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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Und doch erzählt uns dieses Schattenheer uralter Ichthyo¬
saurier, das einst in Fleisch und Blut auf Erden war, von der
Liebe.

Zwischen den Rippen eines solchen Ichthyosaurus liegen
niedliche Miniaturausgaben des großen Muttertiers: ungeborene
Junge, mit der trächtigen Alten noch vor der Geburt von
irgend einem Sturm erstickt und im Schlamm begraben. Der
Ichthyosaurus legte keine Eier, sondern trug seine Kleinen
lebendig aus gleich unserer saffranbäuchigen Bergeidechse.

Kein Zweifel, daß diese Jungen im übrigen erzeugt waren
in regelrechtem Liebesakt, wie heute noch alle Reptile, alle
Wirbeltiere erzeugt werden. Durch körperliche Vermischung einer
Samenzelle und einer Eizelle. Durch einen gemeinsamen Akt
von Mann und Weib, der jedenfalls auch von einer heftigen
Liebesbrunst begleitet war. Die Ichthyosaurier waren wenigstens
zum Teil kolossale Tiere: bis zu zehn Metern Länge. Wenn
ihre enorme senkrechte Schwanzflosse die Wellen peitschte im
erotischen Sturm, so muß das kein schwächliches Schauspiel
gewesen sein. Vielleicht haben die Männchen vorher erbitterte
Kämpfe um den Besitz des Weibchens geführt, wie es heute
noch unsere kleinen Zauneidechsen an grüner Frühlingshalde
treiben, die sich gegenseitig zu regelrechtem Zweikampf stellen
und nicht eher ruhen, bis möglichst einem der beiden Rivalen
das zierliche Eidechsenschwänzchen abgebissen ist. Dort müssen
das allerdings Kämpfe gewesen sein, bei denen das Meer wie
vom biblischen Leviathan "siedete wie ein Topf". Vielleicht
hat dann der glückliche Sieger mit der schwer Errungenen den
wilden Liebesakt vollführt nach Art unserer Walfische, die zwar
keine Reptile, sondern Säugetiere sind, in vieler Hinsicht den
Ichthyosauriern aber mehr ähneln als irgend ein anderes leben¬
des oder ausgestorbenes Tier. Walfischmann und Walfischweib,
unter Umständen Riesen von mehr als zwanzig Metern Länge,
richten sich zur Zeugung im Wasser senkrecht auf und umfassen
sich mit den ungeheuren Vorderflossen. Dabei peitscht das

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Und doch erzählt uns dieſes Schattenheer uralter Ichthyo¬
ſaurier, das einſt in Fleiſch und Blut auf Erden war, von der
Liebe.

Zwiſchen den Rippen eines ſolchen Ichthyoſaurus liegen
niedliche Miniaturausgaben des großen Muttertiers: ungeborene
Junge, mit der trächtigen Alten noch vor der Geburt von
irgend einem Sturm erſtickt und im Schlamm begraben. Der
Ichthyoſaurus legte keine Eier, ſondern trug ſeine Kleinen
lebendig aus gleich unſerer ſaffranbäuchigen Bergeidechſe.

