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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Ich denke, du hast selber bei der ganzen Historia schon
etwas zurückgeblinzelt nach einer neuen Frage hin. Nämlich
nach der Anfangsfrage im Ganzen. Die Tausende beständig
neu auftauchender Vestalinnen sind Kinder der konsequenten
weiblichen Geschlechtsbiene im Stock: der Königin. Gut, das ist
begriffen. Den Mannessamen zu ihrer ungeheuerlichen Massen¬
produktion haben dieser Königin die Drohnen geliefert. Gut,
das sei auch klar, wenn es auch etwas summarisch geschah.
Aber nun eine folgerichtig neue Gewissensfrage. Woher stammt
ursprünglich die Königin? Woher stammen die Drohnenpapas,
deren Existenz einfach schon im Frühjahr vorausgesetzt wurde?
Und woher endlich stammte die erste Generation von Vesta¬
linnen? Denn du verstehst: eine solche Generation muß da
gewesen sein, ehe überhaupt die Eierlegerei der Königin mit
Erfolg einsetzen konnte. Diese erste Generation muß zunächst
die Kinderzellchen gebaut haben, in die unsere gute Frau ihre
Eier legen sollte. Und, als dann die erste Eierlage da war,
muß sie die auskriechende erste Ration hilfloser Würmchen auf¬
gefüttert haben, -- andernfalls wäre der ganze hübsche Mechanis¬
mus überhaupt von vornherein nie in Gang gekommen.

Um diese drei neuen Fragen zu lösen, müßten wir von
Rechtswegen jetzt rückwärts den Dingen nachgehen. Aber in
dieser Wunderwelt verschlägt's auch nichts, wenn wir einfach
vorwärts schreiten. Die Schlange beißt sich wieder in den
Schweif, wie das Jahr selber, das, vom Frühling kommend,
über Sommer, Herbst und Winter doch wieder auf den Früh¬
ling ausläuft.

Also geradeaus im Text. Gegen den Herbst hin giebt's
im Bienenstock zunächst furchtbaren Krach. Die faulen Drohnen
werden in einer wahren Bartholomäusnacht von den Vestalinnen
totgeschlagen. Brutal werden sie überfallen, gejagt, aus¬
gehungert, erstochen. Nur fort damit! Es ist wie ein plötz¬
licher Reinigungsteufel, der die fleißigen Jüngferchen im Stock
überkommt. Allerdings ein verflixt grober. Fort mit dem

Ich denke, du haſt ſelber bei der ganzen Hiſtoria ſchon
etwas zurückgeblinzelt nach einer neuen Frage hin. Nämlich
nach der Anfangsfrage im Ganzen. Die Tauſende beſtändig
neu auftauchender Veſtalinnen ſind Kinder der konſequenten
weiblichen Geſchlechtsbiene im Stock: der Königin. Gut, das iſt
begriffen. Den Mannesſamen zu ihrer ungeheuerlichen Maſſen¬
produktion haben dieſer Königin die Drohnen geliefert. Gut,
das ſei auch klar, wenn es auch etwas ſummariſch geſchah.
Aber nun eine folgerichtig neue Gewiſſensfrage. Woher ſtammt
urſprünglich die Königin? Woher ſtammen die Drohnenpapas,
deren Exiſtenz einfach ſchon im Frühjahr vorausgeſetzt wurde?
Und woher endlich ſtammte die erſte Generation von Veſta¬
linnen? Denn du verſtehſt: eine ſolche Generation muß da
geweſen ſein, ehe überhaupt die Eierlegerei der Königin mit
Erfolg einſetzen konnte. Dieſe erſte Generation muß zunächſt
die Kinderzellchen gebaut haben, in die unſere gute Frau ihre
Eier legen ſollte. Und, als dann die erſte Eierlage da war,
muß ſie die auskriechende erſte Ration hilfloſer Würmchen auf¬
gefüttert haben, — andernfalls wäre der ganze hübſche Mechanis¬
mus überhaupt von vornherein nie in Gang gekommen.

Um dieſe drei neuen Fragen zu löſen, müßten wir von
Rechtswegen jetzt rückwärts den Dingen nachgehen. Aber in
dieſer Wunderwelt verſchlägt's auch nichts, wenn wir einfach
vorwärts ſchreiten. Die Schlange beißt ſich wieder in den
Schweif, wie das Jahr ſelber, das, vom Frühling kommend,
über Sommer, Herbſt und Winter doch wieder auf den Früh¬
ling ausläuft.

Alſo geradeaus im Text. Gegen den Herbſt hin giebt's
im Bienenſtock zunächſt furchtbaren Krach. Die faulen Drohnen
werden in einer wahren Bartholomäusnacht von den Veſtalinnen
totgeſchlagen. Brutal werden ſie überfallen, gejagt, aus¬
gehungert, erſtochen. Nur fort damit! Es iſt wie ein plötz¬
licher Reinigungsteufel, der die fleißigen Jüngferchen im Stock
überkommt. Allerdings ein verflixt grober. Fort mit dem

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[374/0390] Ich denke, du haſt ſelber bei der ganzen Hiſtoria ſchon etwas zurückgeblinzelt nach einer neuen Frage hin. Nämlich nach der Anfangsfrage im Ganzen. Die Tauſende beſtändig neu auftauchender Veſtalinnen ſind Kinder der konſequenten weiblichen Geſchlechtsbiene im Stock: der Königin. Gut, das iſt begriffen. Den Mannesſamen zu ihrer ungeheuerlichen Maſſen¬ produktion haben dieſer Königin die Drohnen geliefert. Gut, das ſei auch klar, wenn es auch etwas ſummariſch geſchah. Aber nun eine folgerichtig neue Gewiſſensfrage. Woher ſtammt urſprünglich die Königin? Woher ſtammen die Drohnenpapas, deren Exiſtenz einfach ſchon im Frühjahr vorausgeſetzt wurde? Und woher endlich ſtammte die erſte Generation von Veſta¬ linnen? Denn du verſtehſt: eine ſolche Generation muß da geweſen ſein, ehe überhaupt die Eierlegerei der Königin mit Erfolg einſetzen konnte. Dieſe erſte Generation muß zunächſt die Kinderzellchen gebaut haben, in die unſere gute Frau ihre Eier legen ſollte. Und, als dann die erſte Eierlage da war, muß ſie die auskriechende erſte Ration hilfloſer Würmchen auf¬ gefüttert haben, — andernfalls wäre der ganze hübſche Mechanis¬ mus überhaupt von vornherein nie in Gang gekommen. Um dieſe drei neuen Fragen zu löſen, müßten wir von Rechtswegen jetzt rückwärts den Dingen nachgehen. Aber in dieſer Wunderwelt verſchlägt's auch nichts, wenn wir einfach vorwärts ſchreiten. Die Schlange beißt ſich wieder in den Schweif, wie das Jahr ſelber, das, vom Frühling kommend, über Sommer, Herbſt und Winter doch wieder auf den Früh¬ ling ausläuft. Alſo geradeaus im Text. Gegen den Herbſt hin giebt's im Bienenſtock zunächſt furchtbaren Krach. Die faulen Drohnen werden in einer wahren Bartholomäusnacht von den Veſtalinnen totgeſchlagen. Brutal werden ſie überfallen, gejagt, aus¬ gehungert, erſtochen. Nur fort damit! Es iſt wie ein plötz¬ licher Reinigungsteufel, der die fleißigen Jüngferchen im Stock überkommt. Allerdings ein verflixt grober. Fort mit dem

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/390>, abgerufen am 21.11.2024.