Pausen, auch wenn der Akt der wahren Zellmischung einmal stattgefunden hat, denn die Dauerliebe berührt ihn in diesem Punkte nicht mehr. Er wandert fort von dem einen Weibe, wo der heilige Naturzweck sich erfüllt hat, und die Kraft ist fast augenblicklich von neuem da, mit ihrer ganzen Siegergewalt, ihrem allfortreißenden Zwang und ihrer Gewißheit neuer Siege, sobald nur die rechte Gelegenheit vom Weibe her ge¬ geben ist.
In diesem Falle ist das Mißverhältnis zwischen Zwang und Zweck so ungeheuerlich, daß es den Menschen zum Denken genötigt hat, so lange er überhaupt denken kann. Lange, ehe man von dem Verschwendungs-Mysterium beim Weibe auch nur eine Ahnung besaß. Beim Weibe vollzieht sich das alles ja geheimnisvoll innerlich. Man kannte weder die Eierstöcke, noch das Ei selbst. Und man ahnte nicht, was die Menstruation bedeutete. Aber in schlichtester Praxis hatte man der Weisheit des Leibes abgelernt, daß der Mannessamen unbedingt nötig sei, um ein Kind zu erzeugen. Jahrtausende lang glaubte man sogar, das Weib sei bloß das schwarze nährende Erdreich, in das der Mann durch seine Kraft erst die wahre göttliche Blume pflanze. Im Samentierchen hat man noch vor zweihundert Jahren ein ganzes Menschlein, einen wahren Homunkulus ge¬ gesucht, der im Mutterleibe sich nur auswickeln und wachsen sollte. Aber je höher man sich diese Ahnung nun treiben mochte und bis in was immer für Mißverständnisse hinein: um so furchtbarer mußte die Vergeudung jetzt gerade dieses kostbaren Samens vor Augen treten.
[Abbildung]
Pauſen, auch wenn der Akt der wahren Zellmiſchung einmal ſtattgefunden hat, denn die Dauerliebe berührt ihn in dieſem Punkte nicht mehr. Er wandert fort von dem einen Weibe, wo der heilige Naturzweck ſich erfüllt hat, und die Kraft iſt faſt augenblicklich von neuem da, mit ihrer ganzen Siegergewalt, ihrem allfortreißenden Zwang und ihrer Gewißheit neuer Siege, ſobald nur die rechte Gelegenheit vom Weibe her ge¬ geben iſt.
In dieſem Falle iſt das Mißverhältnis zwiſchen Zwang und Zweck ſo ungeheuerlich, daß es den Menſchen zum Denken genötigt hat, ſo lange er überhaupt denken kann. Lange, ehe man von dem Verſchwendungs-Myſterium beim Weibe auch nur eine Ahnung beſaß. Beim Weibe vollzieht ſich das alles ja geheimnisvoll innerlich. Man kannte weder die Eierſtöcke, noch das Ei ſelbſt. Und man ahnte nicht, was die Menſtruation bedeutete. Aber in ſchlichteſter Praxis hatte man der Weisheit des Leibes abgelernt, daß der Mannesſamen unbedingt nötig ſei, um ein Kind zu erzeugen. Jahrtauſende lang glaubte man ſogar, das Weib ſei bloß das ſchwarze nährende Erdreich, in das der Mann durch ſeine Kraft erſt die wahre göttliche Blume pflanze. Im Samentierchen hat man noch vor zweihundert Jahren ein ganzes Menſchlein, einen wahren Homunkulus ge¬ geſucht, der im Mutterleibe ſich nur auswickeln und wachſen ſollte. Aber je höher man ſich dieſe Ahnung nun treiben mochte und bis in was immer für Mißverſtändniſſe hinein: um ſo furchtbarer mußte die Vergeudung jetzt gerade dieſes koſtbaren Samens vor Augen treten.
