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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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und letztlich aus allen, auch den wunderlichsten, etwas gelernt
hat. Unser Gespräch kehrt zu diesen besonderen Wertungen der
Distance- und Mischliebe noch ausführlich zurück. Was uns
hier nur interessieren soll, ist die einfache Thatsache eines
solchen Zwistes überhaupt.

Wo immer du in der Welt Rangzwiste dieser Art auftauchen
siehst, da muß der Gedanke als erster nahe liegen: es handle
sich wohl um einen Zwist zwischen Älter und Neuer.

Verschiedene Altersschichten lasten wie in jenem Bergwerk
da aufeinander. Und zwischen ihnen schwanken die Wertungen.
So hast du es in unserem Völkerleben, im sozialen Klassen¬
kampf, in den Meinungen der Religion wie der Naturforschung
über die Dinge Himmels und der Erden. Du hast es aber
noch in einem uns hier viel näheren Beispiel. Jene liebens¬
würdigen Wörtchen von "fleischlich, sinnlich, tierisch", die die ganz
lilienweiß gewordene Distanceliebe der blutroten Mischliebe
angehängt hat, weisen dir den rechten Weg. Es sind ja, wie
gesagt, die gleichen herzlichen Adjektiva, die von der Geistes¬
seite gelegentlich immer wieder überhaupt dem Leibe beigelegt
wurden.

Zwischen dem Teil deiner Individualität, den du für ge¬
wöhnlich Geist betitelst und dem anderen, den du Leib nennst,
besteht aber, das habe ich dir wohl genügend oben bewiesen --
ein ausgesprochenes Verhältnis von Alt und Neu. Dein
"Leib" ist die ältere Weisheit in dir, -- der engere Fleck da¬
gegen, auf dem du deinen "Geist" regsam fühlst, die jüngere.
Dein Leib besitzt die Schrift von Äonen, dein Geist ist deine
paar Jahre alt. Obwohl beide in deiner Individualität als
einem Höheren, Universaleren einbeschlossen, zeigen diese beiden
Stücke deswegen doch eine gewisse Gegensätzlichkeit. Der Leib
hat gegen den Geist etwas Plumpes, Riesiges, Erdrückendes.
Zugleich hat er aber etwas Automatisches, etwas von einem
eingedrillten Riesen, der Jahrmillionen auf dem Buckel schleppt,
durch diese Last aber auch in der Beweglichkeit und Freiheit

und letztlich aus allen, auch den wunderlichſten, etwas gelernt
hat. Unſer Geſpräch kehrt zu dieſen beſonderen Wertungen der
Diſtance- und Miſchliebe noch ausführlich zurück. Was uns
hier nur intereſſieren ſoll, iſt die einfache Thatſache eines
ſolchen Zwiſtes überhaupt.

Wo immer du in der Welt Rangzwiſte dieſer Art auftauchen
ſiehſt, da muß der Gedanke als erſter nahe liegen: es handle
ſich wohl um einen Zwiſt zwiſchen Älter und Neuer.

Verſchiedene Altersſchichten laſten wie in jenem Bergwerk
da aufeinander. Und zwiſchen ihnen ſchwanken die Wertungen.
So haſt du es in unſerem Völkerleben, im ſozialen Klaſſen¬
kampf, in den Meinungen der Religion wie der Naturforſchung
über die Dinge Himmels und der Erden. Du haſt es aber
noch in einem uns hier viel näheren Beiſpiel. Jene liebens¬
würdigen Wörtchen von „fleiſchlich, ſinnlich, tieriſch“, die die ganz
lilienweiß gewordene Diſtanceliebe der blutroten Miſchliebe
angehängt hat, weiſen dir den rechten Weg. Es ſind ja, wie
geſagt, die gleichen herzlichen Adjektiva, die von der Geiſtes¬
ſeite gelegentlich immer wieder überhaupt dem Leibe beigelegt
wurden.

Zwiſchen dem Teil deiner Individualität, den du für ge¬
wöhnlich Geiſt betitelſt und dem anderen, den du Leib nennſt,
beſteht aber, das habe ich dir wohl genügend oben bewieſen —
ein ausgeſprochenes Verhältnis von Alt und Neu. Dein
„Leib“ iſt die ältere Weisheit in dir, — der engere Fleck da¬
gegen, auf dem du deinen „Geiſt“ regſam fühlſt, die jüngere.
Dein Leib beſitzt die Schrift von Äonen, dein Geiſt iſt deine
paar Jahre alt. Obwohl beide in deiner Individualität als
einem Höheren, Univerſaleren einbeſchloſſen, zeigen dieſe beiden
Stücke deswegen doch eine gewiſſe Gegenſätzlichkeit. Der Leib
hat gegen den Geiſt etwas Plumpes, Rieſiges, Erdrückendes.
Zugleich hat er aber etwas Automatiſches, etwas von einem
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durch dieſe Laſt aber auch in der Beweglichkeit und Freiheit

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[157/0173] und letztlich aus allen, auch den wunderlichſten, etwas gelernt hat. Unſer Geſpräch kehrt zu dieſen beſonderen Wertungen der Diſtance- und Miſchliebe noch ausführlich zurück. Was uns hier nur intereſſieren ſoll, iſt die einfache Thatſache eines ſolchen Zwiſtes überhaupt. Wo immer du in der Welt Rangzwiſte dieſer Art auftauchen ſiehſt, da muß der Gedanke als erſter nahe liegen: es handle ſich wohl um einen Zwiſt zwiſchen Älter und Neuer. Verſchiedene Altersſchichten laſten wie in jenem Bergwerk da aufeinander. Und zwiſchen ihnen ſchwanken die Wertungen. So haſt du es in unſerem Völkerleben, im ſozialen Klaſſen¬ kampf, in den Meinungen der Religion wie der Naturforſchung über die Dinge Himmels und der Erden. Du haſt es aber noch in einem uns hier viel näheren Beiſpiel. Jene liebens¬ würdigen Wörtchen von „fleiſchlich, ſinnlich, tieriſch“, die die ganz lilienweiß gewordene Diſtanceliebe der blutroten Miſchliebe angehängt hat, weiſen dir den rechten Weg. Es ſind ja, wie geſagt, die gleichen herzlichen Adjektiva, die von der Geiſtes¬ ſeite gelegentlich immer wieder überhaupt dem Leibe beigelegt wurden. Zwiſchen dem Teil deiner Individualität, den du für ge¬ wöhnlich Geiſt betitelſt und dem anderen, den du Leib nennſt, beſteht aber, das habe ich dir wohl genügend oben bewieſen — ein ausgeſprochenes Verhältnis von Alt und Neu. Dein „Leib“ iſt die ältere Weisheit in dir, — der engere Fleck da¬ gegen, auf dem du deinen „Geiſt“ regſam fühlſt, die jüngere. Dein Leib beſitzt die Schrift von Äonen, dein Geiſt iſt deine paar Jahre alt. Obwohl beide in deiner Individualität als einem Höheren, Univerſaleren einbeſchloſſen, zeigen dieſe beiden Stücke deswegen doch eine gewiſſe Gegenſätzlichkeit. Der Leib hat gegen den Geiſt etwas Plumpes, Rieſiges, Erdrückendes. Zugleich hat er aber etwas Automatiſches, etwas von einem eingedrillten Rieſen, der Jahrmillionen auf dem Buckel ſchleppt, durch dieſe Laſt aber auch in der Beweglichkeit und Freiheit

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/173>, abgerufen am 22.11.2024.