Kein Zweifel, daß dieſe Jungen im übrigen erzeugt waren
in regelrechtem Liebesakt, wie heute noch alle Reptile, alle
Wirbeltiere erzeugt werden. Durch körperliche Vermiſchung einer
Samenzelle und einer Eizelle. Durch einen gemeinſamen Akt
von Mann und Weib, der jedenfalls auch von einer heftigen
Liebesbrunſt begleitet war. Die Ichthyoſaurier waren wenigſtens
zum Teil koloſſale Tiere: bis zu zehn Metern Länge. Wenn
ihre enorme ſenkrechte Schwanzfloſſe die Wellen peitſchte im
erotiſchen Sturm, ſo muß das kein ſchwächliches Schauſpiel
geweſen ſein. Vielleicht haben die Männchen vorher erbitterte
Kämpfe um den Beſitz des Weibchens geführt, wie es heute
noch unſere kleinen Zauneidechſen an grüner Frühlingshalde
treiben, die ſich gegenſeitig zu regelrechtem Zweikampf ſtellen
und nicht eher ruhen, bis möglichſt einem der beiden Rivalen
das zierliche Eidechſenſchwänzchen abgebiſſen iſt. Dort müſſen
das allerdings Kämpfe geweſen ſein, bei denen das Meer wie
vom bibliſchen Leviathan „ſiedete wie ein Topf“. Vielleicht
hat dann der glückliche Sieger mit der ſchwer Errungenen den
wilden Liebesakt vollführt nach Art unſerer Walfiſche, die zwar
keine Reptile, ſondern Säugetiere ſind, in vieler Hinſicht den
Ichthyoſauriern aber mehr ähneln als irgend ein anderes leben¬
des oder ausgeſtorbenes Tier. Walfiſchmann und Walfiſchweib,
unter Umſtänden Rieſen von mehr als zwanzig Metern Länge,
richten ſich zur Zeugung im Waſſer ſenkrecht auf und umfaſſen
ſich mit den ungeheuren Vorderfloſſen. Dabei peitſcht das

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[83/0099] Und doch erzählt uns dieſes Schattenheer uralter Ichthyo¬ ſaurier, das einſt in Fleiſch und Blut auf Erden war, von der Liebe. Zwiſchen den Rippen eines ſolchen Ichthyoſaurus liegen niedliche Miniaturausgaben des großen Muttertiers: ungeborene Junge, mit der trächtigen Alten noch vor der Geburt von irgend einem Sturm erſtickt und im Schlamm begraben. Der Ichthyoſaurus legte keine Eier, ſondern trug ſeine Kleinen lebendig aus gleich unſerer ſaffranbäuchigen Bergeidechſe. Kein Zweifel, daß dieſe Jungen im übrigen erzeugt waren in regelrechtem Liebesakt, wie heute noch alle Reptile, alle Wirbeltiere erzeugt werden. Durch körperliche Vermiſchung einer Samenzelle und einer Eizelle. Durch einen gemeinſamen Akt von Mann und Weib, der jedenfalls auch von einer heftigen Liebesbrunſt begleitet war. Die Ichthyoſaurier waren wenigſtens zum Teil koloſſale Tiere: bis zu zehn Metern Länge. Wenn ihre enorme ſenkrechte Schwanzfloſſe die Wellen peitſchte im erotiſchen Sturm, ſo muß das kein ſchwächliches Schauſpiel geweſen ſein. Vielleicht haben die Männchen vorher erbitterte Kämpfe um den Beſitz des Weibchens geführt, wie es heute noch unſere kleinen Zauneidechſen an grüner Frühlingshalde treiben, die ſich gegenſeitig zu regelrechtem Zweikampf ſtellen und nicht eher ruhen, bis möglichſt einem der beiden Rivalen das zierliche Eidechſenſchwänzchen abgebiſſen iſt. Dort müſſen das allerdings Kämpfe geweſen ſein, bei denen das Meer wie vom bibliſchen Leviathan „ſiedete wie ein Topf“. Vielleicht hat dann der glückliche Sieger mit der ſchwer Errungenen den wilden Liebesakt vollführt nach Art unſerer Walfiſche, die zwar keine Reptile, ſondern Säugetiere ſind, in vieler Hinſicht den Ichthyoſauriern aber mehr ähneln als irgend ein anderes leben¬ des oder ausgeſtorbenes Tier. Walfiſchmann und Walfiſchweib, unter Umſtänden Rieſen von mehr als zwanzig Metern Länge, richten ſich zur Zeugung im Waſſer ſenkrecht auf und umfaſſen ſich mit den ungeheuren Vorderfloſſen. Dabei peitſcht das 6*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/99>, abgerufen am 21.11.2024.