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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Nehmen wir an, daß jedes dieser Schwarzperlchen hier auf
deiner gerösteten Brotschnitte von der Störart stammt, die am
ergiebigsten für die Kaviarausfuhr ist, -- vom sogenannten
Hausen, der im Schwarzen Meer und seinen Zuflüssen haust.
Aus jeglicher dieser Perlen konnte, wenn sie befruchtet wurde,
ein wahrhaft dämonisches Fischuntier hervorgehen, beschildet
und bebuckelt wie ein dekorierter römischer Legionar, vorne mit
einer zahnlosen Mümmelschnauze wie ein Riesensäugling, und
hinten in einer ungleichen Schwanzflosse wie einer Pflugschar
endend. Wenn nichts dazwischen kam, konnte dieser groteske
Herr auswachsen zu einem wahrhaften schwimmenden Baum¬
stamm von acht Metern Länge, also rund dem Fünffachen
deiner eigenen werten Leibesspanne.

Rechne nun, daß auf deinem Kaviarbrötchen hier bloß
fünfhundert Stör-Eier sind, -- die Ziffer ist gewiß sehr klein
angesetzt. So giebt das auf fünfhundert Störe, jeder ausge¬
wachsen zu acht Metern, eine ideale Strecke Fischfleisch von
vier Kilometern. Und diese vier Kilometer ißt du gewisser¬
maßen auf einem Butterbrot. Wie viele solcher Butterbrote
aber außer von dir jährlich gegessen werden, das lehrt dich
eine allgemeine Schätzungsziffer, die den Verbrauch an Kaviar
auf rund zehn Milliarden Störeier pro Jahr annimmt. Da
man zur Gewinnung der Eier den ganzen weiblichen Fisch zu
fangen, zu töten und aufzuschneiden pflegt, müßten also zehn
Milliarden Störweiblein jährlich den Fischern ins Netz gehen,
falls der Stör nur je ein Ei pro Jahr erzeugte. Bei solcher
Rechnung müßte das schwarze Meer etwa mit Stören erfüllt
sein wie ein austrocknendes Frühlingstümpelchen mit Kaul¬
quappen oder noch ärger. Davon ist aber keine Rede. Denn
thatsächlich setzt eben hier die enormste Ziffer der Eierproduktion
jedes weiblichen Einzelstörs wieder ein.

Es sind einzelne Hausenweiber gefangen worden, die bei
vierzehnhundert Kilogramm Gesamtgewicht eine Eiermasse von
vierhundert Kilogramm im Leibe trugen. Das macht mindestens

Nehmen wir an, daß jedes dieſer Schwarzperlchen hier auf
deiner geröſteten Brotſchnitte von der Störart ſtammt, die am
ergiebigſten für die Kaviarausfuhr iſt, — vom ſogenannten
Hauſen, der im Schwarzen Meer und ſeinen Zuflüſſen hauſt.
Aus jeglicher dieſer Perlen konnte, wenn ſie befruchtet wurde,
ein wahrhaft dämoniſches Fiſchuntier hervorgehen, beſchildet
und bebuckelt wie ein dekorierter römiſcher Legionar, vorne mit
einer zahnloſen Mümmelſchnauze wie ein Rieſenſäugling, und
hinten in einer ungleichen Schwanzfloſſe wie einer Pflugſchar
endend. Wenn nichts dazwiſchen kam, konnte dieſer groteske
Herr auswachſen zu einem wahrhaften ſchwimmenden Baum¬
ſtamm von acht Metern Länge, alſo rund dem Fünffachen
deiner eigenen werten Leibesſpanne.

