Reigen dahin. Männlein und Weiblein. Heiße Backen, heiße Augen. Aber sonst nur ein naives, treues Spiel, harmlos, geweiht durch den Rhythmus der Musik und ganz herauf ge¬ hoben scheinbar durch ihn in ein höheres, vergeistigteres Stock¬ werk des Menschentums.
Und doch, wie das Auge des Philosophen diese hübschen Tänzerpaare durchdringt, durchsinkt gleichsam, -- auch hier uralte Anklänge. Anklänge erotischer Art. Vom Erotischen der Musik wird ja noch besonders zwischen uns zu reden sein. Hier meine ich nur die körperliche Stellung jetzt.
In diesem halben Umschlingen bloß mit den Armen, wobei Leib zu Leib sich nur ganz lose schwebend hält und doch die Annäherung so stark ist, daß die warme Athemwelle der einen jungen Menschenbrust die der anderen streift, -- in diesem Tanz-Individuum der beiden taucht noch einmal etwas von der einfachsten, ursprünglichsten Liebesstellung des Wirbel¬ tiers auf. Diese Arme, die sich bei Hand und Hüfte halten, sind die alten Brustflossen des Fischleins im See, mit denen die zwei Schuppenleiber sich lose zueinander balancierten. Diese Beine, die sich tanzend von der Erde hochheben, sind die alten Melusinenschwänzlein der springenden Lachse im Liebessprung. Wenn mit dem Atem des lieben Mädchens dort jetzt ein Eilein ausflöge, unmerkbar klein verloren unter den goldenen Stäubchen, die sonst der Tanz selber wirbelnd erregt; und wenn mit dem Atem zugleich des Tänzers ganz unsichtbare Elfchen von Samentierchen dahin flatterten; und diese Atemzüge kreuzend dieses geheime Leben einten, daß ein befruchtetes Ei zum Boden sänke; und dieser Parkettboden da unten die gute Liebesgrube im Sande wäre, aus der dieser Lebenskeim wirklich aufblühen soll ..... das alte Bild der Forellenliebe wäre ganz noch einmal zurückgebracht.
So weit geht's nun freilich nicht. Ja der ganze Tanz hat sich in unserm heutigen Kulturleben unverkennbar einem jener höchst seltsamen Grenzprodukte angenähert, wie der Kuß
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Reigen dahin. Männlein und Weiblein. Heiße Backen, heiße Augen. Aber ſonſt nur ein naives, treues Spiel, harmlos, geweiht durch den Rhythmus der Muſik und ganz herauf ge¬ hoben ſcheinbar durch ihn in ein höheres, vergeiſtigteres Stock¬ werk des Menſchentums.
Und doch, wie das Auge des Philoſophen dieſe hübſchen Tänzerpaare durchdringt, durchſinkt gleichſam, — auch hier uralte Anklänge. Anklänge erotiſcher Art. Vom Erotiſchen der Muſik wird ja noch beſonders zwiſchen uns zu reden ſein. Hier meine ich nur die körperliche Stellung jetzt.
In dieſem halben Umſchlingen bloß mit den Armen, wobei Leib zu Leib ſich nur ganz loſe ſchwebend hält und doch die Annäherung ſo ſtark iſt, daß die warme Athemwelle der einen jungen Menſchenbruſt die der anderen ſtreift, — in dieſem Tanz-Individuum der beiden taucht noch einmal etwas von der einfachſten, urſprünglichſten Liebesſtellung des Wirbel¬ tiers auf. Dieſe Arme, die ſich bei Hand und Hüfte halten, ſind die alten Bruſtfloſſen des Fiſchleins im See, mit denen die zwei Schuppenleiber ſich loſe zueinander balancierten. Dieſe Beine, die ſich tanzend von der Erde hochheben, ſind die alten Meluſinenſchwänzlein der ſpringenden Lachſe im Liebesſprung. Wenn mit dem Atem des lieben Mädchens dort jetzt ein Eilein ausflöge, unmerkbar klein verloren unter den goldenen Stäubchen, die ſonſt der Tanz ſelber wirbelnd erregt; und wenn mit dem Atem zugleich des Tänzers ganz unſichtbare Elfchen von Samentierchen dahin flatterten; und dieſe Atemzüge kreuzend dieſes geheime Leben einten, daß ein befruchtetes Ei zum Boden ſänke; und dieſer Parkettboden da unten die gute Liebesgrube im Sande wäre, aus der dieſer Lebenskeim wirklich aufblühen ſoll ..... das alte Bild der Forellenliebe wäre ganz noch einmal zurückgebracht.
So weit geht's nun freilich nicht. Ja der ganze Tanz hat ſich in unſerm heutigen Kulturleben unverkennbar einem jener höchſt ſeltſamen Grenzprodukte angenähert, wie der Kuß
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Reigen dahin. Männlein und Weiblein. Heiße Backen, heiße
Augen. Aber ſonſt nur ein naives, treues Spiel, harmlos,
geweiht durch den Rhythmus der Muſik und ganz herauf ge¬
hoben ſcheinbar durch ihn in ein höheres, vergeiſtigteres Stock¬
werk des Menſchentums.
Und doch, wie das Auge des Philoſophen dieſe hübſchen
Tänzerpaare durchdringt, durchſinkt gleichſam, — auch hier
uralte Anklänge. Anklänge erotiſcher Art. Vom Erotiſchen
der Muſik wird ja noch beſonders zwiſchen uns zu reden ſein.
Hier meine ich nur die körperliche Stellung jetzt.
In dieſem halben Umſchlingen bloß mit den Armen,
wobei Leib zu Leib ſich nur ganz loſe ſchwebend hält und
doch die Annäherung ſo ſtark iſt, daß die warme Athemwelle
der einen jungen Menſchenbruſt die der anderen ſtreift, — in
dieſem Tanz-Individuum der beiden taucht noch einmal etwas
von der einfachſten, urſprünglichſten Liebesſtellung des Wirbel¬
tiers auf. Dieſe Arme, die ſich bei Hand und Hüfte halten,
ſind die alten Bruſtfloſſen des Fiſchleins im See, mit denen
die zwei Schuppenleiber ſich loſe zueinander balancierten.
Dieſe Beine, die ſich tanzend von der Erde hochheben, ſind
die alten Meluſinenſchwänzlein der ſpringenden Lachſe im
Liebesſprung. Wenn mit dem Atem des lieben Mädchens
dort jetzt ein Eilein ausflöge, unmerkbar klein verloren unter
den goldenen Stäubchen, die ſonſt der Tanz ſelber wirbelnd
erregt; und wenn mit dem Atem zugleich des Tänzers ganz
unſichtbare Elfchen von Samentierchen dahin flatterten; und
dieſe Atemzüge kreuzend dieſes geheime Leben einten, daß ein
befruchtetes Ei zum Boden ſänke; und dieſer Parkettboden
da unten die gute Liebesgrube im Sande wäre, aus der dieſer
Lebenskeim wirklich aufblühen ſoll ..... das alte Bild der
Forellenliebe wäre ganz noch einmal zurückgebracht.
So weit geht's nun freilich nicht. Ja der ganze Tanz
hat ſich in unſerm heutigen Kulturleben unverkennbar einem
jener höchſt ſeltſamen Grenzprodukte angenähert, wie der Kuß
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/241>, abgerufen am 23.11.2024.
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