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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Das kühle Walpurgisbad hat dich hungrig gemacht und
da wir gerade von so leckeren Sachen reden, packst du deine
Vorräte aus. Ein Kaviarbrödchen. Da sind wir ja gleich
wieder auf einer anderen Ecke bei der kolossalen Eierproduktion
der Fische.

Ist dein Kaviar echt, also, sind es nicht Sagokörner in
Heringsbrühe oder Zander- und Thunfischeier, so stammt er
vom Fische Stör, und zwar ist jedes der kleinen schwarzen
Perlchen ein einzelnes Ei dieses Stör. Der Stör ist aber ein
höchst seltsamer, altertümlicher Fisch. Seine Vorfahren haben
jedenfalls deinem menschlichen Stammbaum noch näher gestanden
als der Hering. In der Gegend der Störe gerade hat sich vom
Fischstamm jene Gruppe der Molchfische abgesondert, die ihre
Schwimmblase zur Lunge wirklich umformte und damit den Weg
aufs Land und den Weg auf den Menschen zu endgültig eroberte.

Daraus macht sich freilich der fertig entwickelte Mensch
heute verzweifelt wenig. Gerade an dieser Fischecke seines
Stammbaums fällt er als Leckermaul über alle seine Altvordern
her. Der berühmte allerniedrigste Fisch, der Amphioxus, ist
zwar meines Wissens bisher nur ein einziges Mal kulinarisch
gewürdigt worden, -- nämlich bei dem Festessen zu Ehren des
sechzigsten Geburtstages des tapferen Stammbaumforschers Ernst
Häckel in Jena, wo Verehrer ein Fäßlein Amphioxi aus Neapel
bezogen und zu Sardellenbrödchen verarbeitet hatten; der Ge¬
schmack soll, wie mir Häckel erzählt hat, die enge Verwandtschaft
mit der nächst höheren Fischgruppe, den Neunaugen, bestätigt
haben. Diese Neunaugen gelten um so länger. Haifischflosse ist ein
Leckerbissen in den südlichen Gegenden. Der Molchfisch Ceratodus
in Australien hat rotes Fleisch wie ein Lachs und wurde seinem
Erforscher Semon unter der Hand von seinen schwarzen Leuten
eifriger weggegessen, als dem Zoologen lieb war. Beim Stör
aber ist die ästhetische Verschwendung des Menschen auf einen
Gipfel gediehen, daß selbst die großartigste Geschlechtsver¬
schwendung der Fischnatur dagegen zu erlahmen droht.

Das kühle Walpurgisbad hat dich hungrig gemacht und
da wir gerade von ſo leckeren Sachen reden, packſt du deine
Vorräte aus. Ein Kaviarbrödchen. Da ſind wir ja gleich
wieder auf einer anderen Ecke bei der koloſſalen Eierproduktion
der Fiſche.

Iſt dein Kaviar echt, alſo, ſind es nicht Sagokörner in
Heringsbrühe oder Zander- und Thunfiſcheier, ſo ſtammt er
vom Fiſche Stör, und zwar iſt jedes der kleinen ſchwarzen
Perlchen ein einzelnes Ei dieſes Stör. Der Stör iſt aber ein
höchſt ſeltſamer, altertümlicher Fiſch. Seine Vorfahren haben
jedenfalls deinem menſchlichen Stammbaum noch näher geſtanden
als der Hering. In der Gegend der Störe gerade hat ſich vom
Fiſchſtamm jene Gruppe der Molchfiſche abgeſondert, die ihre
Schwimmblaſe zur Lunge wirklich umformte und damit den Weg
aufs Land und den Weg auf den Menſchen zu endgültig eroberte.

