eine wollüstig weiche Weltenhand, die da zwanzig Millionen Meilen weit herkommt, um dich zu streicheln, in die große Sehnsucht aller Kreatur gegen Licht und Sonne und Frühling einmal wieder -- nach so viel Winterschmerz der Seele -- einzuwiegen. Aber schließlich stehst du auf, ziehst deine Kleider an. Und auch ohne Sonne dringt es jetzt aus deinem weißen Leibe von innen heraus wie eine geheime Heizung. Kalt war dein Hemd, als es an dich rührte. Ein paar Minuten, und es ist warm. Von dir aus -- von der eigenen Wärmequelle deines Leibes. Er weiß sich eben selber beständig bis zu einer gewissen Temperatur zu heizen, dieser Leib. Und da weiß er etwas, wovon die Eidechse dort noch keine Ahnung hat.
Die Eidechse ist, was man mit gutem Wort so nennt, "wechselwarm". Ihr Blut richtet sich nach der Lufttemperatur draußen. Brennt ihr die liebe Sonne wacker auf die Schuppen¬ haut, so durchglüht sich auch ihr Inneres. Wenn aber die Nacht und der kalte Tau kommt, oder gar wenn es Winter wird, dann sinkt auch ihre Bluttemperatur bang und immer bänglicher herab, da wird es auch in ihr eisekalt. Ihr Atmen, ihr Blutkreislauf, ihr Stoffwechsel im ganzen Leibe -- sie haben noch nicht die Kraft, aus sich heraus so viel innerliche Wärme zu produzieren, daß der Körper sich dauernd ein ge¬ wisses Normalmaß wahren kann. Das giebt ihrem ganzen Dasein nun heute noch, wie es so vor dir steht, einen bestimmten Zug, der für dich nicht mehr existiert. Sie ist eigentlich in allem besten ein Sonnenkind. Nur wenn die liebe Sonne da oben für sie mitheizt, hat sie ihre gute Zeit. Da ist sie geistig regsam und munter, als ob sie einen köstlichen Feuerwein ge¬ schlürft hätte. Sobald aber auch nur eine gewisse Kühle mit der Sonnenwärme wechselt, sinkt alles jäh bei ihr, ihr Leben und Lieben und Herumtollen wird wie gelähmt. Und wenn es gar Winter giebt, Monde lang, dann liegt sie steif und starr wie ein regloser Klotz in irgend einem Winkel. Ein Persephone-Los ist ihr beschieden. Nur ein halbes Jahr
eine wollüſtig weiche Weltenhand, die da zwanzig Millionen Meilen weit herkommt, um dich zu ſtreicheln, in die große Sehnſucht aller Kreatur gegen Licht und Sonne und Frühling einmal wieder — nach ſo viel Winterſchmerz der Seele — einzuwiegen. Aber ſchließlich ſtehſt du auf, ziehſt deine Kleider an. Und auch ohne Sonne dringt es jetzt aus deinem weißen Leibe von innen heraus wie eine geheime Heizung. Kalt war dein Hemd, als es an dich rührte. Ein paar Minuten, und es iſt warm. Von dir aus — von der eigenen Wärmequelle deines Leibes. Er weiß ſich eben ſelber beſtändig bis zu einer gewiſſen Temperatur zu heizen, dieſer Leib. Und da weiß er etwas, wovon die Eidechſe dort noch keine Ahnung hat.
Die Eidechſe iſt, was man mit gutem Wort ſo nennt, „wechſelwarm“. Ihr Blut richtet ſich nach der Lufttemperatur draußen. Brennt ihr die liebe Sonne wacker auf die Schuppen¬ haut, ſo durchglüht ſich auch ihr Inneres. Wenn aber die Nacht und der kalte Tau kommt, oder gar wenn es Winter wird, dann ſinkt auch ihre Bluttemperatur bang und immer bänglicher herab, da wird es auch in ihr eiſekalt. Ihr Atmen, ihr Blutkreislauf, ihr Stoffwechſel im ganzen Leibe — ſie haben noch nicht die Kraft, aus ſich heraus ſo viel innerliche Wärme zu produzieren, daß der Körper ſich dauernd ein ge¬ wiſſes Normalmaß wahren kann. Das giebt ihrem ganzen Daſein nun heute noch, wie es ſo vor dir ſteht, einen beſtimmten Zug, der für dich nicht mehr exiſtiert. Sie iſt eigentlich in allem beſten ein Sonnenkind. Nur wenn die liebe Sonne da oben für ſie mitheizt, hat ſie ihre gute Zeit. Da iſt ſie geiſtig regſam und munter, als ob ſie einen köſtlichen Feuerwein ge¬ ſchlürft hätte. Sobald aber auch nur eine gewiſſe Kühle mit der Sonnenwärme wechſelt, ſinkt alles jäh bei ihr, ihr Leben und Lieben und Herumtollen wird wie gelähmt. Und wenn es gar Winter giebt, Monde lang, dann liegt ſie ſteif und ſtarr wie ein regloſer Klotz in irgend einem Winkel. Ein Perſephone-Los iſt ihr beſchieden. Nur ein halbes Jahr
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eine wollüſtig weiche Weltenhand, die da zwanzig Millionen
Meilen weit herkommt, um dich zu ſtreicheln, in die große
Sehnſucht aller Kreatur gegen Licht und Sonne und Frühling
einmal wieder — nach ſo viel Winterſchmerz der Seele —
einzuwiegen. Aber ſchließlich ſtehſt du auf, ziehſt deine Kleider
an. Und auch ohne Sonne dringt es jetzt aus deinem weißen
Leibe von innen heraus wie eine geheime Heizung. Kalt war
dein Hemd, als es an dich rührte. Ein paar Minuten, und
es iſt warm. Von dir aus — von der eigenen Wärmequelle
deines Leibes. Er weiß ſich eben ſelber beſtändig bis zu einer
gewiſſen Temperatur zu heizen, dieſer Leib. Und da weiß er
etwas, wovon die Eidechſe dort noch keine Ahnung hat.
Die Eidechſe iſt, was man mit gutem Wort ſo nennt,
„wechſelwarm“. Ihr Blut richtet ſich nach der Lufttemperatur
draußen. Brennt ihr die liebe Sonne wacker auf die Schuppen¬
haut, ſo durchglüht ſich auch ihr Inneres. Wenn aber die
Nacht und der kalte Tau kommt, oder gar wenn es Winter
wird, dann ſinkt auch ihre Bluttemperatur bang und immer
bänglicher herab, da wird es auch in ihr eiſekalt. Ihr Atmen,
ihr Blutkreislauf, ihr Stoffwechſel im ganzen Leibe — ſie
haben noch nicht die Kraft, aus ſich heraus ſo viel innerliche
Wärme zu produzieren, daß der Körper ſich dauernd ein ge¬
wiſſes Normalmaß wahren kann. Das giebt ihrem ganzen
Daſein nun heute noch, wie es ſo vor dir ſteht, einen beſtimmten
Zug, der für dich nicht mehr exiſtiert. Sie iſt eigentlich in
allem beſten ein Sonnenkind. Nur wenn die liebe Sonne da
oben für ſie mitheizt, hat ſie ihre gute Zeit. Da iſt ſie geiſtig
regſam und munter, als ob ſie einen köſtlichen Feuerwein ge¬
ſchlürft hätte. Sobald aber auch nur eine gewiſſe Kühle mit
der Sonnenwärme wechſelt, ſinkt alles jäh bei ihr, ihr Leben
und Lieben und Herumtollen wird wie gelähmt. Und wenn
es gar Winter giebt, Monde lang, dann liegt ſie ſteif und
ſtarr wie ein regloſer Klotz in irgend einem Winkel. Ein
Perſephone-Los iſt ihr beſchieden. Nur ein halbes Jahr
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/109>, abgerufen am 21.11.2024.
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