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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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aus losem Weltenstoff, -- gab es einen Urstand der Dinge,
da alle Planeten noch mit der Sonne eins waren, -- und,
noch entlegener, da die Sonne sich erst aus dem kosmischen
Hochofen eines Gesamtsystems löste? ..... Der freieste Ge¬
danke vermag das nicht mehr recht durchzudenken. Aber auch
die freieste Jahresziffer erlahmt ebenso gewiß. In grauer
Folge der Millionen wälzt es sich zurück, zurück in die un¬
absehbare Zeit, wie dort im gegenwärtigen All in den un¬
absehbaren Raum.

"Denn siehe: ich will einen neuen Himmel und eine neue
Erde schaffen." Der neue Himmel und die neue Erde, von
denen einst die Vision des Propheten sprach, ist unseren Tagen
wirklich verliehen worden. Ein neuer Raum, eine neue Zeit.
In solcher Umgebung erhalten alle alten Begriffe von selbst
ein neues Gesicht. Auf das winzigste Ding fällt ein Abglanz
dieses in Wahrheit neuen Kosmos; man sucht unwillkürlich
seinen jetzt erst kosmischen Sinn. Dieser Granitblock ist viel¬
leicht mit dabei gewesen in feuerbrodelnden Urtagen der Erd¬
entwickelung. Dieses Bröckchen Schiefer entstand, als der
Ichthyosaurus im Korallengrund räuberte. Dieses unscheinbare
Stück Meteoreisen stammt aus den Tiefen des Raums, hat
vielleicht Siriusweiten durchmessen, ist vielleicht ein Trümmer¬
teil einer Welt, die lange vor aller Erdenkultur geblüht hat,
ihre Menschen und ihre Sehnsucht trug -- und in irgend einer
Stunde verklungener Grauen in winzige Splitter zerborsten ist.
Die aber dabei so weit von uns absteht, daß ihr Licht viel¬
leicht heute noch unser Auge trifft, -- Licht, das vor Ur¬
tagen von ihr ausging, als sie noch war .....

Wie viel mehr müssen vor solcher
Sachlage die größten, tiefsten Dinge der
Menschheit in neuen Fluß kommen. Auch
die Liebe. Das Auge sucht sie in den
Millionen der Zeit, den Millionen des
Raums.

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aus loſem Weltenſtoff, — gab es einen Urſtand der Dinge,
da alle Planeten noch mit der Sonne eins waren, — und,
noch entlegener, da die Sonne ſich erſt aus dem kosmiſchen
Hochofen eines Geſamtſyſtems löſte? ..... Der freieſte Ge¬
danke vermag das nicht mehr recht durchzudenken. Aber auch
die freieſte Jahresziffer erlahmt ebenſo gewiß. In grauer
Folge der Millionen wälzt es ſich zurück, zurück in die un¬
abſehbare Zeit, wie dort im gegenwärtigen All in den un¬
abſehbaren Raum.

„Denn ſiehe: ich will einen neuen Himmel und eine neue
Erde ſchaffen.“ Der neue Himmel und die neue Erde, von
denen einſt die Viſion des Propheten ſprach, iſt unſeren Tagen
wirklich verliehen worden. Ein neuer Raum, eine neue Zeit.
In ſolcher Umgebung erhalten alle alten Begriffe von ſelbſt
ein neues Geſicht. Auf das winzigſte Ding fällt ein Abglanz
dieſes in Wahrheit neuen Kosmos; man ſucht unwillkürlich
ſeinen jetzt erſt kosmiſchen Sinn. Dieſer Granitblock iſt viel¬
leicht mit dabei geweſen in feuerbrodelnden Urtagen der Erd¬
entwickelung. Dieſes Bröckchen Schiefer entſtand, als der
Ichthyoſaurus im Korallengrund räuberte. Dieſes unſcheinbare
Stück Meteoreiſen ſtammt aus den Tiefen des Raums, hat
vielleicht Siriusweiten durchmeſſen, iſt vielleicht ein Trümmer¬
teil einer Welt, die lange vor aller Erdenkultur geblüht hat,
ihre Menſchen und ihre Sehnſucht trug — und in irgend einer
Stunde verklungener Grauen in winzige Splitter zerborſten iſt.
Die aber dabei ſo weit von uns abſteht, daß ihr Licht viel¬
leicht heute noch unſer Auge trifft, — Licht, das vor Ur¬
tagen von ihr ausging, als ſie noch war .....

Wie viel mehr müſſen vor ſolcher
Sachlage die größten, tiefſten Dinge der
Menſchheit in neuen Fluß kommen. Auch
die Liebe. Das Auge ſucht ſie in den
Millionen der Zeit, den Millionen des
Raums.

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[81/0097] aus loſem Weltenſtoff, — gab es einen Urſtand der Dinge, da alle Planeten noch mit der Sonne eins waren, — und, noch entlegener, da die Sonne ſich erſt aus dem kosmiſchen Hochofen eines Geſamtſyſtems löſte? ..... Der freieſte Ge¬ danke vermag das nicht mehr recht durchzudenken. Aber auch die freieſte Jahresziffer erlahmt ebenſo gewiß. In grauer Folge der Millionen wälzt es ſich zurück, zurück in die un¬ abſehbare Zeit, wie dort im gegenwärtigen All in den un¬ abſehbaren Raum. „Denn ſiehe: ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde ſchaffen.“ Der neue Himmel und die neue Erde, von denen einſt die Viſion des Propheten ſprach, iſt unſeren Tagen wirklich verliehen worden. Ein neuer Raum, eine neue Zeit. In ſolcher Umgebung erhalten alle alten Begriffe von ſelbſt ein neues Geſicht. Auf das winzigſte Ding fällt ein Abglanz dieſes in Wahrheit neuen Kosmos; man ſucht unwillkürlich ſeinen jetzt erſt kosmiſchen Sinn. Dieſer Granitblock iſt viel¬ leicht mit dabei geweſen in feuerbrodelnden Urtagen der Erd¬ entwickelung. Dieſes Bröckchen Schiefer entſtand, als der Ichthyoſaurus im Korallengrund räuberte. Dieſes unſcheinbare Stück Meteoreiſen ſtammt aus den Tiefen des Raums, hat vielleicht Siriusweiten durchmeſſen, iſt vielleicht ein Trümmer¬ teil einer Welt, die lange vor aller Erdenkultur geblüht hat, ihre Menſchen und ihre Sehnſucht trug — und in irgend einer Stunde verklungener Grauen in winzige Splitter zerborſten iſt. Die aber dabei ſo weit von uns abſteht, daß ihr Licht viel¬ leicht heute noch unſer Auge trifft, — Licht, das vor Ur¬ tagen von ihr ausging, als ſie noch war ..... Wie viel mehr müſſen vor ſolcher Sachlage die größten, tiefſten Dinge der Menſchheit in neuen Fluß kommen. Auch die Liebe. Das Auge ſucht ſie in den Millionen der Zeit, den Millionen des Raums. [Abbildung] 6

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/97>, abgerufen am 24.11.2024.