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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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seiner Handlungen stark eingeengt und gleichsam abgestumpft
ist. Der Geist erscheint daneben wie ein unruhiges Zwerglein,
das auf einem kleinen weißen Felde, das ihm der brave
Handlangerriese Leib gewährt und schützt, unablässig Zukunfts¬
werte, Neuwerte in größter Hast aufzubauen sucht. Diesem
Zwerglein leuchten keine Millionen von Jahren unmittelbar
voran in seinem Thun. Was es erfährt von der Welt, ja
vom eigenen Leibe, das muß es in ein paar Jahren ins reine
unbeschriebene Feld sich erst hastig hineinraffen. Aber mit
diesen paar gerafften Stücken vollführt es nun ein solches freies
Jongleurspiel in tausend neue Möglichkeiten hinein, sie zwingt
es in einen solchen neuen Tanz über alle Körperweisheit
hinaus, daß schließlich wirklich der ganze Fortschritt der Ent¬
wickelung auf diesem Erdplaneten durch die nervöse Neuarbeit
dieser Geisteszwerglein läuft. Und da das Zwerglein mit seiner
bengalisch hellen Bewußtseinsfackel das selber sehr genau sieht,
so ists im Grunde kein allzu großes Wunder, daß es sich für
das eigentlich Wichtige und den Leib etwa bloß für einen
wirklichen ganz kreuzdummen Handlanger, eine Art notwendigen
Übels, hält. Und so entsteht ein Konflikt im Innern des
Individuums selbst, ein Konflikt in seinen Teilen, von denen
der eine den anderen mit Injurien bewirft. Der Geist macht
sich lustig über den dummen Leib.

In Wahrheit ist's ja bloß eine Dummheit. Dein Indivi¬
duum braucht den Leib sowohl wie den Geist. Dein Leib ist
die ungeheure Quaderfolge deiner Äonen-Vergangenheit. Dein
Geist ist dagegen gleichsam die von allem Druck dieser Quader¬
last frei gegebene Stelle, auf der sich neues entwickeln, neues
ansetzen soll, -- die ideale Oberfläche. Gewiß: dein "Leib"
ist das Tierische, denn er umfaßt eben noch das ganze Tier,
das einmal "Du" war. Dein "Geist" dagegen ist der nackte
Sonnenjüngling da oben, der immerfort nach Zukunftswerten
ausschaut und in dessen Gesichtsfeld allerdings nicht mehr das
überstandene Beuteltier oder der überstandene Affe steht, sondern

ſeiner Handlungen ſtark eingeengt und gleichſam abgeſtumpft
iſt. Der Geiſt erſcheint daneben wie ein unruhiges Zwerglein,
das auf einem kleinen weißen Felde, das ihm der brave
Handlangerrieſe Leib gewährt und ſchützt, unabläſſig Zukunfts¬
werte, Neuwerte in größter Haſt aufzubauen ſucht. Dieſem
Zwerglein leuchten keine Millionen von Jahren unmittelbar
voran in ſeinem Thun. Was es erfährt von der Welt, ja
vom eigenen Leibe, das muß es in ein paar Jahren ins reine
unbeſchriebene Feld ſich erſt haſtig hineinraffen. Aber mit
dieſen paar gerafften Stücken vollführt es nun ein ſolches freies
Jongleurſpiel in tauſend neue Möglichkeiten hinein, ſie zwingt
es in einen ſolchen neuen Tanz über alle Körperweisheit
hinaus, daß ſchließlich wirklich der ganze Fortſchritt der Ent¬
wickelung auf dieſem Erdplaneten durch die nervöſe Neuarbeit
dieſer Geiſteszwerglein läuft. Und da das Zwerglein mit ſeiner
bengaliſch hellen Bewußtſeinsfackel das ſelber ſehr genau ſieht,
ſo iſts im Grunde kein allzu großes Wunder, daß es ſich für
das eigentlich Wichtige und den Leib etwa bloß für einen
wirklichen ganz kreuzdummen Handlanger, eine Art notwendigen
Übels, hält. Und ſo entſteht ein Konflikt im Innern des
Individuums ſelbſt, ein Konflikt in ſeinen Teilen, von denen
der eine den anderen mit Injurien bewirft. Der Geiſt macht
ſich luſtig über den dummen Leib.

In Wahrheit iſt's ja bloß eine Dummheit. Dein Indivi¬
duum braucht den Leib ſowohl wie den Geiſt. Dein Leib iſt
die ungeheure Quaderfolge deiner Äonen-Vergangenheit. Dein
Geiſt iſt dagegen gleichſam die von allem Druck dieſer Quader¬
laſt frei gegebene Stelle, auf der ſich neues entwickeln, neues
anſetzen ſoll, — die ideale Oberfläche. Gewiß: dein „Leib“
iſt das Tieriſche, denn er umfaßt eben noch das ganze Tier,
das einmal „Du“ war. Dein „Geiſt“ dagegen iſt der nackte
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[158/0174] ſeiner Handlungen ſtark eingeengt und gleichſam abgeſtumpft iſt. Der Geiſt erſcheint daneben wie ein unruhiges Zwerglein, das auf einem kleinen weißen Felde, das ihm der brave Handlangerrieſe Leib gewährt und ſchützt, unabläſſig Zukunfts¬ werte, Neuwerte in größter Haſt aufzubauen ſucht. Dieſem Zwerglein leuchten keine Millionen von Jahren unmittelbar voran in ſeinem Thun. Was es erfährt von der Welt, ja vom eigenen Leibe, das muß es in ein paar Jahren ins reine unbeſchriebene Feld ſich erſt haſtig hineinraffen. Aber mit dieſen paar gerafften Stücken vollführt es nun ein ſolches freies Jongleurſpiel in tauſend neue Möglichkeiten hinein, ſie zwingt es in einen ſolchen neuen Tanz über alle Körperweisheit hinaus, daß ſchließlich wirklich der ganze Fortſchritt der Ent¬ wickelung auf dieſem Erdplaneten durch die nervöſe Neuarbeit dieſer Geiſteszwerglein läuft. Und da das Zwerglein mit ſeiner bengaliſch hellen Bewußtſeinsfackel das ſelber ſehr genau ſieht, ſo iſts im Grunde kein allzu großes Wunder, daß es ſich für das eigentlich Wichtige und den Leib etwa bloß für einen wirklichen ganz kreuzdummen Handlanger, eine Art notwendigen Übels, hält. Und ſo entſteht ein Konflikt im Innern des Individuums ſelbſt, ein Konflikt in ſeinen Teilen, von denen der eine den anderen mit Injurien bewirft. Der Geiſt macht ſich luſtig über den dummen Leib. In Wahrheit iſt's ja bloß eine Dummheit. Dein Indivi¬ duum braucht den Leib ſowohl wie den Geiſt. Dein Leib iſt die ungeheure Quaderfolge deiner Äonen-Vergangenheit. Dein Geiſt iſt dagegen gleichſam die von allem Druck dieſer Quader¬ laſt frei gegebene Stelle, auf der ſich neues entwickeln, neues anſetzen ſoll, — die ideale Oberfläche. Gewiß: dein „Leib“ iſt das Tieriſche, denn er umfaßt eben noch das ganze Tier, das einmal „Du“ war. Dein „Geiſt“ dagegen iſt der nackte Sonnenjüngling da oben, der immerfort nach Zukunftswerten ausſchaut und in deſſen Geſichtsfeld allerdings nicht mehr das überſtandene Beuteltier oder der überſtandene Affe ſteht, ſondern

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/174>, abgerufen am 22.11.2024.