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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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winkte, und dem geschützten Flußstellchen tief in den Wiesen
da drinnen, wo man hungerte, aber dafür liebte. Was thun?
Man schwamm eben das eingeschobene Flußstück mehr ab,
hungerte etwas länger, liebte etwas strapaziöser. Aber schlie߬
lich eroberte die alte Moral das geologische Hemmnis, -- wie
so mancher Menschenglaube schließlich sich auch mit einem
neuen Gottesbaum und einem zwei Kilometer vom alten Heils¬
ort entfernten anderen Gotteshügel beruhigt hat.

Aber ein neues Hemmnis. Jetzt fing auch noch gerade
in der Gegend, wo tief und tiefer im Lande die alten
Aphroditeheiligtümer der Lachse lagen, der Boden an, sich nach
oben zu erheben. Das Flachland reckte sich zum Hügel, die
sanften Hügelein zum wilden Gebirge mit Eiszinken. Die
Flüsse im Wiesenplan wurden Gebirgsbäche, die allmählich in
reißendem Stoß, ja mit Wasserfällen zu Thal rauschten.
Aber so ein zäher Traditions-Lachs kam mit seiner Liebe zum
Hergebrachten auch noch über diese weitere Geologie. Er
gewöhnte sich an kühne Schwimmtouren bergauf. Und wo ihm
keine allzu großen Wasserstürze entgegen rauschten, da machte
er sich, wohl genährt, wie er von der See heraufkam, und
nervenstraff, wie er in seinem noch ungeschwächten Liebes¬
verlangen war, zum Gymnastiker. Er schnellte sich empor, sprang
von Stufe zu Stufe die Stromschnellen hinauf -- und trium¬
phierte. Denn der alte Liebesfleck selber lag dafür da oben
im Gebirge jetzt geschützter als je und lohnte reichlich alle
Beschwerde des Kletterschwimmens.

Man darf vom Vater Homer nicht zu viel verlangen,
auch wenn er als Zoologe kommt. Es ist heute noch nicht
möglich, diese Lachsgeschichte in eine bestimmte geologische
Epoche mit genauem Namen einzuordnen, -- wie denn über¬
haupt noch manches einzelne dabei zu fragen bleibt. Aber im
groben Umriß muß irgendwann einmal etwas der Art sich zu¬
getragen haben, denn sonst ist das Mysterium der Lachsliebe
von heute schlechterdings unbegreiflich.

winkte, und dem geſchützten Flußſtellchen tief in den Wieſen
da drinnen, wo man hungerte, aber dafür liebte. Was thun?
Man ſchwamm eben das eingeſchobene Flußſtück mehr ab,
hungerte etwas länger, liebte etwas ſtrapaziöſer. Aber ſchlie߬
lich eroberte die alte Moral das geologiſche Hemmnis, — wie
ſo mancher Menſchenglaube ſchließlich ſich auch mit einem
neuen Gottesbaum und einem zwei Kilometer vom alten Heils¬
ort entfernten anderen Gotteshügel beruhigt hat.

Aber ein neues Hemmnis. Jetzt fing auch noch gerade
in der Gegend, wo tief und tiefer im Lande die alten
Aphroditeheiligtümer der Lachſe lagen, der Boden an, ſich nach
oben zu erheben. Das Flachland reckte ſich zum Hügel, die
ſanften Hügelein zum wilden Gebirge mit Eiszinken. Die
Flüſſe im Wieſenplan wurden Gebirgsbäche, die allmählich in
reißendem Stoß, ja mit Waſſerfällen zu Thal rauſchten.
Aber ſo ein zäher Traditions-Lachs kam mit ſeiner Liebe zum
Hergebrachten auch noch über dieſe weitere Geologie. Er
gewöhnte ſich an kühne Schwimmtouren bergauf. Und wo ihm
keine allzu großen Waſſerſtürze entgegen rauſchten, da machte
er ſich, wohl genährt, wie er von der See heraufkam, und
nervenſtraff, wie er in ſeinem noch ungeſchwächten Liebes¬
verlangen war, zum Gymnaſtiker. Er ſchnellte ſich empor, ſprang
von Stufe zu Stufe die Stromſchnellen hinauf — und trium¬
phierte. Denn der alte Liebesfleck ſelber lag dafür da oben
im Gebirge jetzt geſchützter als je und lohnte reichlich alle
Beſchwerde des Kletterſchwimmens.

Man darf vom Vater Homer nicht zu viel verlangen,
auch wenn er als Zoologe kommt. Es iſt heute noch nicht
möglich, dieſe Lachsgeſchichte in eine beſtimmte geologiſche
Epoche mit genauem Namen einzuordnen, — wie denn über¬
haupt noch manches einzelne dabei zu fragen bleibt. Aber im
groben Umriß muß irgendwann einmal etwas der Art ſich zu¬
getragen haben, denn ſonſt iſt das Myſterium der Lachsliebe
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[219/0235] winkte, und dem geſchützten Flußſtellchen tief in den Wieſen da drinnen, wo man hungerte, aber dafür liebte. Was thun? Man ſchwamm eben das eingeſchobene Flußſtück mehr ab, hungerte etwas länger, liebte etwas ſtrapaziöſer. Aber ſchlie߬ lich eroberte die alte Moral das geologiſche Hemmnis, — wie ſo mancher Menſchenglaube ſchließlich ſich auch mit einem neuen Gottesbaum und einem zwei Kilometer vom alten Heils¬ ort entfernten anderen Gotteshügel beruhigt hat. Aber ein neues Hemmnis. Jetzt fing auch noch gerade in der Gegend, wo tief und tiefer im Lande die alten Aphroditeheiligtümer der Lachſe lagen, der Boden an, ſich nach oben zu erheben. Das Flachland reckte ſich zum Hügel, die ſanften Hügelein zum wilden Gebirge mit Eiszinken. Die Flüſſe im Wieſenplan wurden Gebirgsbäche, die allmählich in reißendem Stoß, ja mit Waſſerfällen zu Thal rauſchten. Aber ſo ein zäher Traditions-Lachs kam mit ſeiner Liebe zum Hergebrachten auch noch über dieſe weitere Geologie. Er gewöhnte ſich an kühne Schwimmtouren bergauf. Und wo ihm keine allzu großen Waſſerſtürze entgegen rauſchten, da machte er ſich, wohl genährt, wie er von der See heraufkam, und nervenſtraff, wie er in ſeinem noch ungeſchwächten Liebes¬ verlangen war, zum Gymnaſtiker. Er ſchnellte ſich empor, ſprang von Stufe zu Stufe die Stromſchnellen hinauf — und trium¬ phierte. Denn der alte Liebesfleck ſelber lag dafür da oben im Gebirge jetzt geſchützter als je und lohnte reichlich alle Beſchwerde des Kletterſchwimmens. Man darf vom Vater Homer nicht zu viel verlangen, auch wenn er als Zoologe kommt. Es iſt heute noch nicht möglich, dieſe Lachsgeſchichte in eine beſtimmte geologiſche Epoche mit genauem Namen einzuordnen, — wie denn über¬ haupt noch manches einzelne dabei zu fragen bleibt. Aber im groben Umriß muß irgendwann einmal etwas der Art ſich zu¬ getragen haben, denn ſonſt iſt das Myſterium der Lachsliebe von heute ſchlechterdings unbegreiflich.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/235>, abgerufen am 24.11.2024.