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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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mir ein System empfindet und nicht bloß ein einzelnes monaden¬
artiges Atom. Damit ist aber nun vollends eine ungeheure
Analogie offen. Überall in der Natur, wo geschlossene Systeme
auftreten, tritt auch die Denkbarkeit, ja Wahrscheinlichkeit auf,
daß hier nicht bloß ein atomistisches Empfinden aller Teilchen,
sondern auch eine Gesamtempfindung höherer Ordnung durch
das ganze System stattfinde.

Schon mit diesen beiden letzten Analogieen bin ich also
der Kuckucksuhr nun doch noch seelisch auf den Hals gerückt.
Sei es, daß ich bloß ihre winzigsten Teilchen empfinden lasse;
sei es, daß ich sie als System gelten lasse und so sogar
weiter schließe.

Inzwischen reckt sich aber vom Moment an, da das An¬
organische überhaupt berührt worden ist, von dort unten her
eine ganz andere Auffassung vor, die uns gern wieder aus
allen früheren Positionen herauswerfen möchte. Da wird dir
gesagt: wenn ein sogenannter anorganischer Körper fällt, --
also ein Stein oder auch das Gewicht der Kuckucksuhr, so ist
das einfach ein "mechanischer Vorgang". Das Gesetz von der
Erhaltung der Energie kommt da in Betracht und die Em¬
pfindung spielt in diesem überhaupt keine Rolle. Und nach
dieser Analogie von unten her sollen wir nun aufsteigen auch
ins Organische hinein. Da ist das Bakterium, -- fassen wir
es doch einmal rein als fallenden Stein oder mechanisch ab¬
rollendes Räderwerk, ob nicht so auch alles genau klappt, ja
der exakten Rechnung schließlich zugänglich wird, die auf jenem
Gesetz fußt. Da ist die Pflanze -- treiben wir die Analogie
weiter. Die Pflanze eine Maschine. Ist uns das aber so
weit gelungen, so sei nun endlich das Tier wieder erklärt nach
Analogie dieser mechanischen Pflanze. Wo ein Nervensystem
auftritt, da wird es lediglich beschrieben als ein Apparat, den
bestimmte Kräfte nach den Regeln des Energiegesetzes durchlaufen.
Auch das Gehirn des Kuckucks wird so beschrieben. Und in
das Tier, das mit der Nadel gepikt wird und Au schreit, wird

mir ein Syſtem empfindet und nicht bloß ein einzelnes monaden¬
artiges Atom. Damit iſt aber nun vollends eine ungeheure
Analogie offen. Überall in der Natur, wo geſchloſſene Syſteme
auftreten, tritt auch die Denkbarkeit, ja Wahrſcheinlichkeit auf,
daß hier nicht bloß ein atomiſtiſches Empfinden aller Teilchen,
ſondern auch eine Geſamtempfindung höherer Ordnung durch
das ganze Syſtem ſtattfinde.

Schon mit dieſen beiden letzten Analogieen bin ich alſo
der Kuckucksuhr nun doch noch ſeeliſch auf den Hals gerückt.
Sei es, daß ich bloß ihre winzigſten Teilchen empfinden laſſe;
ſei es, daß ich ſie als Syſtem gelten laſſe und ſo ſogar
weiter ſchließe.

Inzwiſchen reckt ſich aber vom Moment an, da das An¬
organiſche überhaupt berührt worden iſt, von dort unten her
eine ganz andere Auffaſſung vor, die uns gern wieder aus
allen früheren Poſitionen herauswerfen möchte. Da wird dir
geſagt: wenn ein ſogenannter anorganiſcher Körper fällt, —
alſo ein Stein oder auch das Gewicht der Kuckucksuhr, ſo iſt
das einfach ein „mechaniſcher Vorgang“. Das Geſetz von der
Erhaltung der Energie kommt da in Betracht und die Em¬
pfindung ſpielt in dieſem überhaupt keine Rolle. Und nach
dieſer Analogie von unten her ſollen wir nun aufſteigen auch
ins Organiſche hinein. Da iſt das Bakterium, — faſſen wir
es doch einmal rein als fallenden Stein oder mechaniſch ab¬
rollendes Räderwerk, ob nicht ſo auch alles genau klappt, ja
der exakten Rechnung ſchließlich zugänglich wird, die auf jenem
Geſetz fußt. Da iſt die Pflanze — treiben wir die Analogie
weiter. Die Pflanze eine Maſchine. Iſt uns das aber ſo
weit gelungen, ſo ſei nun endlich das Tier wieder erklärt nach
Analogie dieſer mechaniſchen Pflanze. Wo ein Nervenſyſtem
auftritt, da wird es lediglich beſchrieben als ein Apparat, den
beſtimmte Kräfte nach den Regeln des Energiegeſetzes durchlaufen.
Auch das Gehirn des Kuckucks wird ſo beſchrieben. Und in
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[296/0312] mir ein Syſtem empfindet und nicht bloß ein einzelnes monaden¬ artiges Atom. Damit iſt aber nun vollends eine ungeheure Analogie offen. Überall in der Natur, wo geſchloſſene Syſteme auftreten, tritt auch die Denkbarkeit, ja Wahrſcheinlichkeit auf, daß hier nicht bloß ein atomiſtiſches Empfinden aller Teilchen, ſondern auch eine Geſamtempfindung höherer Ordnung durch das ganze Syſtem ſtattfinde. Schon mit dieſen beiden letzten Analogieen bin ich alſo der Kuckucksuhr nun doch noch ſeeliſch auf den Hals gerückt. Sei es, daß ich bloß ihre winzigſten Teilchen empfinden laſſe; ſei es, daß ich ſie als Syſtem gelten laſſe und ſo ſogar weiter ſchließe. Inzwiſchen reckt ſich aber vom Moment an, da das An¬ organiſche überhaupt berührt worden iſt, von dort unten her eine ganz andere Auffaſſung vor, die uns gern wieder aus allen früheren Poſitionen herauswerfen möchte. Da wird dir geſagt: wenn ein ſogenannter anorganiſcher Körper fällt, — alſo ein Stein oder auch das Gewicht der Kuckucksuhr, ſo iſt das einfach ein „mechaniſcher Vorgang“. Das Geſetz von der Erhaltung der Energie kommt da in Betracht und die Em¬ pfindung ſpielt in dieſem überhaupt keine Rolle. Und nach dieſer Analogie von unten her ſollen wir nun aufſteigen auch ins Organiſche hinein. Da iſt das Bakterium, — faſſen wir es doch einmal rein als fallenden Stein oder mechaniſch ab¬ rollendes Räderwerk, ob nicht ſo auch alles genau klappt, ja der exakten Rechnung ſchließlich zugänglich wird, die auf jenem Geſetz fußt. Da iſt die Pflanze — treiben wir die Analogie weiter. Die Pflanze eine Maſchine. Iſt uns das aber ſo weit gelungen, ſo ſei nun endlich das Tier wieder erklärt nach Analogie dieſer mechaniſchen Pflanze. Wo ein Nervenſyſtem auftritt, da wird es lediglich beſchrieben als ein Apparat, den beſtimmte Kräfte nach den Regeln des Energiegeſetzes durchlaufen. Auch das Gehirn des Kuckucks wird ſo beſchrieben. Und in das Tier, das mit der Nadel gepikt wird und Au ſchreit, wird

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/312>, abgerufen am 22.11.2024.