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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Wir haben von Heringen, Stichlingen, Eintagsfliegen ge¬
redet, vom Seestern und vom Bandwurm, von der Spinne
und von der Bienenkönigin. Eine große Menagerie der Liebe.
Jetzt erscheint ein ganz neues Bild. Unser Glas, mit dem
wir beobachtet haben, wird zum Spiegel. Und im Spiegel
stehst du selbst. Endlich bloß noch du. Du allerdings in
deinem größten Sinne. Du in deiner tief geheimnisvoll zer¬
spaltenen Zweiheit, die gerade durch die Liebe erst Einheit
wird, -- als Mann und Weib. Du im Stammbaum deiner
Jahrtausende, als ungeheurer Organismus, der Völker treibt,
wie ein Birnbaum grüne Blätter, und Kulturen wie Blüten¬
schnee. Von dem diese Völker wieder herabregnen wie gelbes
Laub und die Kulturen fallen wie ausgelebte weiße Blüten¬
blättchen, deren Liebesdienst erfüllt. Und der dann beide wieder
neu treibt auf einem höheren Ast.

Hat dich der Gedanke schon einmal bis ins Innerste
durchschauert: der Mensch steht vor dir?

Denke dich auf einen Moment hinab in die grüne Meeres¬
tiefe. Da wimmelt und glotzt und schwimmt all jenes krause
Tierzeug, von dem wir gesprochen haben. In seine Höhle
gewühlt der schwarzblaue Seeigel. Rote Seesterne in dicken


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Wir haben von Heringen, Stichlingen, Eintagsfliegen ge¬
redet, vom Seeſtern und vom Bandwurm, von der Spinne
und von der Bienenkönigin. Eine große Menagerie der Liebe.
Jetzt erſcheint ein ganz neues Bild. Unſer Glas, mit dem
wir beobachtet haben, wird zum Spiegel. Und im Spiegel
ſtehſt du ſelbſt. Endlich bloß noch du. Du allerdings in
deinem größten Sinne. Du in deiner tief geheimnisvoll zer¬
ſpaltenen Zweiheit, die gerade durch die Liebe erſt Einheit
wird, — als Mann und Weib. Du im Stammbaum deiner
Jahrtauſende, als ungeheurer Organismus, der Völker treibt,
wie ein Birnbaum grüne Blätter, und Kulturen wie Blüten¬
ſchnee. Von dem dieſe Völker wieder herabregnen wie gelbes
Laub und die Kulturen fallen wie ausgelebte weiße Blüten¬
blättchen, deren Liebesdienſt erfüllt. Und der dann beide wieder
neu treibt auf einem höheren Aſt.

Hat dich der Gedanke ſchon einmal bis ins Innerſte
durchſchauert: der Menſch ſteht vor dir?

Denke dich auf einen Moment hinab in die grüne Meeres¬
tiefe. Da wimmelt und glotzt und ſchwimmt all jenes krauſe
Tierzeug, von dem wir geſprochen haben. In ſeine Höhle
gewühlt der ſchwarzblaue Seeigel. Rote Seeſterne in dicken

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[8/0024] [Abbildung] Wir haben von Heringen, Stichlingen, Eintagsfliegen ge¬ redet, vom Seeſtern und vom Bandwurm, von der Spinne und von der Bienenkönigin. Eine große Menagerie der Liebe. Jetzt erſcheint ein ganz neues Bild. Unſer Glas, mit dem wir beobachtet haben, wird zum Spiegel. Und im Spiegel ſtehſt du ſelbſt. Endlich bloß noch du. Du allerdings in deinem größten Sinne. Du in deiner tief geheimnisvoll zer¬ ſpaltenen Zweiheit, die gerade durch die Liebe erſt Einheit wird, — als Mann und Weib. Du im Stammbaum deiner Jahrtauſende, als ungeheurer Organismus, der Völker treibt, wie ein Birnbaum grüne Blätter, und Kulturen wie Blüten¬ ſchnee. Von dem dieſe Völker wieder herabregnen wie gelbes Laub und die Kulturen fallen wie ausgelebte weiße Blüten¬ blättchen, deren Liebesdienſt erfüllt. Und der dann beide wieder neu treibt auf einem höheren Aſt. Hat dich der Gedanke ſchon einmal bis ins Innerſte durchſchauert: der Menſch ſteht vor dir? Denke dich auf einen Moment hinab in die grüne Meeres¬ tiefe. Da wimmelt und glotzt und ſchwimmt all jenes krauſe Tierzeug, von dem wir geſprochen haben. In ſeine Höhle gewühlt der ſchwarzblaue Seeigel. Rote Seeſterne in dicken

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/24>, abgerufen am 21.11.2024.