vorkommt, nichts von alledem macht er mit. Stets iſt er regelrecht zweigeſchlechtig: Tintenmann und Tintenweib. Und beide Geſchlechter ſcheinen mit ihren langen Armen wie geſchaffen zu einer regelrechten Begattung in einem Moment engſter Umklammerung. Wirklich ſieht man ſie, wenn die rechte Laune ſich einſtellt, dazu ſchreiten. Schon äußerlich geht es aber wüſt genug dabei zu.
In den prachtvollen Becken der zoologiſchen Station zu Neapel, wo ſo viel ſcheues Getier der Tiefe ſeine diskreteſten Herzensgeheimniſſe hat offenbaren müſſen, iſt auch die Hochzeit der Tintenfiſche gelegentlich genau beobachtet worden.
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früh an ſcheint ſich die ganze Intelligenz des Weichtierſtammes
hierher konzentriert zu haben. Von allen Tierformen, die wir
bisher betrachtet haben, ſind ſie überhaupt die „ſeeliſchſten“.
Aber es iſt eine wilde Räuberſeele, die uns entgegentritt,
aller Intellekt angeſpannt auf rückſichtsloſen Kampf, gegen
Fremde wie gegen ſeinesgleichen. In dieſem klugen, aber
ewig kriegeriſchen Daſein kann auch die Liebe nicht gut ein
Idyll ſein, das läßt ſich vorausſehen. In der That erſcheint
ſie wie eine Probe auf die ganze Charakteriſtik des Tiers.
Der Intellekt kommt in ihr zum Ausdruck. Die Räubernatur.
Und dann auch das erwähnte Weichtier-Erbe des etwas Ver¬
rückten, wie aus unmöglichen Stücken Zuſammengenagelten.
Stelle dir vor, daß der Geſchlechtsakt nicht bloß den
Endzweck hätte, die männliche Samenflüſſigkeit in das Leibes¬
innere des Weibes zu bringen, ſondern daß die Schlußkataſtrophe
vielmehr ſo verliefe, daß das männliche Glied vom Körper
des Mannes mit einem furchtbaren Ruck losriſſe und in der
weiblichen Scheide auf Niemehrwiederſehen verſchwände. Das
iſt die Situation des Tintenfiſchs.
Im Grunde iſt der Tintenfiſch auch geſchlechtlich ein hoch¬
entwickeltes Tier.
Das geſchlechtliche Zwitterweſen, wie es die Schnecken ſo
ausgiebig zeigen, das rohe Samenausſchütten auf gut Glück,
wie es bei den Auſtern vorkommt, nichts von alledem macht
er mit. Stets iſt er regelrecht zweigeſchlechtig: Tintenmann
und Tintenweib. Und beide Geſchlechter ſcheinen mit ihren
langen Armen wie geſchaffen zu einer regelrechten Begattung
in einem Moment engſter Umklammerung. Wirklich ſieht man
ſie, wenn die rechte Laune ſich einſtellt, dazu ſchreiten. Schon
äußerlich geht es aber wüſt genug dabei zu.
In den prachtvollen Becken der zoologiſchen Station zu
Neapel, wo ſo viel ſcheues Getier der Tiefe ſeine diskreteſten
Herzensgeheimniſſe hat offenbaren müſſen, iſt auch die Hochzeit
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/311>, abgerufen am 25.11.2024.
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