Rechne nun, daß auf deinem Kaviarbrötchen hier bloß
fünfhundert Stör-Eier ſind, — die Ziffer iſt gewiß ſehr klein
angeſetzt. So giebt das auf fünfhundert Störe, jeder ausge¬
wachſen zu acht Metern, eine ideale Strecke Fiſchfleiſch von
vier Kilometern. Und dieſe vier Kilometer ißt du gewiſſer¬
maßen auf einem Butterbrot. Wie viele ſolcher Butterbrote
aber außer von dir jährlich gegeſſen werden, das lehrt dich
eine allgemeine Schätzungsziffer, die den Verbrauch an Kaviar
auf rund zehn Milliarden Störeier pro Jahr annimmt. Da
man zur Gewinnung der Eier den ganzen weiblichen Fiſch zu
fangen, zu töten und aufzuſchneiden pflegt, müßten alſo zehn
Milliarden Störweiblein jährlich den Fiſchern ins Netz gehen,
falls der Stör nur je ein Ei pro Jahr erzeugte. Bei ſolcher
Rechnung müßte das ſchwarze Meer etwa mit Stören erfüllt
ſein wie ein austrocknendes Frühlingstümpelchen mit Kaul¬
quappen oder noch ärger. Davon iſt aber keine Rede. Denn
thatſächlich ſetzt eben hier die enormſte Ziffer der Eierproduktion
jedes weiblichen Einzelſtörs wieder ein.

Es ſind einzelne Hauſenweiber gefangen worden, die bei
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[206/0222] Nehmen wir an, daß jedes dieſer Schwarzperlchen hier auf deiner geröſteten Brotſchnitte von der Störart ſtammt, die am ergiebigſten für die Kaviarausfuhr iſt, — vom ſogenannten Hauſen, der im Schwarzen Meer und ſeinen Zuflüſſen hauſt. Aus jeglicher dieſer Perlen konnte, wenn ſie befruchtet wurde, ein wahrhaft dämoniſches Fiſchuntier hervorgehen, beſchildet und bebuckelt wie ein dekorierter römiſcher Legionar, vorne mit einer zahnloſen Mümmelſchnauze wie ein Rieſenſäugling, und hinten in einer ungleichen Schwanzfloſſe wie einer Pflugſchar endend. Wenn nichts dazwiſchen kam, konnte dieſer groteske Herr auswachſen zu einem wahrhaften ſchwimmenden Baum¬ ſtamm von acht Metern Länge, alſo rund dem Fünffachen deiner eigenen werten Leibesſpanne. Rechne nun, daß auf deinem Kaviarbrötchen hier bloß fünfhundert Stör-Eier ſind, — die Ziffer iſt gewiß ſehr klein angeſetzt. So giebt das auf fünfhundert Störe, jeder ausge¬ wachſen zu acht Metern, eine ideale Strecke Fiſchfleiſch von vier Kilometern. Und dieſe vier Kilometer ißt du gewiſſer¬ maßen auf einem Butterbrot. Wie viele ſolcher Butterbrote aber außer von dir jährlich gegeſſen werden, das lehrt dich eine allgemeine Schätzungsziffer, die den Verbrauch an Kaviar auf rund zehn Milliarden Störeier pro Jahr annimmt. Da man zur Gewinnung der Eier den ganzen weiblichen Fiſch zu fangen, zu töten und aufzuſchneiden pflegt, müßten alſo zehn Milliarden Störweiblein jährlich den Fiſchern ins Netz gehen, falls der Stör nur je ein Ei pro Jahr erzeugte. Bei ſolcher Rechnung müßte das ſchwarze Meer etwa mit Stören erfüllt ſein wie ein austrocknendes Frühlingstümpelchen mit Kaul¬ quappen oder noch ärger. Davon iſt aber keine Rede. Denn thatſächlich ſetzt eben hier die enormſte Ziffer der Eierproduktion jedes weiblichen Einzelſtörs wieder ein. Es ſind einzelne Hauſenweiber gefangen worden, die bei vierzehnhundert Kilogramm Geſamtgewicht eine Eiermaſſe von vierhundert Kilogramm im Leibe trugen. Das macht mindeſtens

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/222>, abgerufen am 24.11.2024.