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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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die eigenen Kräfte kennt, der mit Wetter und Wind zu rechnen
weiß, -- ein wahrer kleiner Heiligenschein des Geistes um dieses
winzige, aber scharfe, eng konzentrierte Gehirn. Aber alles
in einem Bann: Fressen, Fressen im Dienste einfachen Wachs¬
tums, Fressen in jenem Sinne, der unerbittlich erst den anderen
zerstört, das fremde Leben erst tötet, -- tötet -- zerstört ....

Eine wilde Hatz. Immer der Ritter auf seiner Raub¬
burg lauernd. Was kommt, wird gepackt, wenn irgend die
Kraft es erlaubt. Nur vorwärts, auf eine gewisse Wachstums¬
höhe hinauf. Eben war eine Fliege im Netz, die daran
glauben, ihr Herzblut hergeben mußte. Jetzt fällt eine kleinere
Spinne derselben Art hinein. Was Verwandtschaft: sie wird
ebenso gepackt, mit dem Lasso umwickelt, geknebelt, ausgesaugt.
Es war eine männliche Spinne, -- die Männchen sind ja
kleiner. Einerlei. Was Geschlecht! Hunger. Fressen. Wachs¬
tum. In fünf Monaten von einem possierlichen gelben Zwerg¬
lein zu dem großen Ungetüm. Das erlaubt, erklärt alles.

Herbstgold. Septemberblau. Und nun der große Umschlag,
das große Verhängnis. Wachstum? Die Spinne ist aus¬
gewachsen, -- eines Tages. Der Zweck scheint erfüllt. Die
Position ist behauptet. Der Magen hat seine Schuldigkeit
gethan. Aber wie? Das ganze Wachstum war ja gar nicht
ein in sich geschlossenes, abschließendes Ziel. Es war nur die
Unterstufe zu etwas Höherem. Im Augenblick, da es selber
erfüllt ist, deutet es schon auf ein ganz anderes. Der er¬
wachsene, reife Körper spaltet in seinen Geschlechtsorganen auf
einmal Samen und Eier ab. Eier bei der Spinne, Samen
beim Spinnerich. Und der ganz neue, unsichtbare Faden eines
dunklen Begehrens spinnt sich jäh von Samen zu Ei. Als
Resultat all des Fressens mit all seiner wilden Verachtung
fremden Lebens auf einmal Liebessehnsucht nach fremdem Leben
als Leben .....

Hier beginnt nun bei den Spinnengatten, was man so
recht im Sinne einer Tragödie großen Stiles einen Konflikt

die eigenen Kräfte kennt, der mit Wetter und Wind zu rechnen
weiß, — ein wahrer kleiner Heiligenſchein des Geiſtes um dieſes
winzige, aber ſcharfe, eng konzentrierte Gehirn. Aber alles
in einem Bann: Freſſen, Freſſen im Dienſte einfachen Wachs¬
tums, Freſſen in jenem Sinne, der unerbittlich erſt den anderen
zerſtört, das fremde Leben erſt tötet, — tötet — zerſtört ....

Eine wilde Hatz. Immer der Ritter auf ſeiner Raub¬
burg lauernd. Was kommt, wird gepackt, wenn irgend die
Kraft es erlaubt. Nur vorwärts, auf eine gewiſſe Wachstums¬
höhe hinauf. Eben war eine Fliege im Netz, die daran
glauben, ihr Herzblut hergeben mußte. Jetzt fällt eine kleinere
Spinne derſelben Art hinein. Was Verwandtſchaft: ſie wird
ebenſo gepackt, mit dem Laſſo umwickelt, geknebelt, ausgeſaugt.
Es war eine männliche Spinne, — die Männchen ſind ja
kleiner. Einerlei. Was Geſchlecht! Hunger. Freſſen. Wachs¬
tum. In fünf Monaten von einem poſſierlichen gelben Zwerg¬
lein zu dem großen Ungetüm. Das erlaubt, erklärt alles.

