Du kennst das herrliche Bild aus dem indischen Evangelium: wie Buddha der Königssohn in der Fülle seines Lebensmaies sich aus den heißen braunen Armen seines schönen jungen Weibes ringt und in seliger Lässigkeit auf goldenem Wagen durch den Blütenmorgen dahinfährt. Da sitzt am heiligen Strom, in dem die Sonne wie eine nackte Königin mit schimmerndem Goldhaar badet und die roten Lotosblumen schwanken, ein blinder Greis mit kahlem Schädel und gekrümmten Gliedern und bejammert sein Alter. Und im kühlen Märchenschatten des riesigen Banyanenbaumes, von dem die Luftwurzeln wie schwarze Tempelsäulen niedersteigen, liegt ein Todkranker und stöhnt und ein Pesthauch geht von den Schwären seines Leibes aus. Und wie der Wagenlenker die Rosse eilig wegpeitscht von diesem Ort des Grauens, da hemmt draußen im vollen Blütenzauber und Himmelsglanz ein schweigender Zug den Königswagen: sie tragen einen Toten zum Begräbnisplatz. Da steigt Buddha herab von seinem goldenen Wagen und wirft sich in den Staub, denn er hat das Elend der Welt erkannt. Und er ver¬ läßt Krone, Weib und Kind und zieht in die Wüste, um nachzusinnen ..... Aber dieser Königssohn der Menschheit hätte das Lager seines jungen Weibes gar nicht zu verlassen brauchen. An den Hekatomben seiner eigenen verschwendeten Samenzellen hätte er den furchtbaren Ernst der Weltenfrage ebenso schon lernen können.
Tausende von Akten mit dem Weibe, -- und die ganze Welle mit ihrer unendlichen Lebensfracht, in der jedes Stäub¬ chen die Bilder und Traditionen von Jahrmillionen trägt, tausendmal ins Nichts verschäumt, mit ihren tausend uralten Seelchen jede am unfruchtbaren Strande zerflossen gleich einem Wellenstoß der wirklichen Meeresflut, die ihre Muscheltiere und Quallen und Seesterne hilflos auf dem Sande läßt, bis die glühende Sonne sie auftrocknet oder der herbe Seewind sie zum bleichen Gerippchen dörrt. Verschmachtende, erblindende Greisennot, unerbittliche Todeskrankheit und ein nicht enden¬
Du kennſt das herrliche Bild aus dem indiſchen Evangelium: wie Buddha der Königsſohn in der Fülle ſeines Lebensmaies ſich aus den heißen braunen Armen ſeines ſchönen jungen Weibes ringt und in ſeliger Läſſigkeit auf goldenem Wagen durch den Blütenmorgen dahinfährt. Da ſitzt am heiligen Strom, in dem die Sonne wie eine nackte Königin mit ſchimmerndem Goldhaar badet und die roten Lotosblumen ſchwanken, ein blinder Greis mit kahlem Schädel und gekrümmten Gliedern und bejammert ſein Alter. Und im kühlen Märchenſchatten des rieſigen Banyanenbaumes, von dem die Luftwurzeln wie ſchwarze Tempelſäulen niederſteigen, liegt ein Todkranker und ſtöhnt und ein Peſthauch geht von den Schwären ſeines Leibes aus. Und wie der Wagenlenker die Roſſe eilig wegpeitſcht von dieſem Ort des Grauens, da hemmt draußen im vollen Blütenzauber und Himmelsglanz ein ſchweigender Zug den Königswagen: ſie tragen einen Toten zum Begräbnisplatz. Da ſteigt Buddha herab von ſeinem goldenen Wagen und wirft ſich in den Staub, denn er hat das Elend der Welt erkannt. Und er ver¬ läßt Krone, Weib und Kind und zieht in die Wüſte, um nachzuſinnen ..... Aber dieſer Königsſohn der Menſchheit hätte das Lager ſeines jungen Weibes gar nicht zu verlaſſen brauchen. An den Hekatomben ſeiner eigenen verſchwendeten Samenzellen hätte er den furchtbaren Ernſt der Weltenfrage ebenſo ſchon lernen können.
Tauſende von Akten mit dem Weibe, — und die ganze Welle mit ihrer unendlichen Lebensfracht, in der jedes Stäub¬ chen die Bilder und Traditionen von Jahrmillionen trägt, tauſendmal ins Nichts verſchäumt, mit ihren tauſend uralten Seelchen jede am unfruchtbaren Strande zerfloſſen gleich einem Wellenſtoß der wirklichen Meeresflut, die ihre Muſcheltiere und Quallen und Seeſterne hilflos auf dem Sande läßt, bis die glühende Sonne ſie auftrocknet oder der herbe Seewind ſie zum bleichen Gerippchen dörrt. Verſchmachtende, erblindende Greiſennot, unerbittliche Todeskrankheit und ein nicht enden¬
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Du kennſt das herrliche Bild aus dem indiſchen Evangelium:
wie Buddha der Königsſohn in der Fülle ſeines Lebensmaies ſich
aus den heißen braunen Armen ſeines ſchönen jungen Weibes
ringt und in ſeliger Läſſigkeit auf goldenem Wagen durch den
Blütenmorgen dahinfährt. Da ſitzt am heiligen Strom, in dem
die Sonne wie eine nackte Königin mit ſchimmerndem Goldhaar
badet und die roten Lotosblumen ſchwanken, ein blinder Greis
mit kahlem Schädel und gekrümmten Gliedern und bejammert
ſein Alter. Und im kühlen Märchenſchatten des rieſigen
Banyanenbaumes, von dem die Luftwurzeln wie ſchwarze
Tempelſäulen niederſteigen, liegt ein Todkranker und ſtöhnt
und ein Peſthauch geht von den Schwären ſeines Leibes aus.
Und wie der Wagenlenker die Roſſe eilig wegpeitſcht von dieſem
Ort des Grauens, da hemmt draußen im vollen Blütenzauber
und Himmelsglanz ein ſchweigender Zug den Königswagen:
ſie tragen einen Toten zum Begräbnisplatz. Da ſteigt Buddha
herab von ſeinem goldenen Wagen und wirft ſich in den
Staub, denn er hat das Elend der Welt erkannt. Und er ver¬
läßt Krone, Weib und Kind und zieht in die Wüſte, um
nachzuſinnen ..... Aber dieſer Königsſohn der Menſchheit
hätte das Lager ſeines jungen Weibes gar nicht zu verlaſſen
brauchen. An den Hekatomben ſeiner eigenen verſchwendeten
Samenzellen hätte er den furchtbaren Ernſt der Weltenfrage
ebenſo ſchon lernen können.
Tauſende von Akten mit dem Weibe, — und die ganze
Welle mit ihrer unendlichen Lebensfracht, in der jedes Stäub¬
chen die Bilder und Traditionen von Jahrmillionen trägt,
tauſendmal ins Nichts verſchäumt, mit ihren tauſend uralten
Seelchen jede am unfruchtbaren Strande zerfloſſen gleich einem
Wellenſtoß der wirklichen Meeresflut, die ihre Muſcheltiere
und Quallen und Seeſterne hilflos auf dem Sande läßt, bis
die glühende Sonne ſie auftrocknet oder der herbe Seewind ſie
zum bleichen Gerippchen dörrt. Verſchmachtende, erblindende
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/191>, abgerufen am 22.11.2024.
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