[Abbildung]
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0190"n="174"/>
Pauſen, auch wenn der Akt der wahren Zellmiſchung einmal<lb/>ſtattgefunden hat, denn die Dauerliebe berührt ihn in dieſem<lb/>
Punkte nicht mehr. Er wandert fort von dem einen Weibe,<lb/>
wo der heilige Naturzweck ſich erfüllt hat, und die Kraft iſt faſt<lb/>
augenblicklich von neuem da, mit ihrer ganzen Siegergewalt,<lb/>
ihrem allfortreißenden Zwang und ihrer Gewißheit neuer<lb/>
Siege, ſobald nur die rechte Gelegenheit vom Weibe her ge¬<lb/>
geben iſt.</p><lb/><p>In dieſem Falle iſt das Mißverhältnis zwiſchen Zwang<lb/>
und Zweck ſo ungeheuerlich, daß es den Menſchen zum Denken<lb/>
genötigt hat, ſo lange er überhaupt denken kann. Lange, ehe<lb/>
man von dem Verſchwendungs-Myſterium beim Weibe auch<lb/>
nur eine Ahnung beſaß. Beim Weibe vollzieht ſich das alles<lb/>
ja geheimnisvoll innerlich. Man kannte weder die Eierſtöcke,<lb/>
noch das Ei ſelbſt. Und man ahnte nicht, was die Menſtruation<lb/>
bedeutete. Aber in ſchlichteſter Praxis hatte man der Weisheit<lb/>
des Leibes abgelernt, daß der Mannesſamen unbedingt nötig<lb/>ſei, um ein Kind zu erzeugen. Jahrtauſende lang glaubte<lb/>
man ſogar, das Weib ſei bloß das ſchwarze nährende Erdreich,<lb/>
in das der Mann durch ſeine Kraft erſt die wahre göttliche Blume<lb/>
pflanze. Im Samentierchen hat man noch vor zweihundert<lb/>
Jahren ein ganzes Menſchlein, einen wahren Homunkulus ge¬<lb/>
geſucht, der im Mutterleibe ſich nur auswickeln und wachſen<lb/>ſollte. Aber je höher man ſich dieſe Ahnung nun treiben<lb/>
mochte und bis in was immer für Mißverſtändniſſe hinein:<lb/>
um ſo furchtbarer mußte die Vergeudung jetzt gerade dieſes<lb/>
koſtbaren Samens vor Augen treten.</p><lb/><figure/></div></body></text></TEI>
[174/0190]
Pauſen, auch wenn der Akt der wahren Zellmiſchung einmal
ſtattgefunden hat, denn die Dauerliebe berührt ihn in dieſem
Punkte nicht mehr. Er wandert fort von dem einen Weibe,
wo der heilige Naturzweck ſich erfüllt hat, und die Kraft iſt faſt
augenblicklich von neuem da, mit ihrer ganzen Siegergewalt,
ihrem allfortreißenden Zwang und ihrer Gewißheit neuer
Siege, ſobald nur die rechte Gelegenheit vom Weibe her ge¬
geben iſt.
In dieſem Falle iſt das Mißverhältnis zwiſchen Zwang
und Zweck ſo ungeheuerlich, daß es den Menſchen zum Denken
genötigt hat, ſo lange er überhaupt denken kann. Lange, ehe
man von dem Verſchwendungs-Myſterium beim Weibe auch
nur eine Ahnung beſaß. Beim Weibe vollzieht ſich das alles
ja geheimnisvoll innerlich. Man kannte weder die Eierſtöcke,
noch das Ei ſelbſt. Und man ahnte nicht, was die Menſtruation
bedeutete. Aber in ſchlichteſter Praxis hatte man der Weisheit
des Leibes abgelernt, daß der Mannesſamen unbedingt nötig
ſei, um ein Kind zu erzeugen. Jahrtauſende lang glaubte
man ſogar, das Weib ſei bloß das ſchwarze nährende Erdreich,
in das der Mann durch ſeine Kraft erſt die wahre göttliche Blume
pflanze. Im Samentierchen hat man noch vor zweihundert
Jahren ein ganzes Menſchlein, einen wahren Homunkulus ge¬
geſucht, der im Mutterleibe ſich nur auswickeln und wachſen
ſollte. Aber je höher man ſich dieſe Ahnung nun treiben
mochte und bis in was immer für Mißverſtändniſſe hinein:
um ſo furchtbarer mußte die Vergeudung jetzt gerade dieſes
koſtbaren Samens vor Augen treten.
[Abbildung]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/190>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.