einen Wange dient als Samenzelle und zeugt mit einem Pickel¬ chen der anderen Wange regelrecht ein Kind.
Diese naivste Methode "mit der Haut zu zeugen" hat zweifellos lange Zeit bei deinen Urahnen ganz unbestritten und unstreitbar geherrscht. Ich habe dir schon so oft jetzt von dem lustigen kleinen Süßwasserpolypen erzählt. Er ist schon ein Kapitel weiter. Auf die Blase ohne Loch sieht er mit Verachtung. Er hat schon die regelrechte Becherform mit Haut, Magen und Mundloch. Ja selbst über die in ihrer einfachsten Urform hat er sich um ein Weniges hinaus spe¬ zialisiert. Gleichwohl: dieser Polyp ist noch ausgesprochenster Hautliebler. Noch immer schilfern sich ihm von der äußeren Leibeshaut Samen wie Eizellen pickelhaft ab, die Liebe schwillt ihm sozusagen in Hühneraugen heraus, die einfach zu ihrer Zeit herunterfallen und je nachdem bald Samen, bald Eier sind.
Indessen: wenig jenseits dieses Polypen zeigt sich dann doch eine Wandlung, die, wie unschwer zu erkennen, jetzt dem Vorhandensein eines ersten Körperloches, des Mundes, Rechnung trägt. Die äußere Haut ist in der Arbeitsteilung der Zellen sozusagen zum Außenfort der Leibesfestung geworden, seit¬ dem die Becherform klar erreicht ist. Sie stellt den äußeren und exponierteren Körperteil fortan dar, dient allerhand Verteidigungs- und Orientierungszwecken, wird hart, panzerig, kalkig, mindestens borstig, gleichsam der ruppige, mit Krethi und Plethi sich prügelnde Außenressort des kunstvollen Geschäfts. Es scheint nicht gerade sehr praktisch, aus dieser Brandmauer fortan noch eben die zartesten, schutzlosesten und zugleich doch köstlichsten Gebilde der ganzen Fabrik, die Zeugungsstoffe, zu rekrutieren. Da ist aber ja nun gleichzeitig die Innenhöhle des Leibes jetzt sehr viel brauchbarer, scheint's, geworden. Sie ist nicht mehr die hermetisch verschlossene Blasenhöhle, sondern ein hübsches Magenkesselchen mit offenem Mund. Wo die Nahrungs¬ stoffe hereinspazieren, warum sollen da nicht die Zeugungsstoffe ebenso gut herausspazieren? Rekrutieren sie sich also aus den
einen Wange dient als Samenzelle und zeugt mit einem Pickel¬ chen der anderen Wange regelrecht ein Kind.
Dieſe naivſte Methode „mit der Haut zu zeugen“ hat zweifellos lange Zeit bei deinen Urahnen ganz unbeſtritten und unſtreitbar geherrſcht. Ich habe dir ſchon ſo oft jetzt von dem luſtigen kleinen Süßwaſſerpolypen erzählt. Er iſt ſchon ein Kapitel weiter. Auf die Blaſe ohne Loch ſieht er mit Verachtung. Er hat ſchon die regelrechte Becherform mit Haut, Magen und Mundloch. Ja ſelbſt über die in ihrer einfachſten Urform hat er ſich um ein Weniges hinaus ſpe¬ zialiſiert. Gleichwohl: dieſer Polyp iſt noch ausgeſprochenſter Hautliebler. Noch immer ſchilfern ſich ihm von der äußeren Leibeshaut Samen wie Eizellen pickelhaft ab, die Liebe ſchwillt ihm ſozuſagen in Hühneraugen heraus, die einfach zu ihrer Zeit herunterfallen und je nachdem bald Samen, bald Eier ſind.
