wirkliches Leben im Licht; und ein halbes Jahr öder Tartarus- Schlaf. In einem dauernd kalten Lande könnte sie überhaupt nicht leben. So liegt sie hier mit ihrem grünen Schuppen¬ hemd, ihrem langen Schwänzlein und ihren lustig funkelnden Augensternchen doch in diesem Punkte vor dir nur wie ein stehengebliebener Nachzügler -- ein kleiner Urwelts-Ritter, den die große Entwickelung schon einmal gewaltig hinter sich ge¬ lassen hat.
In sehr alten Tagen war's. Bei jenem Reptilien-Volk, das heute in unsern Museen steht, in versteinert schemenhaftem Rest noch abgeprägt auf morschen Schieferplatten. In der Triaszeit, Jurazeit und noch früher. Da wurden in para¬ diesisch warmem Sonnenlande, wo von Frost und Eis wohl zu¬ nächst noch keinerlei Rede war, gewisse Onkel dieser Eidechse immer lustiger, immer mutiger auf ihrem Landboden, den sie sich durch ihre dauernde Lungen-Atmung so endgültig erobert hatten. Die einen hüpften wie die Känguruhs auf den Hinter¬ beinen über den warmen Grasplan. Die anderen stiegen auf die Urwaldbäume, kletterten von Ast zu Ast und sprangen und jagten sich schließlich in kühnsten Sätzen von Baum zu Baum. Ihre Brust atmete immer wilder, der Stoffwechsel im ganzen Leibe mit seinem chemischen Verbrennungsprozeß ging hastiger vor sich als je, das Blut strömte in immer besserem Kreislauf durch den Leib. Da entstand zum erstenmal jene dauerhafte Innenerwärmung, zunächst wohl eigentlich nur als eine mehr oder minder belanglose Begleiterscheinung. Aber, einmal er¬ worben, erwies sie sich dann bald als weit mehr als das. Wenn das Klima sich verschlechterte, die Nächte kalt wurden oder gar Schneewehen kamen, wo vorher Tropenglut geherrscht hatte -- oder wenn der Daseinskampf mit Hungersnot, Über¬ völkerung oder Terrainveränderungen zu Wanderungen nach anderen, kühleren, nördlicheren Gegenden zwang -- da rettete diese dauernde Innenwärme jetzt vor dem Persephone-Fluch und half, zuerst durch zunehmende Regsamkeit geschaffen, jetzt
wirkliches Leben im Licht; und ein halbes Jahr öder Tartarus- Schlaf. In einem dauernd kalten Lande könnte ſie überhaupt nicht leben. So liegt ſie hier mit ihrem grünen Schuppen¬ hemd, ihrem langen Schwänzlein und ihren luſtig funkelnden Augenſternchen doch in dieſem Punkte vor dir nur wie ein ſtehengebliebener Nachzügler — ein kleiner Urwelts-Ritter, den die große Entwickelung ſchon einmal gewaltig hinter ſich ge¬ laſſen hat.
In ſehr alten Tagen war's. Bei jenem Reptilien-Volk, das heute in unſern Muſeen ſteht, in verſteinert ſchemenhaftem Reſt noch abgeprägt auf morſchen Schieferplatten. In der Triaszeit, Jurazeit und noch früher. Da wurden in para¬ dieſiſch warmem Sonnenlande, wo von Froſt und Eis wohl zu¬ nächſt noch keinerlei Rede war, gewiſſe Onkel dieſer Eidechſe immer luſtiger, immer mutiger auf ihrem Landboden, den ſie ſich durch ihre dauernde Lungen-Atmung ſo endgültig erobert hatten. Die einen hüpften wie die Känguruhs auf den Hinter¬ beinen über den warmen Grasplan. Die anderen ſtiegen auf die Urwaldbäume, kletterten von Aſt zu Aſt und ſprangen und jagten ſich ſchließlich in kühnſten Sätzen von Baum zu Baum. Ihre Bruſt atmete immer wilder, der Stoffwechſel im ganzen Leibe mit ſeinem chemiſchen Verbrennungsprozeß ging haſtiger vor ſich als je, das Blut ſtrömte in immer beſſerem Kreislauf durch den Leib. Da entſtand zum erſtenmal jene dauerhafte Innenerwärmung, zunächſt wohl eigentlich nur als eine mehr oder minder belangloſe Begleiterſcheinung. Aber, einmal er¬ worben, erwies ſie ſich dann bald als weit mehr als das. Wenn das Klima ſich verſchlechterte, die Nächte kalt wurden oder gar Schneewehen kamen, wo vorher Tropenglut geherrſcht hatte — oder wenn der Daſeinskampf mit Hungersnot, Über¬ völkerung oder Terrainveränderungen zu Wanderungen nach anderen, kühleren, nördlicheren Gegenden zwang — da rettete dieſe dauernde Innenwärme jetzt vor dem Perſephone-Fluch und half, zuerſt durch zunehmende Regſamkeit geſchaffen, jetzt
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[94/0110]
wirkliches Leben im Licht; und ein halbes Jahr öder Tartarus-
Schlaf. In einem dauernd kalten Lande könnte ſie überhaupt
nicht leben. So liegt ſie hier mit ihrem grünen Schuppen¬
hemd, ihrem langen Schwänzlein und ihren luſtig funkelnden
Augenſternchen doch in dieſem Punkte vor dir nur wie ein
ſtehengebliebener Nachzügler — ein kleiner Urwelts-Ritter, den
die große Entwickelung ſchon einmal gewaltig hinter ſich ge¬
laſſen hat.
In ſehr alten Tagen war's. Bei jenem Reptilien-Volk,
das heute in unſern Muſeen ſteht, in verſteinert ſchemenhaftem
Reſt noch abgeprägt auf morſchen Schieferplatten. In der
Triaszeit, Jurazeit und noch früher. Da wurden in para¬
dieſiſch warmem Sonnenlande, wo von Froſt und Eis wohl zu¬
nächſt noch keinerlei Rede war, gewiſſe Onkel dieſer Eidechſe
immer luſtiger, immer mutiger auf ihrem Landboden, den ſie
ſich durch ihre dauernde Lungen-Atmung ſo endgültig erobert
hatten. Die einen hüpften wie die Känguruhs auf den Hinter¬
beinen über den warmen Grasplan. Die anderen ſtiegen auf
die Urwaldbäume, kletterten von Aſt zu Aſt und ſprangen und
jagten ſich ſchließlich in kühnſten Sätzen von Baum zu Baum.
Ihre Bruſt atmete immer wilder, der Stoffwechſel im ganzen
Leibe mit ſeinem chemiſchen Verbrennungsprozeß ging haſtiger
vor ſich als je, das Blut ſtrömte in immer beſſerem Kreislauf
durch den Leib. Da entſtand zum erſtenmal jene dauerhafte
Innenerwärmung, zunächſt wohl eigentlich nur als eine mehr
oder minder belangloſe Begleiterſcheinung. Aber, einmal er¬
worben, erwies ſie ſich dann bald als weit mehr als das.
Wenn das Klima ſich verſchlechterte, die Nächte kalt wurden
oder gar Schneewehen kamen, wo vorher Tropenglut geherrſcht
hatte — oder wenn der Daſeinskampf mit Hungersnot, Über¬
völkerung oder Terrainveränderungen zu Wanderungen nach
anderen, kühleren, nördlicheren Gegenden zwang — da rettete
dieſe dauernde Innenwärme jetzt vor dem Perſephone-Fluch
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/110>, abgerufen am 24.11.2024.
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