Daraus macht ſich freilich der fertig entwickelte Menſch
heute verzweifelt wenig. Gerade an dieſer Fiſchecke ſeines
Stammbaums fällt er als Leckermaul über alle ſeine Altvordern
her. Der berühmte allerniedrigſte Fiſch, der Amphioxus, iſt
zwar meines Wiſſens bisher nur ein einziges Mal kulinariſch
gewürdigt worden, — nämlich bei dem Feſteſſen zu Ehren des
ſechzigſten Geburtstages des tapferen Stammbaumforſchers Ernſt
Häckel in Jena, wo Verehrer ein Fäßlein Amphioxi aus Neapel
bezogen und zu Sardellenbrödchen verarbeitet hatten; der Ge¬
ſchmack ſoll, wie mir Häckel erzählt hat, die enge Verwandtſchaft
mit der nächſt höheren Fiſchgruppe, den Neunaugen, beſtätigt
haben. Dieſe Neunaugen gelten um ſo länger. Haifiſchfloſſe iſt ein
Leckerbiſſen in den ſüdlichen Gegenden. Der Molchfiſch Ceratodus
in Auſtralien hat rotes Fleiſch wie ein Lachs und wurde ſeinem
Erforſcher Semon unter der Hand von ſeinen ſchwarzen Leuten
eifriger weggegeſſen, als dem Zoologen lieb war. Beim Stör
aber iſt die äſthetiſche Verſchwendung des Menſchen auf einen
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ſchwendung der Fiſchnatur dagegen zu erlahmen droht.

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[205/0221] Das kühle Walpurgisbad hat dich hungrig gemacht und da wir gerade von ſo leckeren Sachen reden, packſt du deine Vorräte aus. Ein Kaviarbrödchen. Da ſind wir ja gleich wieder auf einer anderen Ecke bei der koloſſalen Eierproduktion der Fiſche. Iſt dein Kaviar echt, alſo, ſind es nicht Sagokörner in Heringsbrühe oder Zander- und Thunfiſcheier, ſo ſtammt er vom Fiſche Stör, und zwar iſt jedes der kleinen ſchwarzen Perlchen ein einzelnes Ei dieſes Stör. Der Stör iſt aber ein höchſt ſeltſamer, altertümlicher Fiſch. Seine Vorfahren haben jedenfalls deinem menſchlichen Stammbaum noch näher geſtanden als der Hering. In der Gegend der Störe gerade hat ſich vom Fiſchſtamm jene Gruppe der Molchfiſche abgeſondert, die ihre Schwimmblaſe zur Lunge wirklich umformte und damit den Weg aufs Land und den Weg auf den Menſchen zu endgültig eroberte. Daraus macht ſich freilich der fertig entwickelte Menſch heute verzweifelt wenig. Gerade an dieſer Fiſchecke ſeines Stammbaums fällt er als Leckermaul über alle ſeine Altvordern her. Der berühmte allerniedrigſte Fiſch, der Amphioxus, iſt zwar meines Wiſſens bisher nur ein einziges Mal kulinariſch gewürdigt worden, — nämlich bei dem Feſteſſen zu Ehren des ſechzigſten Geburtstages des tapferen Stammbaumforſchers Ernſt Häckel in Jena, wo Verehrer ein Fäßlein Amphioxi aus Neapel bezogen und zu Sardellenbrödchen verarbeitet hatten; der Ge¬ ſchmack ſoll, wie mir Häckel erzählt hat, die enge Verwandtſchaft mit der nächſt höheren Fiſchgruppe, den Neunaugen, beſtätigt haben. Dieſe Neunaugen gelten um ſo länger. Haifiſchfloſſe iſt ein Leckerbiſſen in den ſüdlichen Gegenden. Der Molchfiſch Ceratodus in Auſtralien hat rotes Fleiſch wie ein Lachs und wurde ſeinem Erforſcher Semon unter der Hand von ſeinen ſchwarzen Leuten eifriger weggegeſſen, als dem Zoologen lieb war. Beim Stör aber iſt die äſthetiſche Verſchwendung des Menſchen auf einen Gipfel gediehen, daß ſelbſt die großartigſte Geſchlechtsver¬ ſchwendung der Fiſchnatur dagegen zu erlahmen droht.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/221>, abgerufen am 24.11.2024.