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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Dann mag aber etwas sehr Geheimes noch mitgespielt
haben, dessen Geheimfächer wir freilich heute noch so gut wie
gar nicht durchschauen. Ist es bloß reiner Zufall, wenn von
tausendundeinen Nordpolfahrern grade einer hinkommt? Ist
dieser tausendunderste Glücksfahrer nicht am Ende doch das
größte Genie von allen, das spezielle Nordpolgenie? Etwa der,
der am besten Strapazen bestimmter Art vertragen konnte?
Oder eine bestimmte Sorte Geistesgegenwart gerade besaß?
Oder am schlauesten voraus rechnete? Wohl, es kann auch
Zufall sein. Aber bei Nansen zum Beispiel war der Erfolg
ganz gewiß keiner, sondern es waltete eine Art gerechter Aus¬
lese. Nansen war schlauer und gesünder zugleich als seine Vor¬
gänger. So etwas kann nun auch für jene Samentierchen
zutreffen. Indem eine Masse hingeworfen wird, ist immerhin
wenigstens möglich, daß wesentlich die Besten, das heißt die
Dauerhaftesten, Zählebigsten, Energischsten zum Ziel kommen.
Jedes so offen ausgestreute Sämlingchen ist ja für die Zeit
seiner Eisuche auf den Zustand eines freien Einzelwesens zurück¬
versetzt und damit auf den freien Existenzkampfboden als In¬
dividuum. In diesem Existenzkampf siegen aber nach Darwin
immer nur die Besten und durch diese Auslese wird die Ge¬
samtart unablässig durchgesiebt zu Gunsten der Stärke und
Gesundheit: alles Kränkliche, Schwächliche fällt unter den Tisch,
-- die Rasse wird emporgezüchtet. Und das brauchte man sich
also bloß hier waltend zu denken, schon vor erfolgter Befruch¬
tung bei den Samenzellen. Es könnte wohl sein, daß bei der
Masse der Samentierchen auch dem Ei eine Wahl bliebe. Wie
ein Ei keineswegs gleichgültig etwa ganz fremden, einer andern
Art ungehörigen Samen in sich aufzunehmen pflegt, sondern
sehr wohl das Zugehörige unterscheidet und wählt (eine Eigen¬
schaft, die schließlich ja schon die Moleküle bei einfachen,
chemischen Verbindungen -- Wahlverwandschaft! -- besitzen),
so ließe sich sehr gut auch an eine Wahl noch indivi¬
duellerer Art denken. Etwa, daß die Eizelle nur ein be¬

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Dann mag aber etwas ſehr Geheimes noch mitgeſpielt
haben, deſſen Geheimfächer wir freilich heute noch ſo gut wie
gar nicht durchſchauen. Iſt es bloß reiner Zufall, wenn von
tauſendundeinen Nordpolfahrern grade einer hinkommt? Iſt
dieſer tauſendunderſte Glücksfahrer nicht am Ende doch das
größte Genie von allen, das ſpezielle Nordpolgenie? Etwa der,
der am beſten Strapazen beſtimmter Art vertragen konnte?
Oder eine beſtimmte Sorte Geiſtesgegenwart gerade beſaß?
Oder am ſchlaueſten voraus rechnete? Wohl, es kann auch
Zufall ſein. Aber bei Nanſen zum Beiſpiel war der Erfolg
ganz gewiß keiner, ſondern es waltete eine Art gerechter Aus¬
leſe. Nanſen war ſchlauer und geſünder zugleich als ſeine Vor¬
gänger. So etwas kann nun auch für jene Samentierchen
zutreffen. Indem eine Maſſe hingeworfen wird, iſt immerhin
wenigſtens möglich, daß weſentlich die Beſten, das heißt die
Dauerhafteſten, Zählebigſten, Energiſchſten zum Ziel kommen.
