Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.Aus Vischers "Auch Einer". In meines Vaters Hause am schönen Rhein stand auf Er war vor Zeiten in der Nähe römischer Terrakotten Wenn ich an Spinnen denke, so sehe ich dies lustige 21*
Aus Viſchers „Auch Einer“. In meines Vaters Hauſe am ſchönen Rhein ſtand auf Er war vor Zeiten in der Nähe römiſcher Terrakotten Wenn ich an Spinnen denke, ſo ſehe ich dies luſtige 21*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0339" n="323"/> <cit> <quote> <lg type="poem"> <l>„O Weltgeiſt, was haſt du ge¬<lb/><hi rendition="#et">trieben!</hi><lb/></l> <l>So grade zu bauen, ſo toll zu ver¬<lb/><hi rendition="#et">ſchieben!</hi><lb/></l> <l>In deinem weiten Königtum<lb/></l> <l>Wird alles ſchief, wird alles krumm,<lb/></l> <l>Wo nicht Menſchen denken und<lb/><hi rendition="#et">lieben.“</hi><lb/></l> </lg> </quote> <bibl rendition="#et">Aus Viſchers „Auch Einer“.</bibl><lb/> </cit> <p><hi rendition="#in">I</hi>n meines Vaters Hauſe am ſchönen Rhein ſtand auf<lb/> einem alten verſtaubten Bücherregal in einem halb verſchollenen<lb/> Hauswinkel ein alter gelber Menſchenſchädel.</p><lb/> <p>Er war vor Zeiten in der Nähe römiſcher Terrakotten<lb/> gefunden worden und galt dem guten Glauben als Römer¬<lb/> ſchädel. Generationen lebensfroher Dienſtmädchen hatten ſich<lb/> gefürchtet, ihn zur Reinigung je herab zu nehmen. Und ſo<lb/> war er freies Reich für eine ebenſo lange Geſchlechterfolge<lb/> grauer Achtbeiner geworden, die aus dem finſteren Winkel¬<lb/> grunde dahinter herausgekrochen kamen und in den Schädel<lb/> ihre Neſter bauten. Über die alten ſtarren Augenhöhlen bauten<lb/> ſie neue, zarte, watteweiche Lider und dahinter hatten ſie<lb/> Brautbett und Kinderwiege.</p><lb/> <p>Wenn ich an Spinnen denke, ſo ſehe ich dies luſtige<lb/> Spinnenwirtshaus „Zum Totenſchädel“ wieder vor mir. Ich<lb/> bin ein Kind und weiß noch nichts von Liebe. Weder von<lb/> der Liebe der Menſchen, noch von der der Spinnen. Nur<lb/> der Schädel ſcheint mir uralt und die kleinen wimmelnden<lb/> <fw place="bottom" type="sig">21*<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [323/0339]
„O Weltgeiſt, was haſt du ge¬
trieben!
So grade zu bauen, ſo toll zu ver¬
ſchieben!
In deinem weiten Königtum
Wird alles ſchief, wird alles krumm,
Wo nicht Menſchen denken und
lieben.“
Aus Viſchers „Auch Einer“.
In meines Vaters Hauſe am ſchönen Rhein ſtand auf
einem alten verſtaubten Bücherregal in einem halb verſchollenen
Hauswinkel ein alter gelber Menſchenſchädel.
Er war vor Zeiten in der Nähe römiſcher Terrakotten
gefunden worden und galt dem guten Glauben als Römer¬
ſchädel. Generationen lebensfroher Dienſtmädchen hatten ſich
gefürchtet, ihn zur Reinigung je herab zu nehmen. Und ſo
war er freies Reich für eine ebenſo lange Geſchlechterfolge
grauer Achtbeiner geworden, die aus dem finſteren Winkel¬
grunde dahinter herausgekrochen kamen und in den Schädel
ihre Neſter bauten. Über die alten ſtarren Augenhöhlen bauten
ſie neue, zarte, watteweiche Lider und dahinter hatten ſie
Brautbett und Kinderwiege.
Wenn ich an Spinnen denke, ſo ſehe ich dies luſtige
Spinnenwirtshaus „Zum Totenſchädel“ wieder vor mir. Ich
bin ein Kind und weiß noch nichts von Liebe. Weder von
der Liebe der Menſchen, noch von der der Spinnen. Nur
der Schädel ſcheint mir uralt und die kleinen wimmelnden
21*
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