Indeſſen: wenig jenſeits dieſes Polypen zeigt ſich dann doch eine Wandlung, die, wie unſchwer zu erkennen, jetzt dem Vorhandenſein eines erſten Körperloches, des Mundes, Rechnung trägt. Die äußere Haut iſt in der Arbeitsteilung der Zellen ſozuſagen zum Außenfort der Leibesfeſtung geworden, ſeit¬ dem die Becherform klar erreicht iſt. Sie ſtellt den äußeren und exponierteren Körperteil fortan dar, dient allerhand Verteidigungs- und Orientierungszwecken, wird hart, panzerig, kalkig, mindeſtens borſtig, gleichſam der ruppige, mit Krethi und Plethi ſich prügelnde Außenreſſort des kunſtvollen Geſchäfts. Es ſcheint nicht gerade ſehr praktiſch, aus dieſer Brandmauer fortan noch eben die zarteſten, ſchutzloſeſten und zugleich doch köſtlichſten Gebilde der ganzen Fabrik, die Zeugungsſtoffe, zu rekrutieren. Da iſt aber ja nun gleichzeitig die Innenhöhle des Leibes jetzt ſehr viel brauchbarer, ſcheint's, geworden. Sie iſt nicht mehr die hermetiſch verſchloſſene Blaſenhöhle, ſondern ein hübſches Magenkeſſelchen mit offenem Mund. Wo die Nahrungs¬ ſtoffe hereinſpazieren, warum ſollen da nicht die Zeugungsſtoffe ebenſo gut herausſpazieren? Rekrutieren ſie ſich alſo aus den
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einen Wange dient als Samenzelle und zeugt mit einem Pickel¬
chen der anderen Wange regelrecht ein Kind.
Dieſe naivſte Methode „mit der Haut zu zeugen“ hat
zweifellos lange Zeit bei deinen Urahnen ganz unbeſtritten
und unſtreitbar geherrſcht. Ich habe dir ſchon ſo oft jetzt von
dem luſtigen kleinen Süßwaſſerpolypen erzählt. Er iſt ſchon
ein Kapitel weiter. Auf die Blaſe ohne Loch ſieht er mit
Verachtung. Er hat ſchon die regelrechte Becherform mit
Haut, Magen und Mundloch. Ja ſelbſt über die in ihrer
einfachſten Urform hat er ſich um ein Weniges hinaus ſpe¬
zialiſiert. Gleichwohl: dieſer Polyp iſt noch ausgeſprochenſter
Hautliebler. Noch immer ſchilfern ſich ihm von der äußeren
Leibeshaut Samen wie Eizellen pickelhaft ab, die Liebe ſchwillt
ihm ſozuſagen in Hühneraugen heraus, die einfach zu ihrer Zeit
herunterfallen und je nachdem bald Samen, bald Eier ſind.
Indeſſen: wenig jenſeits dieſes Polypen zeigt ſich dann
doch eine Wandlung, die, wie unſchwer zu erkennen, jetzt dem
Vorhandenſein eines erſten Körperloches, des Mundes, Rechnung
trägt. Die äußere Haut iſt in der Arbeitsteilung der Zellen
ſozuſagen zum Außenfort der Leibesfeſtung geworden, ſeit¬
dem die Becherform klar erreicht iſt. Sie ſtellt den äußeren
und exponierteren Körperteil fortan dar, dient allerhand
Verteidigungs- und Orientierungszwecken, wird hart, panzerig,
kalkig, mindeſtens borſtig, gleichſam der ruppige, mit Krethi und
Plethi ſich prügelnde Außenreſſort des kunſtvollen Geſchäfts.
Es ſcheint nicht gerade ſehr praktiſch, aus dieſer Brandmauer
fortan noch eben die zarteſten, ſchutzloſeſten und zugleich doch
köſtlichſten Gebilde der ganzen Fabrik, die Zeugungsſtoffe, zu
rekrutieren. Da iſt aber ja nun gleichzeitig die Innenhöhle des
Leibes jetzt ſehr viel brauchbarer, ſcheint's, geworden. Sie iſt
nicht mehr die hermetiſch verſchloſſene Blaſenhöhle, ſondern ein
hübſches Magenkeſſelchen mit offenem Mund. Wo die Nahrungs¬
ſtoffe hereinſpazieren, warum ſollen da nicht die Zeugungsſtoffe
ebenſo gut herausſpazieren? Rekrutieren ſie ſich alſo aus den
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/247>, abgerufen am 23.11.2024.
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