Jedes ſo offen ausgeſtreute Sämlingchen iſt ja für die Zeit
ſeiner Eiſuche auf den Zuſtand eines freien Einzelweſens zurück¬
verſetzt und damit auf den freien Exiſtenzkampfboden als In¬
dividuum. In dieſem Exiſtenzkampf ſiegen aber nach Darwin
immer nur die Beſten und durch dieſe Ausleſe wird die Ge¬
ſamtart unabläſſig durchgeſiebt zu Gunſten der Stärke und
Geſundheit: alles Kränkliche, Schwächliche fällt unter den Tiſch,
— die Raſſe wird emporgezüchtet. Und das brauchte man ſich
alſo bloß hier waltend zu denken, ſchon vor erfolgter Befruch¬
tung bei den Samenzellen. Es könnte wohl ſein, daß bei der
Maſſe der Samentierchen auch dem Ei eine Wahl bliebe. Wie
ein Ei keineswegs gleichgültig etwa ganz fremden, einer andern
Art ungehörigen Samen in ſich aufzunehmen pflegt, ſondern
ſehr wohl das Zugehörige unterſcheidet und wählt (eine Eigen¬
ſchaft, die ſchließlich ja ſchon die Moleküle bei einfachen,
chemiſchen Verbindungen — Wahlverwandſchaft! — beſitzen),
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duellerer Art denken. Etwa, daß die Eizelle nur ein be¬

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[195/0211] Dann mag aber etwas ſehr Geheimes noch mitgeſpielt haben, deſſen Geheimfächer wir freilich heute noch ſo gut wie gar nicht durchſchauen. Iſt es bloß reiner Zufall, wenn von tauſendundeinen Nordpolfahrern grade einer hinkommt? Iſt dieſer tauſendunderſte Glücksfahrer nicht am Ende doch das größte Genie von allen, das ſpezielle Nordpolgenie? Etwa der, der am beſten Strapazen beſtimmter Art vertragen konnte? Oder eine beſtimmte Sorte Geiſtesgegenwart gerade beſaß? Oder am ſchlaueſten voraus rechnete? Wohl, es kann auch Zufall ſein. Aber bei Nanſen zum Beiſpiel war der Erfolg ganz gewiß keiner, ſondern es waltete eine Art gerechter Aus¬ leſe. Nanſen war ſchlauer und geſünder zugleich als ſeine Vor¬ gänger. So etwas kann nun auch für jene Samentierchen zutreffen. Indem eine Maſſe hingeworfen wird, iſt immerhin wenigſtens möglich, daß weſentlich die Beſten, das heißt die Dauerhafteſten, Zählebigſten, Energiſchſten zum Ziel kommen. Jedes ſo offen ausgeſtreute Sämlingchen iſt ja für die Zeit ſeiner Eiſuche auf den Zuſtand eines freien Einzelweſens zurück¬ verſetzt und damit auf den freien Exiſtenzkampfboden als In¬ dividuum. In dieſem Exiſtenzkampf ſiegen aber nach Darwin immer nur die Beſten und durch dieſe Ausleſe wird die Ge¬ ſamtart unabläſſig durchgeſiebt zu Gunſten der Stärke und Geſundheit: alles Kränkliche, Schwächliche fällt unter den Tiſch, — die Raſſe wird emporgezüchtet. Und das brauchte man ſich alſo bloß hier waltend zu denken, ſchon vor erfolgter Befruch¬ tung bei den Samenzellen. Es könnte wohl ſein, daß bei der Maſſe der Samentierchen auch dem Ei eine Wahl bliebe. Wie ein Ei keineswegs gleichgültig etwa ganz fremden, einer andern Art ungehörigen Samen in ſich aufzunehmen pflegt, ſondern ſehr wohl das Zugehörige unterſcheidet und wählt (eine Eigen¬ ſchaft, die ſchließlich ja ſchon die Moleküle bei einfachen, chemiſchen Verbindungen — Wahlverwandſchaft! — beſitzen), ſo ließe ſich ſehr gut auch an eine Wahl noch indivi¬ duellerer Art denken. Etwa, daß die Eizelle nur ein be¬ 13*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/211>, abgerufen am 24.11.2024.