seiner Handlungen stark eingeengt und gleichsam abgestumpft ist. Der Geist erscheint daneben wie ein unruhiges Zwerglein, das auf einem kleinen weißen Felde, das ihm der brave Handlangerriese Leib gewährt und schützt, unablässig Zukunfts¬ werte, Neuwerte in größter Hast aufzubauen sucht. Diesem Zwerglein leuchten keine Millionen von Jahren unmittelbar voran in seinem Thun. Was es erfährt von der Welt, ja vom eigenen Leibe, das muß es in ein paar Jahren ins reine unbeschriebene Feld sich erst hastig hineinraffen. Aber mit diesen paar gerafften Stücken vollführt es nun ein solches freies Jongleurspiel in tausend neue Möglichkeiten hinein, sie zwingt es in einen solchen neuen Tanz über alle Körperweisheit hinaus, daß schließlich wirklich der ganze Fortschritt der Ent¬ wickelung auf diesem Erdplaneten durch die nervöse Neuarbeit dieser Geisteszwerglein läuft. Und da das Zwerglein mit seiner bengalisch hellen Bewußtseinsfackel das selber sehr genau sieht, so ists im Grunde kein allzu großes Wunder, daß es sich für das eigentlich Wichtige und den Leib etwa bloß für einen wirklichen ganz kreuzdummen Handlanger, eine Art notwendigen Übels, hält. Und so entsteht ein Konflikt im Innern des Individuums selbst, ein Konflikt in seinen Teilen, von denen der eine den anderen mit Injurien bewirft. Der Geist macht sich lustig über den dummen Leib.
In Wahrheit ist's ja bloß eine Dummheit. Dein Indivi¬ duum braucht den Leib sowohl wie den Geist. Dein Leib ist die ungeheure Quaderfolge deiner Äonen-Vergangenheit. Dein Geist ist dagegen gleichsam die von allem Druck dieser Quader¬ last frei gegebene Stelle, auf der sich neues entwickeln, neues ansetzen soll, -- die ideale Oberfläche. Gewiß: dein "Leib" ist das Tierische, denn er umfaßt eben noch das ganze Tier, das einmal "Du" war. Dein "Geist" dagegen ist der nackte Sonnenjüngling da oben, der immerfort nach Zukunftswerten ausschaut und in dessen Gesichtsfeld allerdings nicht mehr das überstandene Beuteltier oder der überstandene Affe steht, sondern
ſeiner Handlungen ſtark eingeengt und gleichſam abgeſtumpft iſt. Der Geiſt erſcheint daneben wie ein unruhiges Zwerglein, das auf einem kleinen weißen Felde, das ihm der brave Handlangerrieſe Leib gewährt und ſchützt, unabläſſig Zukunfts¬ werte, Neuwerte in größter Haſt aufzubauen ſucht. Dieſem Zwerglein leuchten keine Millionen von Jahren unmittelbar voran in ſeinem Thun. Was es erfährt von der Welt, ja vom eigenen Leibe, das muß es in ein paar Jahren ins reine unbeſchriebene Feld ſich erſt haſtig hineinraffen. Aber mit dieſen paar gerafften Stücken vollführt es nun ein ſolches freies Jongleurſpiel in tauſend neue Möglichkeiten hinein, ſie zwingt es in einen ſolchen neuen Tanz über alle Körperweisheit hinaus, daß ſchließlich wirklich der ganze Fortſchritt der Ent¬ wickelung auf dieſem Erdplaneten durch die nervöſe Neuarbeit dieſer Geiſteszwerglein läuft. Und da das Zwerglein mit ſeiner bengaliſch hellen Bewußtſeinsfackel das ſelber ſehr genau ſieht, ſo iſts im Grunde kein allzu großes Wunder, daß es ſich für das eigentlich Wichtige und den Leib etwa bloß für einen wirklichen ganz kreuzdummen Handlanger, eine Art notwendigen Übels, hält. Und ſo entſteht ein Konflikt im Innern des Individuums ſelbſt, ein Konflikt in ſeinen Teilen, von denen der eine den anderen mit Injurien bewirft. Der Geiſt macht ſich luſtig über den dummen Leib.
