Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

etwas, was du nicht bist. Es scheint ein Abweg, gleich bei
der ersten entschiedenen Staffel zu dir. Und doch ist es keiner.

Aus dem Halbaffen wurde eines Tages der echte Affe.
Jene bunte Reihe vom winzigen gelben Löwenäffchen bis zum
grotesken rotnasigen Mandrill und bis zum unheimlichen schwarzen
Gorilla, der dich an Größe und physischer Kraft überragt.
Vom Halbaffen schon erbte dieser Affe die vier Hände -- das
heißt: die Umwandlung auch der Hinterfüße zu Greiforganen.
Er aber kam damit noch eine Stufe weiter. Indem er die
Kletterei so intensiv wie möglich forttrieb, entstand eine Weile
ein Fortgang der Art, daß seine Vordergliedmaßen, seine Arme,
die immer mehr vorgriffen, während die Hinterhände bloß
stützten beim Klettern im Geäst, sich länger entwickelten als
die Hinterbeine. Das erreichte seinen Gipfel bei dem Gibbon-
Affen.

Einen Meter etwa hoch, klaftert er mit ausgebreiteten
Armen das doppelte. Gerade diese Gibbon-Affen hatten sich
nun sonst in allem sehr günstig weitergebildet. Ein solcher
Gibbon hat hinten schon keinen Schwanz mehr, genau wie du.
Ein solcher Gibbon singt dir die Tonleiter fehlerlos vor, was
kein Säugetier sonst kann.

Vom Nebelfleck an -- es giebt kein Gebilde der ganzen
dir bekannten Welt, das eine so verführerische Ähnlichkeit mit
dir hätte wie ein solcher Gibbon-Affe.

Bloß: auch er ist zunächst noch das ausgesprochenste
Klettertier. Er hat deine Gehfüße noch nicht. Ihn jetzt mit
dem Känguruh oder der Springmaus verquicken -- und wir
hätten dich! Halt aber. Er selber steigt vom Baum. Und
nun macht er dir vor, daß er thatsächlich mehr ist als Känguruh
und Springmaus. Durch seine Kletterei selbst hat er gerade
sie überwunden -- überwunden in demselben Augenblick, da er
zum erstenmal vom Baum herabsteigt.

[Abbildung]

etwas, was du nicht biſt. Es ſcheint ein Abweg, gleich bei
der erſten entſchiedenen Staffel zu dir. Und doch iſt es keiner.

Aus dem Halbaffen wurde eines Tages der echte Affe.
Jene bunte Reihe vom winzigen gelben Löwenäffchen bis zum
grotesken rotnaſigen Mandrill und bis zum unheimlichen ſchwarzen
Gorilla, der dich an Größe und phyſiſcher Kraft überragt.
Vom Halbaffen ſchon erbte dieſer Affe die vier Hände — das
heißt: die Umwandlung auch der Hinterfüße zu Greiforganen.
Er aber kam damit noch eine Stufe weiter. Indem er die
Kletterei ſo intenſiv wie möglich forttrieb, entſtand eine Weile
ein Fortgang der Art, daß ſeine Vordergliedmaßen, ſeine Arme,
die immer mehr vorgriffen, während die Hinterhände bloß
ſtützten beim Klettern im Geäſt, ſich länger entwickelten als
die Hinterbeine. Das erreichte ſeinen Gipfel bei dem Gibbon-
Affen.

Einen Meter etwa hoch, klaftert er mit ausgebreiteten
Armen das doppelte. Gerade dieſe Gibbon-Affen hatten ſich
nun ſonſt in allem ſehr günſtig weitergebildet. Ein ſolcher
Gibbon hat hinten ſchon keinen Schwanz mehr, genau wie du.
Ein ſolcher Gibbon ſingt dir die Tonleiter fehlerlos vor, was
kein Säugetier ſonſt kann.

Vom Nebelfleck an — es giebt kein Gebilde der ganzen
dir bekannten Welt, das eine ſo verführeriſche Ähnlichkeit mit
dir hätte wie ein ſolcher Gibbon-Affe.

Bloß: auch er iſt zunächſt noch das ausgeſprochenſte
Klettertier. Er hat deine Gehfüße noch nicht. Ihn jetzt mit
dem Känguruh oder der Springmaus verquicken — und wir
hätten dich! Halt aber. Er ſelber ſteigt vom Baum. Und
nun macht er dir vor, daß er thatſächlich mehr iſt als Känguruh
und Springmaus. Durch ſeine Kletterei ſelbſt hat er gerade
ſie überwunden — überwunden in demſelben Augenblick, da er
zum erſtenmal vom Baum herabſteigt.