Herbſtgold. Septemberblau. Und nun der große Umſchlag,
das große Verhängnis. Wachstum? Die Spinne iſt aus¬
gewachſen, — eines Tages. Der Zweck ſcheint erfüllt. Die
Poſition iſt behauptet. Der Magen hat ſeine Schuldigkeit
gethan. Aber wie? Das ganze Wachstum war ja gar nicht
ein in ſich geſchloſſenes, abſchließendes Ziel. Es war nur die
Unterſtufe zu etwas Höherem. Im Augenblick, da es ſelber
erfüllt iſt, deutet es ſchon auf ein ganz anderes. Der er¬
wachſene, reife Körper ſpaltet in ſeinen Geſchlechtsorganen auf
einmal Samen und Eier ab. Eier bei der Spinne, Samen
beim Spinnerich. Und der ganz neue, unſichtbare Faden eines
dunklen Begehrens ſpinnt ſich jäh von Samen zu Ei. Als
Reſultat all des Freſſens mit all ſeiner wilden Verachtung
fremden Lebens auf einmal Liebesſehnſucht nach fremdem Leben
als Leben .....

Hier beginnt nun bei den Spinnengatten, was man ſo
recht im Sinne einer Tragödie großen Stiles einen Konflikt

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[330/0346] die eigenen Kräfte kennt, der mit Wetter und Wind zu rechnen weiß, — ein wahrer kleiner Heiligenſchein des Geiſtes um dieſes winzige, aber ſcharfe, eng konzentrierte Gehirn. Aber alles in einem Bann: Freſſen, Freſſen im Dienſte einfachen Wachs¬ tums, Freſſen in jenem Sinne, der unerbittlich erſt den anderen zerſtört, das fremde Leben erſt tötet, — tötet — zerſtört .... Eine wilde Hatz. Immer der Ritter auf ſeiner Raub¬ burg lauernd. Was kommt, wird gepackt, wenn irgend die Kraft es erlaubt. Nur vorwärts, auf eine gewiſſe Wachstums¬ höhe hinauf. Eben war eine Fliege im Netz, die daran glauben, ihr Herzblut hergeben mußte. Jetzt fällt eine kleinere Spinne derſelben Art hinein. Was Verwandtſchaft: ſie wird ebenſo gepackt, mit dem Laſſo umwickelt, geknebelt, ausgeſaugt. Es war eine männliche Spinne, — die Männchen ſind ja kleiner. Einerlei. Was Geſchlecht! Hunger. Freſſen. Wachs¬ tum. In fünf Monaten von einem poſſierlichen gelben Zwerg¬ lein zu dem großen Ungetüm. Das erlaubt, erklärt alles. Herbſtgold. Septemberblau. Und nun der große Umſchlag, das große Verhängnis. Wachstum? Die Spinne iſt aus¬ gewachſen, — eines Tages. Der Zweck ſcheint erfüllt. Die Poſition iſt behauptet. Der Magen hat ſeine Schuldigkeit gethan. Aber wie? Das ganze Wachstum war ja gar nicht ein in ſich geſchloſſenes, abſchließendes Ziel. Es war nur die Unterſtufe zu etwas Höherem. Im Augenblick, da es ſelber erfüllt iſt, deutet es ſchon auf ein ganz anderes. Der er¬ wachſene, reife Körper ſpaltet in ſeinen Geſchlechtsorganen auf einmal Samen und Eier ab. Eier bei der Spinne, Samen beim Spinnerich. Und der ganz neue, unſichtbare Faden eines dunklen Begehrens ſpinnt ſich jäh von Samen zu Ei. Als Reſultat all des Freſſens mit all ſeiner wilden Verachtung fremden Lebens auf einmal Liebesſehnſucht nach fremdem Leben als Leben ..... Hier beginnt nun bei den Spinnengatten, was man ſo recht im Sinne einer Tragödie großen Stiles einen Konflikt

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/346>, abgerufen am 23.11.2024.