Schar abseits halten, meist nahe der Oberfläche des Wassers, während die Männer im Tiefen hausen. Statt Liebe giebt's dann aber auch dort sofort Zank, Prügelei und Stecherei, bis entweder der Mann die Weibsleute auseinander gejagt und um ihre Beute gebracht hat oder ein besonders massives Weib dem männlichen Eindringling eins aufzubrennen weiß und er wie ein schlechter Jäger, den der Hirsch verbeuelt hat, in sein Revier zurückkehrt.
So im Alltagsleben. Es kommt die Stunde, wo Stache¬ linsky der Mann eine seltsame Erregung in sich fühlt. Jene Erregung, die im Leben der Geschöpfe so entscheidend losbricht. Aus dem großen Zellenverband des Manneskörpers haben sich gewisse Einzelzellen losgelöst: an einer Stelle des Innenleibes hat sich eine Substanz angesammelt, in der zahllose kleine Zellenindividuen nach Befreiung, nach Entleerung drängen: der Samen ist triebkräftig und will heraus, um auch Stachelinskys Individualexistenz zu erweitern zum Gattungsleben, zur Gat¬ tungsunsterblichkeit. Der weihevolle Moment, wo das jugend¬ lich spröde "Verachte das Weib!" umzuschlagen pflegt in die große Passion, in das freudvoll-leidvolle Suchen und Finden des Ewig Weiblichen!
Ganz anders aber bei unserem Stachelinsky. Der gärende Stoff läßt ihn zwar keineswegs kalt. Schon vorher hatte er die Gabe, wie ein cholerischer Mensch oder Truthahn, dem das Blut zu Kopfe steigt, in Augenblicken heftigen Affektes, bei Zorn und höchstem Kampfeseifer, das blasse Grün und Silber seines Leibes jählings in leuchtend grelle Farben zu ver¬ wandeln: der Bauch wurde durch blitzschnell einschießende Farb¬ welle knallrot wie der Schnitt eines Liebhaberbandes, der Rücken smaragdig, die weiße Iris des Auges tiefgrün. Jetzt, wo eine dauernde Erregung alle Nerven vibrieren läßt, werden diese Prachtfarben zum dauernden Kleid: es stellt sich jener Zustand ein, den man als "Hochzeitskleid" bezeichnet. Aber an Hochzeit scheint Stachelinsky gerade jetzt am allerwenigsten zu denken.
Schar abſeits halten, meiſt nahe der Oberfläche des Waſſers, während die Männer im Tiefen hauſen. Statt Liebe giebt's dann aber auch dort ſofort Zank, Prügelei und Stecherei, bis entweder der Mann die Weibsleute auseinander gejagt und um ihre Beute gebracht hat oder ein beſonders maſſives Weib dem männlichen Eindringling eins aufzubrennen weiß und er wie ein ſchlechter Jäger, den der Hirſch verbeuelt hat, in ſein Revier zurückkehrt.
So im Alltagsleben. Es kommt die Stunde, wo Stache¬ linsky der Mann eine ſeltſame Erregung in ſich fühlt. Jene Erregung, die im Leben der Geſchöpfe ſo entſcheidend losbricht. Aus dem großen Zellenverband des Manneskörpers haben ſich gewiſſe Einzelzellen losgelöſt: an einer Stelle des Innenleibes hat ſich eine Subſtanz angeſammelt, in der zahlloſe kleine Zellenindividuen nach Befreiung, nach Entleerung drängen: der Samen iſt triebkräftig und will heraus, um auch Stachelinskys Individualexiſtenz zu erweitern zum Gattungsleben, zur Gat¬ tungsunſterblichkeit. Der weihevolle Moment, wo das jugend¬ lich ſpröde „Verachte das Weib!“ umzuſchlagen pflegt in die große Paſſion, in das freudvoll-leidvolle Suchen und Finden des Ewig Weiblichen!
Ganz anders aber bei unſerem Stachelinsky. Der gärende Stoff läßt ihn zwar keineswegs kalt. Schon vorher hatte er die Gabe, wie ein choleriſcher Menſch oder Truthahn, dem das Blut zu Kopfe ſteigt, in Augenblicken heftigen Affektes, bei Zorn und höchſtem Kampfeseifer, das blaſſe Grün und Silber ſeines Leibes jählings in leuchtend grelle Farben zu ver¬ wandeln: der Bauch wurde durch blitzſchnell einſchießende Farb¬ welle knallrot wie der Schnitt eines Liebhaberbandes, der Rücken ſmaragdig, die weiße Iris des Auges tiefgrün. Jetzt, wo eine dauernde Erregung alle Nerven vibrieren läßt, werden dieſe Prachtfarben zum dauernden Kleid: es ſtellt ſich jener Zuſtand ein, den man als „Hochzeitskleid“ bezeichnet. Aber an Hochzeit ſcheint Stachelinsky gerade jetzt am allerwenigſten zu denken.
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Schar abſeits halten, meiſt nahe der Oberfläche des Waſſers,
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dann aber auch dort ſofort Zank, Prügelei und Stecherei, bis
entweder der Mann die Weibsleute auseinander gejagt und
um ihre Beute gebracht hat oder ein beſonders maſſives Weib
dem männlichen Eindringling eins aufzubrennen weiß und er
wie ein ſchlechter Jäger, den der Hirſch verbeuelt hat, in ſein
Revier zurückkehrt.
So im Alltagsleben. Es kommt die Stunde, wo Stache¬
linsky der Mann eine ſeltſame Erregung in ſich fühlt. Jene
Erregung, die im Leben der Geſchöpfe ſo entſcheidend losbricht.
Aus dem großen Zellenverband des Manneskörpers haben ſich
gewiſſe Einzelzellen losgelöſt: an einer Stelle des Innenleibes
hat ſich eine Subſtanz angeſammelt, in der zahlloſe kleine
Zellenindividuen nach Befreiung, nach Entleerung drängen: der
Samen iſt triebkräftig und will heraus, um auch Stachelinskys
Individualexiſtenz zu erweitern zum Gattungsleben, zur Gat¬
tungsunſterblichkeit. Der weihevolle Moment, wo das jugend¬
lich ſpröde „Verachte das Weib!“ umzuſchlagen pflegt in die
große Paſſion, in das freudvoll-leidvolle Suchen und Finden
des Ewig Weiblichen!
Ganz anders aber bei unſerem Stachelinsky. Der gärende
Stoff läßt ihn zwar keineswegs kalt. Schon vorher hatte er
die Gabe, wie ein choleriſcher Menſch oder Truthahn, dem das
Blut zu Kopfe ſteigt, in Augenblicken heftigen Affektes, bei
Zorn und höchſtem Kampfeseifer, das blaſſe Grün und Silber
ſeines Leibes jählings in leuchtend grelle Farben zu ver¬
wandeln: der Bauch wurde durch blitzſchnell einſchießende Farb¬
welle knallrot wie der Schnitt eines Liebhaberbandes, der Rücken
ſmaragdig, die weiße Iris des Auges tiefgrün. Jetzt, wo eine
dauernde Erregung alle Nerven vibrieren läßt, werden dieſe
Prachtfarben zum dauernden Kleid: es ſtellt ſich jener Zuſtand
ein, den man als „Hochzeitskleid“ bezeichnet. Aber an Hochzeit
ſcheint Stachelinsky gerade jetzt am allerwenigſten zu denken.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/359>, abgerufen am 21.11.2024.
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