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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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sind einmal wieder haarsträubend viel "dümmer als wir selbst".
Jeder Dichter, hat Vischer einmal gesagt, ist viel dümmer als
er selbst und viel gescheiter als er selbst. Will sagen: in jeder
Dichter-Individualität giebt's ein kleines Lichtfeld und eine
ungeheure Abgrundtiefe darunter, die faktisch unendlich viel
mehr umfaßt, als oben sichtbar wird. So schweben wir
Menschen aber alle miteinander beständig über einem Ozean
von Dingen, die eigentlich alle "wir" sind und die wir gleich¬
wohl auf Verlangen nicht haben können. Das Seelenleben
deiner eigenen Samentierchen ist dir so fremd wie das der
Marsbewohner.

[Abbildung]

Aber nehmen wir wirklich einmal an, wofür doch im
Grunde alles spricht: das Zusammenfließen zweier Wesen, die
jedes nur aus einer einzigen Zelle bestehen, in ein neues
Einheitswesen bedeute für diese Wesen ihren höchsten fertigen
Wollustmoment.

Diese Wollust war dann offenbar die wirklich älteste der
Lebewelt auf Erden. In irgend einem Urmeer vergessener
Grautage der Erdgeschichte ist sie zuerst von Einzellern erlebt
worden, -- bei den Rumpelstilzen unseres Schöpfungsmärchens.
Von solchen Einzellern ist sie dann in aller Folge myriaden¬
fach weiter erlebt worden. Und sie wird noch in uns selbst
und in allen anderen höchsten Tieren täglich erlebt von den
einzelligen Geschlechtszellen, dem Samen und dem Ei, wo
immer diese den wahren Mischakt vollziehen.

Wir ganzen Menschen aber, ich, und du, wie du hier
vor mir stehst, und jeder sonst, -- wir können überhaupt den
Fertigwerdepunkt unserer Wollust nicht in diesem äußersten
Mischmoment mehr haben, -- denn wir sind riesige Zellstaaten,
Genossenschaften von Zellen, die sich als solche gar nicht mehr
miteinander im Ganzen vermischen.

ſind einmal wieder haarſträubend viel „dümmer als wir ſelbſt“.
Jeder Dichter, hat Viſcher einmal geſagt, iſt viel dümmer als
er ſelbſt und viel geſcheiter als er ſelbſt. Will ſagen: in jeder
Dichter-Individualität giebt's ein kleines Lichtfeld und eine
ungeheure Abgrundtiefe darunter, die faktiſch unendlich viel
mehr umfaßt, als oben ſichtbar wird. So ſchweben wir
Menſchen aber alle miteinander beſtändig über einem Ozean
von Dingen, die eigentlich alle „wir“ ſind und die wir gleich¬
wohl auf Verlangen nicht haben können. Das Seelenleben
deiner eigenen Samentierchen iſt dir ſo fremd wie das der
Marsbewohner.

[Abbildung]

Aber nehmen wir wirklich einmal an, wofür doch im
Grunde alles ſpricht: das Zuſammenfließen zweier Weſen, die
jedes nur aus einer einzigen Zelle beſtehen, in ein neues
Einheitsweſen bedeute für dieſe Weſen ihren höchſten fertigen
Wolluſtmoment.

Dieſe Wolluſt war dann offenbar die wirklich älteſte der
Lebewelt auf Erden. In irgend einem Urmeer vergeſſener
Grautage der Erdgeſchichte iſt ſie zuerſt von Einzellern erlebt
worden, — bei den Rumpelſtilzen unſeres Schöpfungsmärchens.
Von ſolchen Einzellern iſt ſie dann in aller Folge myriaden¬
fach weiter erlebt worden. Und ſie wird noch in uns ſelbſt
und in allen anderen höchſten Tieren täglich erlebt von den
einzelligen Geſchlechtszellen, dem Samen und dem Ei, wo
immer dieſe den wahren Miſchakt vollziehen.

Wir ganzen Menſchen aber, ich, und du, wie du hier
vor mir ſtehſt, und jeder ſonſt, — wir können überhaupt den
Fertigwerdepunkt unſerer Wolluſt nicht in dieſem äußerſten
Miſchmoment mehr haben, — denn wir ſind rieſige Zellſtaaten,
Genoſſenſchaften von Zellen, die ſich als ſolche gar nicht mehr
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[304/0320] ſind einmal wieder haarſträubend viel „dümmer als wir ſelbſt“. