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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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mit den Beinen an den Leib. Sie läßt es sich gefallen. Wohl
eine Viertelstunde lang streichelt er sie bloß, -- wie ein Mensch,
der langsam ein scheues Tier beruhigt und zum Frieden stimmt.

Und doch -- glaubwürdige Beobachter haben noch gerade
in dieser letzten vorbereitenden Liebkosungsviertelstunde eine
ganz jähe Katastrophe erlebt: absolut unvermittelt, als sei der
gemeine Freßinstinkt urplötzlich mit einem Ruck doch noch Herr
des feineren Liebeshungers geworden und habe alles wie ein
Klotz zum Sinken gebracht, brach die Spinne noch los, -- im
Nu war der Spinnerich als armer Sünder gepackt, eingesponnen,
angebissen und ausgesaugt. Bei gewissen Spinnenarten, wo
die Männchen ganz besonders winzig sind, siehst du sogar den
kleinen Spinnen-Gunther seiner drohenden Brunhild zur Vor¬
sorge einfach mit einem Satz auf den Rücken springen und von
dort erst liebkosen, -- es ist der sicherste Sitz, da die Spinne
den Kleinen gerade dort oben selber nicht mehr fassen kann,
auch wenn sie es plötzlich noch wollte.

Offenbar ist gerade diese äußerste Situation noch die ganz
gefährliche. Es ist die absolut unberechenbare, -- die, wo
am schärfsten in Kraft tritt, was ich oben sagte: der eigentliche
Konflikt, das Problematische, das auf einer Wende der Instinkte
unentschieden Schwankende des ganzen Spinnenlebens.

Auf dem Gipfel dieser bänglichsten Krisis wagt das
Männchen, offenbar getrieben von einem nicht mehr zu be¬
wältigenden Drange, trotzdem den entscheidendsten Schritt. Mit
rascher Drehung wirft es sich herum und springt dem im Netz
herabhängenden Weibe überschlüpfend von oben Leib gegen
Leib. Im selben Moment fahren auch schon jene Tastspitzen
seines Unterkiefers, die die Samenfracht tragen, in die weib¬
liche Scheide der Spinne hinein. An dieser Scheide zeigt,
seltsam genug, hier die weibliche Spinne eine Art regelrechten,
vorstreckbaren Begattungsgliedes, das den Samen empfängt.

Das ist der Moment der wahren Begattung, -- von
Dauer etwa eine halbe Minute. Ebenso schnell wie der

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mit den Beinen an den Leib. Sie läßt es ſich gefallen. Wohl
eine Viertelſtunde lang ſtreichelt er ſie bloß, — wie ein Menſch,
der langſam ein ſcheues Tier beruhigt und zum Frieden ſtimmt.

Und doch — glaubwürdige Beobachter haben noch gerade
in dieſer letzten vorbereitenden Liebkoſungsviertelſtunde eine
ganz jähe Kataſtrophe erlebt: abſolut unvermittelt, als ſei der
gemeine Freßinſtinkt urplötzlich mit einem Ruck doch noch Herr
des feineren Liebeshungers geworden und habe alles wie ein
Klotz zum Sinken gebracht, brach die Spinne noch los, — im
Nu war der Spinnerich als armer Sünder gepackt, eingeſponnen,
angebiſſen und ausgeſaugt. Bei gewiſſen Spinnenarten, wo
die Männchen ganz beſonders winzig ſind, ſiehſt du ſogar den
kleinen Spinnen-Gunther ſeiner drohenden Brunhild zur Vor¬
ſorge einfach mit einem Satz auf den Rücken ſpringen und von
dort erſt liebkoſen, — es iſt der ſicherſte Sitz, da die Spinne
den Kleinen gerade dort oben ſelber nicht mehr faſſen kann,
auch wenn ſie es plötzlich noch wollte.

Offenbar iſt gerade dieſe äußerſte Situation noch die ganz
gefährliche. Es iſt die abſolut unberechenbare, — die, wo
am ſchärfſten in Kraft tritt, was ich oben ſagte: der eigentliche
Konflikt, das Problematiſche, das auf einer Wende der Inſtinkte
unentſchieden Schwankende des ganzen Spinnenlebens.

Auf dem Gipfel dieſer bänglichſten Kriſis wagt das
Männchen, offenbar getrieben von einem nicht mehr zu be¬
wältigenden Drange, trotzdem den entſcheidendſten Schritt. Mit
raſcher Drehung wirft es ſich herum und ſpringt dem im Netz
herabhängenden Weibe überſchlüpfend von oben Leib gegen
Leib. Im ſelben Moment fahren auch ſchon jene Taſtſpitzen
ſeines Unterkiefers, die die Samenfracht tragen, in die weib¬
liche Scheide der Spinne hinein. An dieſer Scheide zeigt,
ſeltſam genug, hier die weibliche Spinne eine Art regelrechten,
vorſtreckbaren Begattungsgliedes, das den Samen empfängt.

Das iſt der Moment der wahren Begattung, — von
Dauer etwa eine halbe Minute. Ebenſo ſchnell wie der

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[337/0353] mit den Beinen an den Leib. Sie läßt es ſich gefallen. Wohl eine Viertelſtunde lang ſtreichelt er ſie bloß, — wie ein Menſch, der langſam ein ſcheues Tier beruhigt und zum Frieden ſtimmt. Und doch — glaubwürdige Beobachter haben noch gerade in dieſer letzten vorbereitenden Liebkoſungsviertelſtunde eine ganz jähe Kataſtrophe erlebt: abſolut unvermittelt, als ſei der gemeine Freßinſtinkt urplötzlich mit einem Ruck doch noch Herr des feineren Liebeshungers geworden und habe alles wie ein Klotz zum Sinken gebracht, brach die Spinne noch los, — im Nu war der Spinnerich als armer Sünder gepackt, eingeſponnen, angebiſſen und ausgeſaugt. Bei gewiſſen Spinnenarten, wo die Männchen ganz beſonders winzig ſind, ſiehſt du ſogar den kleinen Spinnen-Gunther ſeiner drohenden Brunhild zur Vor¬ ſorge einfach mit einem Satz auf den Rücken ſpringen und von dort erſt liebkoſen, — es iſt der ſicherſte Sitz, da die Spinne den Kleinen gerade dort oben ſelber nicht mehr faſſen kann, auch wenn ſie es plötzlich noch wollte. Offenbar iſt gerade dieſe äußerſte Situation noch die ganz gefährliche. Es iſt die abſolut unberechenbare, — die, wo am ſchärfſten in Kraft tritt, was ich oben ſagte: der eigentliche Konflikt, das Problematiſche, das auf einer Wende der Inſtinkte unentſchieden Schwankende des ganzen Spinnenlebens. Auf dem Gipfel dieſer bänglichſten Kriſis wagt das Männchen, offenbar getrieben von einem nicht mehr zu be¬ wältigenden Drange, trotzdem den entſcheidendſten Schritt. Mit raſcher Drehung wirft es ſich herum und ſpringt dem im Netz herabhängenden Weibe überſchlüpfend von oben Leib gegen Leib. Im ſelben Moment fahren auch ſchon jene Taſtſpitzen ſeines Unterkiefers, die die Samenfracht tragen, in die weib¬ liche Scheide der Spinne hinein. An dieſer Scheide zeigt, ſeltſam genug, hier die weibliche Spinne eine Art regelrechten, vorſtreckbaren Begattungsgliedes, das den Samen empfängt. Das iſt der Moment der wahren Begattung, — von Dauer etwa eine halbe Minute. Ebenſo ſchnell wie der 22

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/353>, abgerufen am 21.11.2024.