In Wahrheit iſt's ja bloß eine Dummheit. Dein Indivi¬ duum braucht den Leib ſowohl wie den Geiſt. Dein Leib iſt die ungeheure Quaderfolge deiner Äonen-Vergangenheit. Dein Geiſt iſt dagegen gleichſam die von allem Druck dieſer Quader¬ laſt frei gegebene Stelle, auf der ſich neues entwickeln, neues anſetzen ſoll, — die ideale Oberfläche. Gewiß: dein „Leib“ iſt das Tieriſche, denn er umfaßt eben noch das ganze Tier, das einmal „Du“ war. Dein „Geiſt“ dagegen iſt der nackte Sonnenjüngling da oben, der immerfort nach Zukunftswerten ausſchaut und in deſſen Geſichtsfeld allerdings nicht mehr das überſtandene Beuteltier oder der überſtandene Affe ſteht, ſondern
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0174"n="158"/>ſeiner Handlungen ſtark eingeengt und gleichſam abgeſtumpft<lb/>
iſt. Der Geiſt erſcheint daneben wie ein unruhiges Zwerglein,<lb/>
das auf einem kleinen weißen Felde, das ihm der brave<lb/>
Handlangerrieſe Leib gewährt und ſchützt, unabläſſig Zukunfts¬<lb/>
werte, Neuwerte in größter Haſt aufzubauen ſucht. Dieſem<lb/>
Zwerglein leuchten keine Millionen von Jahren unmittelbar<lb/>
voran in ſeinem Thun. Was es erfährt von der Welt, ja<lb/>
vom eigenen Leibe, das muß es in ein paar Jahren ins reine<lb/>
unbeſchriebene Feld ſich erſt haſtig hineinraffen. Aber mit<lb/>
dieſen paar gerafften Stücken vollführt es nun ein ſolches freies<lb/>
Jongleurſpiel in tauſend neue Möglichkeiten hinein, ſie zwingt<lb/>
es in einen ſolchen neuen Tanz über alle Körperweisheit<lb/>
hinaus, daß ſchließlich wirklich der ganze Fortſchritt der Ent¬<lb/>
wickelung auf dieſem Erdplaneten durch die nervöſe Neuarbeit<lb/>
dieſer Geiſteszwerglein läuft. Und da das Zwerglein mit ſeiner<lb/>
bengaliſch hellen Bewußtſeinsfackel das ſelber ſehr genau ſieht,<lb/>ſo iſts im Grunde kein allzu großes Wunder, daß es ſich für<lb/>
das eigentlich Wichtige und den Leib etwa bloß für einen<lb/>
wirklichen ganz kreuzdummen Handlanger, eine Art notwendigen<lb/>
Übels, hält. Und ſo entſteht ein Konflikt im Innern des<lb/>
Individuums ſelbſt, ein Konflikt in ſeinen Teilen, von denen<lb/>
der eine den anderen mit Injurien bewirft. Der Geiſt macht<lb/>ſich luſtig über den dummen Leib.</p><lb/><p>In Wahrheit iſt's ja bloß eine Dummheit. Dein Indivi¬<lb/>
duum braucht den Leib ſowohl wie den Geiſt. Dein Leib iſt<lb/>
die ungeheure Quaderfolge deiner Äonen-Vergangenheit. Dein<lb/>
Geiſt iſt dagegen gleichſam die von allem Druck dieſer Quader¬<lb/>
laſt frei gegebene Stelle, auf der ſich neues entwickeln, neues<lb/>
anſetzen ſoll, — die ideale Oberfläche. Gewiß: dein „Leib“<lb/>
iſt das Tieriſche, denn er umfaßt eben noch das ganze Tier,<lb/>
das einmal „Du“ war. Dein „Geiſt“ dagegen iſt der nackte<lb/>
Sonnenjüngling da oben, der immerfort nach <hirendition="#g">Zukunft</hi>swerten<lb/>
ausſchaut und in deſſen Geſichtsfeld allerdings nicht mehr das<lb/>
überſtandene Beuteltier oder der überſtandene Affe ſteht, ſondern<lb/></p></div></body></text></TEI>
[158/0174]
ſeiner Handlungen ſtark eingeengt und gleichſam abgeſtumpft
iſt. Der Geiſt erſcheint daneben wie ein unruhiges Zwerglein,
das auf einem kleinen weißen Felde, das ihm der brave
Handlangerrieſe Leib gewährt und ſchützt, unabläſſig Zukunfts¬
werte, Neuwerte in größter Haſt aufzubauen ſucht. Dieſem
Zwerglein leuchten keine Millionen von Jahren unmittelbar
voran in ſeinem Thun. Was es erfährt von der Welt, ja
vom eigenen Leibe, das muß es in ein paar Jahren ins reine
unbeſchriebene Feld ſich erſt haſtig hineinraffen. Aber mit
dieſen paar gerafften Stücken vollführt es nun ein ſolches freies
Jongleurſpiel in tauſend neue Möglichkeiten hinein, ſie zwingt
es in einen ſolchen neuen Tanz über alle Körperweisheit
hinaus, daß ſchließlich wirklich der ganze Fortſchritt der Ent¬
wickelung auf dieſem Erdplaneten durch die nervöſe Neuarbeit
dieſer Geiſteszwerglein läuft. Und da das Zwerglein mit ſeiner
bengaliſch hellen Bewußtſeinsfackel das ſelber ſehr genau ſieht,
ſo iſts im Grunde kein allzu großes Wunder, daß es ſich für
das eigentlich Wichtige und den Leib etwa bloß für einen
wirklichen ganz kreuzdummen Handlanger, eine Art notwendigen
Übels, hält. Und ſo entſteht ein Konflikt im Innern des
Individuums ſelbſt, ein Konflikt in ſeinen Teilen, von denen
der eine den anderen mit Injurien bewirft. Der Geiſt macht
ſich luſtig über den dummen Leib.
In Wahrheit iſt's ja bloß eine Dummheit. Dein Indivi¬
duum braucht den Leib ſowohl wie den Geiſt. Dein Leib iſt
die ungeheure Quaderfolge deiner Äonen-Vergangenheit. Dein
Geiſt iſt dagegen gleichſam die von allem Druck dieſer Quader¬
laſt frei gegebene Stelle, auf der ſich neues entwickeln, neues
anſetzen ſoll, — die ideale Oberfläche. Gewiß: dein „Leib“
iſt das Tieriſche, denn er umfaßt eben noch das ganze Tier,
das einmal „Du“ war. Dein „Geiſt“ dagegen iſt der nackte
Sonnenjüngling da oben, der immerfort nach Zukunftswerten
ausſchaut und in deſſen Geſichtsfeld allerdings nicht mehr das
überſtandene Beuteltier oder der überſtandene Affe ſteht, ſondern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/174>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.