Spinnerich gekommen ist, springt er sofort hinterher wieder ab und zieht sich überhaupt jetzt ganz von Frau Brunhild zurück. Erst nach einer Viertelstunde wird das Spiel noch einmal wiederholt und sodann noch öfter, -- wahrscheinlich wohl, bis jedes letzte Restchen Samen des Männchens an den rechten Fleck gebracht ist. Die Spinne kann offenbar so viel vertragen, wie ihr nur irgend geliefert wird. Denn der Mannessamen geht bei ihr ganz oder doch teilweise auch einmal wieder in eines jener trefflichen Reservedepots ein: -- eine sogenannte Samentasche, in der Samentierchen auf "Reserve" so lange lebendig aufbewahrt bleiben können, bis die Eier alle reif sind. Ja vielleicht bis sie gelegt sind. Denn du siehst Spinnen, nachdem sie ihre Eier abgelegt haben, auf diese noch nachträglich etwas darauf spritzen, was wahrscheinlich solcher Reservesamen ist, -- eine drollige Parallele zu der vorbereitenden Art, wie das Männchen auch erst für sich allein den Samen ausgespritzt hat.
Dieser letzte Akt übrigens oder eigentlich Epilog der ganzen Tragikomödie -- die Stellung der Spinne zu ihrer Nachkommenschaft -- ist rührend über alle Maßen. So problematisch in diesem krausen Spinnenleben Liebe und Ehe war: die Mutterschaft ist von absoluter Reinheit. Der ganze kurze Rest des herbstlichen Spinnenlebens steht in ihrem Dienst. Mit höchstem Geschick bereitet die Mutter ihren Eiern ein Nest aus feinstem Gespinst. Sind sie hineingelegt und nach jener Weise noch sorgsam befruchtet, so wird das Ganze zugesponnen und dann -- die letzte Lebensaufgabe der alten Spinne -- mit unendlicher Sorgfalt bewacht und verteidigt.
Das Auskriechen der Kleinen fällt aber nicht mehr ins irdische Programm dieses treuen Muttertieres. Die Sonnen¬ blumen welken und knicken, die Astern schrumpfen eines Tages ein. Die "Eiszeit" bricht abermals herein, -- Winter und Weltuntergang.
Gegen sie brauchen die Jungen selbst keinen Schutz mehr, in ihrem dichten Gespinstpelz schlummernd fühlen sie selber ja
Spinnerich gekommen iſt, ſpringt er ſofort hinterher wieder ab und zieht ſich überhaupt jetzt ganz von Frau Brunhild zurück. Erſt nach einer Viertelſtunde wird das Spiel noch einmal wiederholt und ſodann noch öfter, — wahrſcheinlich wohl, bis jedes letzte Reſtchen Samen des Männchens an den rechten Fleck gebracht iſt. Die Spinne kann offenbar ſo viel vertragen, wie ihr nur irgend geliefert wird. Denn der Mannesſamen geht bei ihr ganz oder doch teilweiſe auch einmal wieder in eines jener trefflichen Reſervedepots ein: — eine ſogenannte Samentaſche, in der Samentierchen auf „Reſerve“ ſo lange lebendig aufbewahrt bleiben können, bis die Eier alle reif ſind. Ja vielleicht bis ſie gelegt ſind. Denn du ſiehſt Spinnen, nachdem ſie ihre Eier abgelegt haben, auf dieſe noch nachträglich etwas darauf ſpritzen, was wahrſcheinlich ſolcher Reſerveſamen iſt, — eine drollige Parallele zu der vorbereitenden Art, wie das Männchen auch erſt für ſich allein den Samen ausgeſpritzt hat.
Dieſer letzte Akt übrigens oder eigentlich Epilog der ganzen Tragikomödie — die Stellung der Spinne zu ihrer Nachkommenſchaft — iſt rührend über alle Maßen. So problematiſch in dieſem krauſen Spinnenleben Liebe und Ehe war: die Mutterſchaft iſt von abſoluter Reinheit. Der ganze kurze Reſt des herbſtlichen Spinnenlebens ſteht in ihrem Dienſt. Mit höchſtem Geſchick bereitet die Mutter ihren Eiern ein Neſt aus feinſtem Geſpinſt. Sind ſie hineingelegt und nach jener Weiſe noch ſorgſam befruchtet, ſo wird das Ganze zugeſponnen und dann — die letzte Lebensaufgabe der alten Spinne — mit unendlicher Sorgfalt bewacht und verteidigt.
Das Auskriechen der Kleinen fällt aber nicht mehr ins irdiſche Programm dieſes treuen Muttertieres. Die Sonnen¬ blumen welken und knicken, die Aſtern ſchrumpfen eines Tages ein. Die „Eiszeit“ bricht abermals herein, — Winter und Weltuntergang.
Gegen ſie brauchen die Jungen ſelbſt keinen Schutz mehr, in ihrem dichten Geſpinſtpelz ſchlummernd fühlen ſie ſelber ja
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Spinnerich gekommen iſt, ſpringt er ſofort hinterher wieder ab
und zieht ſich überhaupt jetzt ganz von Frau Brunhild zurück.
Erſt nach einer Viertelſtunde wird das Spiel noch einmal
wiederholt und ſodann noch öfter, — wahrſcheinlich wohl, bis
jedes letzte Reſtchen Samen des Männchens an den rechten
Fleck gebracht iſt. Die Spinne kann offenbar ſo viel vertragen,
wie ihr nur irgend geliefert wird. Denn der Mannesſamen
geht bei ihr ganz oder doch teilweiſe auch einmal wieder in
eines jener trefflichen Reſervedepots ein: — eine ſogenannte
Samentaſche, in der Samentierchen auf „Reſerve“ ſo lange
lebendig aufbewahrt bleiben können, bis die Eier alle reif ſind.
Ja vielleicht bis ſie gelegt ſind. Denn du ſiehſt Spinnen,
nachdem ſie ihre Eier abgelegt haben, auf dieſe noch nachträglich
etwas darauf ſpritzen, was wahrſcheinlich ſolcher Reſerveſamen
iſt, — eine drollige Parallele zu der vorbereitenden Art, wie
das Männchen auch erſt für ſich allein den Samen ausgeſpritzt hat.
Dieſer letzte Akt übrigens oder eigentlich Epilog der
ganzen Tragikomödie — die Stellung der Spinne zu ihrer
Nachkommenſchaft — iſt rührend über alle Maßen. So
problematiſch in dieſem krauſen Spinnenleben Liebe und Ehe
war: die Mutterſchaft iſt von abſoluter Reinheit. Der ganze
kurze Reſt des herbſtlichen Spinnenlebens ſteht in ihrem Dienſt.
Mit höchſtem Geſchick bereitet die Mutter ihren Eiern ein Neſt
aus feinſtem Geſpinſt. Sind ſie hineingelegt und nach jener
Weiſe noch ſorgſam befruchtet, ſo wird das Ganze zugeſponnen
und dann — die letzte Lebensaufgabe der alten Spinne —
mit unendlicher Sorgfalt bewacht und verteidigt.
Das Auskriechen der Kleinen fällt aber nicht mehr ins
irdiſche Programm dieſes treuen Muttertieres. Die Sonnen¬
blumen welken und knicken, die Aſtern ſchrumpfen eines Tages
ein. Die „Eiszeit“ bricht abermals herein, — Winter und
Weltuntergang.
Gegen ſie brauchen die Jungen ſelbſt keinen Schutz mehr,
in ihrem dichten Geſpinſtpelz ſchlummernd fühlen ſie ſelber ja
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/354>, abgerufen am 22.11.2024.
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