lebendigen Stoffes darstellen immer erst von der Größe eines bescheidensten Tintenklexchens, -- zur Schnur gereiht überträfen sie nur unbedeutend die Länge dieses Gedankenstriches. Zwanzig Samenzellen so der Länge nach aneinandergelegt erschienen daneben erst gar wie ein feinstes Spritzchen, ein Komma von gerade einem Millimeter Ausdehnung.
Mit diesen Mitteln also ließ sich alles erreichen. Es brauchte bloß noch der Geschlechtsakt so festgestellt zu werden, daß er unter allen Umständen, wenn er überhaupt zu stande kam, auch wirklich eine Samenzelle mit einer Eizelle zusammenbrachte. Vom Boden einer zweckmäßigen "Erschaffung" hätte das wohl am wenigsten Mühe machen sollen. Wir Menschen selber, die wir doch überall erst in den Kinderschuhen des eigenen be¬ wußten Könnens stehen, wir vollziehen ja schon bei den ver¬ schiedensten Gelegenheiten den Akt der Übertragung von Körperzellen eines lebenden Wesens auf andere mit einer fast unfehlbaren Sicherheit. Wir okulieren und pfropfen als Gärtner ein Edelreis auf einen Wildling, zwingen also den Sproß einer besseren, feineren Obstpflanze zu einer Ver¬ wachsung, einer Art äußerlicher und nachträglicher Zeugung mit einer geringeren Sorte. Wir verpflanzen am Menschen¬ körper als Arzt, der die Kunst der Transplantation übt, lebende Hautstücke, um Wunden zu decken oder gar eine neue künstliche Nase zu bilden. Und bei unseren Schützlingen aus Tier- und Pflanzenreich nehmen wir mehrfach sogar geradezu den geschlechtlichen Befruchtungsakt in die Hand: wir be¬ fruchten künstlich Fischeier unserer Züchtereien mit Fischsamen, und seit uralten Tagen wird die Dattelpalme von Menschen¬ hand ganz gewohnheitsmäßig begattet, indem der Samen von dem männlichen Blütenkolben in die offene weibliche Blüte der Palme gestopft wird; Jahre lang kann dieser Palmsamen sogar aufbewahrt werden wie Schnupftabak und genügt immer noch, wenn der Gärtner ihn braucht. Wie viel mehr sollte der Schöpfer es verstanden haben, den Menschen so zu bauen,
lebendigen Stoffes darſtellen immer erſt von der Größe eines beſcheidenſten Tintenklexchens, — zur Schnur gereiht überträfen ſie nur unbedeutend die Länge dieſes Gedankenſtriches. Zwanzig Samenzellen ſo der Länge nach aneinandergelegt erſchienen daneben erſt gar wie ein feinſtes Spritzchen, ein Komma von gerade einem Millimeter Ausdehnung.
Mit dieſen Mitteln alſo ließ ſich alles erreichen. Es brauchte bloß noch der Geſchlechtsakt ſo feſtgeſtellt zu werden, daß er unter allen Umſtänden, wenn er überhaupt zu ſtande kam, auch wirklich eine Samenzelle mit einer Eizelle zuſammenbrachte. Vom Boden einer zweckmäßigen „Erſchaffung“ hätte das wohl am wenigſten Mühe machen ſollen. Wir Menſchen ſelber, die wir doch überall erſt in den Kinderſchuhen des eigenen be¬ wußten Könnens ſtehen, wir vollziehen ja ſchon bei den ver¬ ſchiedenſten Gelegenheiten den Akt der Übertragung von Körperzellen eines lebenden Weſens auf andere mit einer faſt unfehlbaren Sicherheit. Wir okulieren und pfropfen als Gärtner ein Edelreis auf einen Wildling, zwingen alſo den Sproß einer beſſeren, feineren Obſtpflanze zu einer Ver¬ wachſung, einer Art äußerlicher und nachträglicher Zeugung mit einer geringeren Sorte. Wir verpflanzen am Menſchen¬ körper als Arzt, der die Kunſt der Transplantation übt, lebende Hautſtücke, um Wunden zu decken oder gar eine neue künſtliche Naſe zu bilden. Und bei unſeren Schützlingen aus Tier- und Pflanzenreich nehmen wir mehrfach ſogar geradezu den geſchlechtlichen Befruchtungsakt in die Hand: wir be¬ fruchten künſtlich Fiſcheier unſerer Züchtereien mit Fiſchſamen, und ſeit uralten Tagen wird die Dattelpalme von Menſchen¬ hand ganz gewohnheitsmäßig begattet, indem der Samen von dem männlichen Blütenkolben in die offene weibliche Blüte der Palme geſtopft wird; Jahre lang kann dieſer Palmſamen ſogar aufbewahrt werden wie Schnupftabak und genügt immer noch, wenn der Gärtner ihn braucht. Wie viel mehr ſollte der Schöpfer es verſtanden haben, den Menſchen ſo zu bauen,
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lebendigen Stoffes darſtellen immer erſt von der Größe eines
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ſie nur unbedeutend die Länge dieſes Gedankenſtriches. Zwanzig
Samenzellen ſo der Länge nach aneinandergelegt erſchienen
daneben erſt gar wie ein feinſtes Spritzchen, ein Komma von
gerade einem Millimeter Ausdehnung.
Mit dieſen Mitteln alſo ließ ſich alles erreichen. Es brauchte
bloß noch der Geſchlechtsakt ſo feſtgeſtellt zu werden, daß er
unter allen Umſtänden, wenn er überhaupt zu ſtande kam,
auch wirklich eine Samenzelle mit einer Eizelle zuſammenbrachte.
Vom Boden einer zweckmäßigen „Erſchaffung“ hätte das wohl
am wenigſten Mühe machen ſollen. Wir Menſchen ſelber, die
wir doch überall erſt in den Kinderſchuhen des eigenen be¬
wußten Könnens ſtehen, wir vollziehen ja ſchon bei den ver¬
ſchiedenſten Gelegenheiten den Akt der Übertragung von
Körperzellen eines lebenden Weſens auf andere mit einer faſt
unfehlbaren Sicherheit. Wir okulieren und pfropfen als
Gärtner ein Edelreis auf einen Wildling, zwingen alſo den
Sproß einer beſſeren, feineren Obſtpflanze zu einer Ver¬
wachſung, einer Art äußerlicher und nachträglicher Zeugung
mit einer geringeren Sorte. Wir verpflanzen am Menſchen¬
körper als Arzt, der die Kunſt der Transplantation übt,
lebende Hautſtücke, um Wunden zu decken oder gar eine neue
künſtliche Naſe zu bilden. Und bei unſeren Schützlingen aus
Tier- und Pflanzenreich nehmen wir mehrfach ſogar geradezu
den geſchlechtlichen Befruchtungsakt in die Hand: wir be¬
fruchten künſtlich Fiſcheier unſerer Züchtereien mit Fiſchſamen,
und ſeit uralten Tagen wird die Dattelpalme von Menſchen¬
hand ganz gewohnheitsmäßig begattet, indem der Samen von
dem männlichen Blütenkolben in die offene weibliche Blüte
der Palme geſtopft wird; Jahre lang kann dieſer Palmſamen
ſogar aufbewahrt werden wie Schnupftabak und genügt immer
noch, wenn der Gärtner ihn braucht. Wie viel mehr ſollte
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/185>, abgerufen am 22.11.2024.
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