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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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mikroskopischen Kleinheit, nur der, daß diese Darmbauteilchen
nicht harte, steinartige Gebilde, sondern durchweg weiche Klümp¬
chen der eigenartigsten Masse sind. Der Darm ist ja ein Teil,
ein "Zimmer", eines lebendigen Organismus, -- eines Tieres,
eines Hundes. Auch er "lebt", so lange der ganze Hund
lebt. Das Leben dieses Hundes aber haftet, wie alles Leben
auf Erden, an einem bestimmten Naturstoff von merkwürdigster
chemischer Mischung. Jeder "Bauziegel" des Darmes ist ent¬
sprechend ein Klümpchen solchen Lebensstoffes. Eine Un¬
menge dieser Klümpchen setzt den ganzen Darm zusammen
und bedingt sein "Leben". Sie bildet nicht nur seine Wand,
sondern sie bedingt auch (darin der Ziegelmauer allerdings
weit voraus), was in ihm geschieht.

Nun nimm ein anderes "Zimmer" des lebendigen Hauses,
Hund genannt: etwa die Lunge. Betrachte ein Stück Lunge
unter dem Mikroskop. In der Lunge geschehen andere Dinge
für den Gesamthaushalt des Hundekörpers als im Darm. Und
trotzdem: wie in unserm echten Hause derselbe Ziegelstein Salon¬
wand und Abortwand zusammensetzte, so setzen hier die Wand
der Lunge ziegelartig aufeinander ganz ähnliche, ja in allem
wesentlichen gleiche lebende Stoffteilchen zusammen, wie wir sie
beim Darm fanden. Freilich: ihre Beschäftigung ist hier in
der Lunge eine andere als dort im Darm. Aber das thut
der Grundthatsache keinen Abbruch, daß sie im Prinzip hier
wie dort der eigentliche Baustein des lebendigen Organs sind.

Und so kannst du nun den ganzen Hund zerstückeln bis
in jedes Hautfetzchen und jedes Muskelstückchen und jeden
Blutstropfen hinein: immer erscheint dasselbe Grundelement
kleiner Klümpchen lebendigen Stoffs, die ganz wie Ziegelsteine
aufeinander liegen und den gesamten Hundeleib genau so auf¬
bauen, wie echte Ziegel ein echtes Haus.

Man hat ein Wort dafür erfinden müssen und hat sich
schließlich auf ein nicht ganz schlechtes, aber auch nicht ganz
rechtes konventionell geeinigt: man nennt die lebendigen Einzel¬

mikroſkopiſchen Kleinheit, nur der, daß dieſe Darmbauteilchen
nicht harte, ſteinartige Gebilde, ſondern durchweg weiche Klümp¬
chen der eigenartigſten Maſſe ſind. Der Darm iſt ja ein Teil,
ein „Zimmer“, eines lebendigen Organismus, — eines Tieres,
eines Hundes. Auch er „lebt“, ſo lange der ganze Hund
lebt. Das Leben dieſes Hundes aber haftet, wie alles Leben
auf Erden, an einem beſtimmten Naturſtoff von merkwürdigſter
chemiſcher Miſchung. Jeder „Bauziegel“ des Darmes iſt ent¬
ſprechend ein Klümpchen ſolchen Lebensſtoffes. Eine Un¬
menge dieſer Klümpchen ſetzt den ganzen Darm zuſammen
und bedingt ſein „Leben“. Sie bildet nicht nur ſeine Wand,
ſondern ſie bedingt auch (darin der Ziegelmauer allerdings
weit voraus), was in ihm geſchieht.

Nun nimm ein anderes „Zimmer“ des lebendigen Hauſes,
Hund genannt: etwa die Lunge. Betrachte ein Stück Lunge
unter dem Mikroſkop. In der Lunge geſchehen andere Dinge
für den Geſamthaushalt des Hundekörpers als im Darm. Und
trotzdem: wie in unſerm echten Hauſe derſelbe Ziegelſtein Salon¬
wand und Abortwand zuſammenſetzte, ſo ſetzen hier die Wand
der Lunge ziegelartig aufeinander ganz ähnliche, ja in allem
weſentlichen gleiche lebende Stoffteilchen zuſammen, wie wir ſie
beim Darm fanden. Freilich: ihre Beſchäftigung iſt hier in
der Lunge eine andere als dort im Darm. Aber das thut
der Grundthatſache keinen Abbruch, daß ſie im Prinzip hier
wie dort der eigentliche Bauſtein des lebendigen Organs ſind.

Und ſo kannſt du nun den ganzen Hund zerſtückeln bis
in jedes Hautfetzchen und jedes Muskelſtückchen und jeden
Blutstropfen hinein: immer erſcheint dasſelbe Grundelement
kleiner Klümpchen lebendigen Stoffs, die ganz wie Ziegelſteine
aufeinander liegen und den geſamten Hundeleib genau ſo auf¬
bauen, wie echte Ziegel ein echtes Haus.

Man hat ein Wort dafür erfinden müſſen und hat ſich
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[59/0075] mikroſkopiſchen Kleinheit, nur der, daß dieſe Darmbauteilchen nicht harte, ſteinartige Gebilde, ſondern durchweg weiche Klümp¬ chen der eigenartigſten Maſſe ſind. Der Darm iſt ja ein Teil, ein „Zimmer“, eines lebendigen Organismus, — eines Tieres, eines Hundes. Auch er „lebt“, ſo lange der ganze Hund lebt. Das Leben dieſes Hundes aber haftet, wie alles Leben auf Erden, an einem beſtimmten Naturſtoff von merkwürdigſter chemiſcher Miſchung. Jeder „Bauziegel“ des Darmes iſt ent¬ ſprechend ein Klümpchen ſolchen Lebensſtoffes. Eine Un¬ menge dieſer Klümpchen ſetzt den ganzen Darm zuſammen und bedingt ſein „Leben“. Sie bildet nicht nur ſeine Wand, ſondern ſie bedingt auch (darin der Ziegelmauer allerdings weit voraus), was in ihm geſchieht. Nun nimm ein anderes „Zimmer“ des lebendigen Hauſes, Hund genannt: etwa die Lunge. Betrachte ein Stück Lunge unter dem Mikroſkop. In der Lunge geſchehen andere Dinge für den Geſamthaushalt des Hundekörpers als im Darm. Und trotzdem: wie in unſerm echten Hauſe derſelbe Ziegelſtein Salon¬ wand und Abortwand zuſammenſetzte, ſo ſetzen hier die Wand der Lunge ziegelartig aufeinander ganz ähnliche, ja in allem weſentlichen gleiche lebende Stoffteilchen zuſammen, wie wir ſie beim Darm fanden. Freilich: ihre Beſchäftigung iſt hier in der Lunge eine andere als dort im Darm. Aber das thut der Grundthatſache keinen Abbruch, daß ſie im Prinzip hier wie dort der eigentliche Bauſtein des lebendigen Organs ſind. Und ſo kannſt du nun den ganzen Hund zerſtückeln bis in jedes Hautfetzchen und jedes Muskelſtückchen und jeden Blutstropfen hinein: immer erſcheint dasſelbe Grundelement kleiner Klümpchen lebendigen Stoffs, die ganz wie Ziegelſteine aufeinander liegen und den geſamten Hundeleib genau ſo auf¬ bauen, wie echte Ziegel ein echtes Haus. Man hat ein Wort dafür erfinden müſſen und hat ſich ſchließlich auf ein nicht ganz ſchlechtes, aber auch nicht ganz rechtes konventionell geeinigt: man nennt die lebendigen Einzel¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/75>, abgerufen am 21.11.2024.