[Abbildung] 
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0123" n="107"/>
etwas, was du nicht bi&#x017F;t. Es &#x017F;cheint ein Abweg, gleich bei<lb/>
der er&#x017F;ten ent&#x017F;chiedenen Staffel zu dir. Und doch i&#x017F;t es keiner.</p><lb/>
        <p>Aus dem Halbaffen wurde eines Tages der echte Affe.<lb/>
Jene bunte Reihe vom winzigen gelben Löwenäffchen bis zum<lb/>
grotesken rotna&#x017F;igen Mandrill und bis zum unheimlichen &#x017F;chwarzen<lb/>
Gorilla, der dich an Größe und phy&#x017F;i&#x017F;cher Kraft überragt.<lb/>
Vom Halbaffen &#x017F;chon erbte die&#x017F;er Affe die vier Hände &#x2014; das<lb/>
heißt: die Umwandlung auch der Hinterfüße zu Greiforganen.<lb/>
Er aber kam damit noch eine Stufe weiter. Indem er die<lb/>
Kletterei &#x017F;o inten&#x017F;iv wie möglich forttrieb, ent&#x017F;tand eine Weile<lb/>
ein Fortgang der Art, daß &#x017F;eine Vordergliedmaßen, &#x017F;eine Arme,<lb/>
die immer mehr <hi rendition="#g">vor</hi>griffen, während die Hinterhände bloß<lb/>
&#x017F;tützten beim Klettern im Geä&#x017F;t, &#x017F;ich <hi rendition="#g">länger</hi> entwickelten als<lb/>
die Hinterbeine. Das erreichte &#x017F;einen Gipfel bei dem Gibbon-<lb/>
Affen.</p><lb/>
        <p>Einen Meter etwa hoch, klaftert er mit ausgebreiteten<lb/>
Armen das doppelte. Gerade die&#x017F;e Gibbon-Affen hatten &#x017F;ich<lb/>
nun &#x017F;on&#x017F;t in allem &#x017F;ehr gün&#x017F;tig weitergebildet. Ein &#x017F;olcher<lb/>
Gibbon hat hinten &#x017F;chon keinen Schwanz mehr, genau wie du.<lb/>
Ein &#x017F;olcher Gibbon &#x017F;ingt dir die Tonleiter fehlerlos vor, was<lb/>
kein Säugetier &#x017F;on&#x017F;t kann.</p><lb/>
        <p>Vom Nebelfleck an &#x2014; es giebt kein Gebilde der ganzen<lb/>
dir bekannten Welt, das eine &#x017F;o verführeri&#x017F;che Ähnlichkeit mit<lb/>
dir hätte wie ein &#x017F;olcher Gibbon-Affe.</p><lb/>
        <p>Bloß: auch er i&#x017F;t zunäch&#x017F;t noch das ausge&#x017F;prochen&#x017F;te<lb/>
Klettertier. Er hat deine Gehfüße noch nicht. Ihn jetzt mit<lb/>
dem Känguruh oder der Springmaus verquicken &#x2014; und wir<lb/>
hätten dich! Halt aber. Er &#x017F;elber &#x017F;teigt vom Baum. Und<lb/>
nun macht er dir vor, daß er that&#x017F;ächlich mehr i&#x017F;t als Känguruh<lb/>
und Springmaus. Durch &#x017F;eine Kletterei &#x017F;elb&#x017F;t hat er gerade<lb/>
&#x017F;ie überwunden &#x2014; überwunden in dem&#x017F;elben Augenblick, da er<lb/>
zum er&#x017F;tenmal vom Baum herab&#x017F;teigt.</p><lb/>
        <figure/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0123] etwas, was du nicht biſt. Es ſcheint ein Abweg, gleich bei der erſten entſchiedenen Staffel zu dir. Und doch iſt es keiner. Aus dem Halbaffen wurde eines Tages der echte Affe. Jene bunte Reihe vom winzigen gelben Löwenäffchen bis zum grotesken rotnaſigen Mandrill und bis zum unheimlichen ſchwarzen Gorilla, der dich an Größe und phyſiſcher Kraft überragt. Vom Halbaffen ſchon erbte dieſer Affe die vier Hände — das heißt: die Umwandlung auch der Hinterfüße zu Greiforganen. Er aber kam damit noch eine Stufe weiter. Indem er die Kletterei ſo intenſiv wie möglich forttrieb, entſtand eine Weile ein Fortgang der Art, daß ſeine Vordergliedmaßen, ſeine Arme, die immer mehr vorgriffen, während die Hinterhände bloß ſtützten beim Klettern im Geäſt, ſich länger entwickelten als die Hinterbeine. Das erreichte ſeinen Gipfel bei dem Gibbon- Affen. Einen Meter etwa hoch, klaftert er mit ausgebreiteten Armen das doppelte. Gerade dieſe Gibbon-Affen hatten ſich nun ſonſt in allem ſehr günſtig weitergebildet. Ein ſolcher Gibbon hat hinten ſchon keinen Schwanz mehr, genau wie du. Ein ſolcher Gibbon ſingt dir die Tonleiter fehlerlos vor, was kein Säugetier ſonſt kann. Vom Nebelfleck an — es giebt kein Gebilde der ganzen dir bekannten Welt, das eine ſo verführeriſche Ähnlichkeit mit dir hätte wie ein ſolcher Gibbon-Affe. Bloß: auch er iſt zunächſt noch das ausgeſprochenſte Klettertier. Er hat deine Gehfüße noch nicht. Ihn jetzt mit dem Känguruh oder der Springmaus verquicken — und wir hätten dich! Halt aber. Er ſelber ſteigt vom Baum. Und nun macht er dir vor, daß er thatſächlich mehr iſt als Känguruh und Springmaus. Durch ſeine Kletterei ſelbſt hat er gerade ſie überwunden — überwunden in demſelben Augenblick, da er zum erſtenmal vom Baum herabſteigt. [Abbildung]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/123
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/123>, abgerufen am 24.11.2024.