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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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träumen ließen, darauf steuern wir in all unseren besten Mo¬
menten bereits bewußt hin: auf den Versuch, sämtliche fünfzehn¬
hundert Millionen Menschen zu einem Stock, einem Baum, einem
unermeßlichen erdumspannenden Riff zusammenzukeilen, -- zu
dem einen wahren Überindividuum, -- dem Übermenschen "Mensch¬
heit". Christus ist gewissermaßen der große Markstein, auf dem
diese oberste Stockbildung zum ersten Mal als Wegweisung bewußt
angeschrieben stand. Das Gebot "Liebe deinen Nächsten wie
dich selbst" war die allgewaltige Stockparole gegenüber der
alten Personenweisheit.

Aber lassen wir diese äußerste, immerhin ja doch auch
jetzt noch ideale und so zu sagen hypothetische Sache. Auch
ganz abgesehen von dem Menschheits-Begriff ist die gesamte
engere Geschichtsüberlieferung des Menschentiers eine einzige
große Folge von äußerst anschaulichen Stockbildungen. Alle
unsere Begriffe von Dörfern, Städten, Gemeinden, Innungen,
Kasten und Ständen, von Gesellschaft und Gesellschaftsschichten,
von Staaten, Geschlechtern, Völkern, Nationen im modernsten
Sinne, von sozialen Genossenschaften und so weiter und weiter,
-- sie fallen sämtlich hierher.

Dabei mußt du allerdings gewisse charakteristische Unter¬
schiede gegen jene Pflanzen-, Korallen- und Siphonophoren-
Stöcke nicht außer Acht lassen.

Du bist eben beim Menschen turmhoch über diesen
niederen Lebewesen. Der Zug zum Individualisieren, zur
Individuen-Bildung, der aus geheimnisvoller Ur-Wurzel durch
die ganze Natur heraufkommt, hat aus dir schon auf der
Stufe der einzelnen Menschen-Person etwas so Eigenartiges
geschaffen, daß darüber hinaus auch nur sehr eigenartige Wege
offen bleiben. Schließlich ist es ja der Individualisierungstrieb
der Natur selbst, der überall und so also auch bei dir wieder
auf noch höheren Zusammenschluß drängt und die Personen
mit Gewalt wieder genau so zu höheren Stock-Individuen
vereinheitlichen will, wie er tiefer unten die Zellen zu Personen

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träumen ließen, darauf ſteuern wir in all unſeren beſten Mo¬
menten bereits bewußt hin: auf den Verſuch, ſämtliche fünfzehn¬
hundert Millionen Menſchen zu einem Stock, einem Baum, einem
unermeßlichen erdumſpannenden Riff zuſammenzukeilen, — zu
dem einen wahren Überindividuum, — dem Übermenſchen „Menſch¬
heit“. Chriſtus iſt gewiſſermaßen der große Markſtein, auf dem
dieſe oberſte Stockbildung zum erſten Mal als Wegweiſung bewußt
angeſchrieben ſtand. Das Gebot „Liebe deinen Nächſten wie
dich ſelbſt“ war die allgewaltige Stockparole gegenüber der
alten Perſonenweisheit.

Aber laſſen wir dieſe äußerſte, immerhin ja doch auch
jetzt noch ideale und ſo zu ſagen hypothetiſche Sache. Auch
ganz abgeſehen von dem Menſchheits-Begriff iſt die geſamte
engere Geſchichtsüberlieferung des Menſchentiers eine einzige
große Folge von äußerſt anſchaulichen Stockbildungen. Alle
unſere Begriffe von Dörfern, Städten, Gemeinden, Innungen,
Kaſten und Ständen, von Geſellſchaft und Geſellſchaftsſchichten,
von Staaten, Geſchlechtern, Völkern, Nationen im modernſten
Sinne, von ſozialen Genoſſenſchaften und ſo weiter und weiter,
— ſie fallen ſämtlich hierher.

Dabei mußt du allerdings gewiſſe charakteriſtiſche Unter¬
ſchiede gegen jene Pflanzen-, Korallen- und Siphonophoren-
Stöcke nicht außer Acht laſſen.

Du biſt eben beim Menſchen turmhoch über dieſen
niederen Lebeweſen. Der Zug zum Individualiſieren, zur
Individuen-Bildung, der aus geheimnisvoller Ur-Wurzel durch
die ganze Natur heraufkommt, hat aus dir ſchon auf der
Stufe der einzelnen Menſchen-Perſon etwas ſo Eigenartiges
geſchaffen, daß darüber hinaus auch nur ſehr eigenartige Wege
offen bleiben. Schließlich iſt es ja der Individualiſierungstrieb
der Natur ſelbſt, der überall und ſo alſo auch bei dir wieder
auf noch höheren Zuſammenſchluß drängt und die Perſonen
mit Gewalt wieder genau ſo zu höheren Stock-Individuen
vereinheitlichen will, wie er tiefer unten die Zellen zu Perſonen

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[129/0145] träumen ließen, darauf ſteuern wir in all unſeren beſten Mo¬ menten bereits bewußt hin: auf den Verſuch, ſämtliche fünfzehn¬ hundert Millionen Menſchen zu einem Stock, einem Baum, einem unermeßlichen erdumſpannenden Riff zuſammenzukeilen, — zu dem einen wahren Überindividuum, — dem Übermenſchen „Menſch¬ heit“. Chriſtus iſt gewiſſermaßen der große Markſtein, auf dem dieſe oberſte Stockbildung zum erſten Mal als Wegweiſung bewußt angeſchrieben ſtand. Das Gebot „Liebe deinen Nächſten wie dich ſelbſt“ war die allgewaltige Stockparole gegenüber der alten Perſonenweisheit. Aber laſſen wir dieſe äußerſte, immerhin ja doch auch jetzt noch ideale und ſo zu ſagen hypothetiſche Sache. Auch ganz abgeſehen von dem Menſchheits-Begriff iſt die geſamte engere Geſchichtsüberlieferung des Menſchentiers eine einzige große Folge von äußerſt anſchaulichen Stockbildungen. Alle unſere Begriffe von Dörfern, Städten, Gemeinden, Innungen, Kaſten und Ständen, von Geſellſchaft und Geſellſchaftsſchichten, von Staaten, Geſchlechtern, Völkern, Nationen im modernſten Sinne, von ſozialen Genoſſenſchaften und ſo weiter und weiter, — ſie fallen ſämtlich hierher. Dabei mußt du allerdings gewiſſe charakteriſtiſche Unter¬ ſchiede gegen jene Pflanzen-, Korallen- und Siphonophoren- Stöcke nicht außer Acht laſſen. Du biſt eben beim Menſchen turmhoch über dieſen niederen Lebeweſen. Der Zug zum Individualiſieren, zur Individuen-Bildung, der aus geheimnisvoller Ur-Wurzel durch die ganze Natur heraufkommt, hat aus dir ſchon auf der Stufe der einzelnen Menſchen-Perſon etwas ſo Eigenartiges geſchaffen, daß darüber hinaus auch nur ſehr eigenartige Wege offen bleiben. Schließlich iſt es ja der Individualiſierungstrieb der Natur ſelbſt, der überall und ſo alſo auch bei dir wieder auf noch höheren Zuſammenſchluß drängt und die Perſonen mit Gewalt wieder genau ſo zu höheren Stock-Individuen vereinheitlichen will, wie er tiefer unten die Zellen zu Perſonen 9

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/145>, abgerufen am 21.11.2024.