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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Ein derbes Wort kann Huri nicht verdrießen;
Wir fühlen, was vom Herzen spricht,
Und was aus frischer Quelle bricht,
Das darf im Paradiese fließen.
Goethe (Im Buch des Paradieses)

Wallfahrt nach Italien. Was war der große Magnet,
der dich hinzog? Der noch heute dein Herz klopfen läßt,
wenn das Wort erklingt? Landschaft, lebendige Menschen und
ihre Sitten. Ja das ist schließlich auch anderswo. Die Natur
ist allerorten ein ewiges Jerusalem und jeder Schritt nach
Süd oder Nord in sie ist ein Kreuzzug. Über der Wallfahrt
gerade nach Italien liegt aber noch etwas besonderes.

Du gehst in die Gesellschaft gewisser Männer und
Weiber, die nie gelebt haben und doch unsterblicher sind als
Millionen lebendiger. In die Gesellschaft des Menschen auf
einem höheren Stockwerk. Zum Menschen gehst du zu Gast,
wie ihn die Kunst gesehen hat. Herrliche Menschenleiber, von
Malern, von Bildhauern geschaffen.

Ja verachte du nur den Menschenleib. Die alle von der
großen Griechenzeit bis auf Michelangelo, -- sie wußten doch
in Marmor und Farbe nichts anderes festzuhalten als diesen
Leib. Dich aber strahlt er an mit mehr Geist, als deine
ganze lebendige Mitmenschheit noch hat.

Nackte Leiber schauen dich an. Du bist wie in einer ge¬


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Ein derbes Wort kann Huri nicht verdrießen;
Wir fühlen, was vom Herzen ſpricht,
Und was aus friſcher Quelle bricht,
Das darf im Paradieſe fließen.
Goethe (Im Buch des Paradieſes)

Wallfahrt nach Italien. Was war der große Magnet,
der dich hinzog? Der noch heute dein Herz klopfen läßt,
wenn das Wort erklingt? Landſchaft, lebendige Menſchen und
ihre Sitten. Ja das iſt ſchließlich auch anderswo. Die Natur
iſt allerorten ein ewiges Jeruſalem und jeder Schritt nach
Süd oder Nord in ſie iſt ein Kreuzzug. Über der Wallfahrt
gerade nach Italien liegt aber noch etwas beſonderes.

Du gehſt in die Geſellſchaft gewiſſer Männer und
Weiber, die nie gelebt haben und doch unſterblicher ſind als
Millionen lebendiger. In die Geſellſchaft des Menſchen auf
einem höheren Stockwerk. Zum Menſchen gehſt du zu Gaſt,
wie ihn die Kunſt geſehen hat. Herrliche Menſchenleiber, von
Malern, von Bildhauern geſchaffen.

Ja verachte du nur den Menſchenleib. Die alle von der
großen Griechenzeit bis auf Michelangelo, — ſie wußten doch
in Marmor und Farbe nichts anderes feſtzuhalten als dieſen
Leib. Dich aber ſtrahlt er an mit mehr Geiſt, als deine
ganze lebendige Mitmenſchheit noch hat.

Nackte Leiber ſchauen dich an. Du biſt wie in einer ge¬

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[263/0279] [Abbildung] Ein derbes Wort kann Huri nicht verdrießen; Wir fühlen, was vom Herzen ſpricht, Und was aus friſcher Quelle bricht, Das darf im Paradieſe fließen. Goethe (Im Buch des Paradieſes) Wallfahrt nach Italien. Was war der große Magnet, der dich hinzog? Der noch heute dein Herz klopfen läßt, wenn das Wort erklingt? Landſchaft, lebendige Menſchen und ihre Sitten. Ja das iſt ſchließlich auch anderswo. Die Natur iſt allerorten ein ewiges Jeruſalem und jeder Schritt nach Süd oder Nord in ſie iſt ein Kreuzzug. Über der Wallfahrt gerade nach Italien liegt aber noch etwas beſonderes. Du gehſt in die Geſellſchaft gewiſſer Männer und Weiber, die nie gelebt haben und doch unſterblicher ſind als Millionen lebendiger. In die Geſellſchaft des Menſchen auf einem höheren Stockwerk. Zum Menſchen gehſt du zu Gaſt, wie ihn die Kunſt geſehen hat. Herrliche Menſchenleiber, von Malern, von Bildhauern geſchaffen. Ja verachte du nur den Menſchenleib. Die alle von der großen Griechenzeit bis auf Michelangelo, — ſie wußten doch in Marmor und Farbe nichts anderes feſtzuhalten als dieſen Leib. Dich aber ſtrahlt er an mit mehr Geiſt, als deine ganze lebendige Mitmenſchheit noch hat. Nackte Leiber ſchauen dich an. Du biſt wie in einer ge¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/279>, abgerufen am 22.11.2024.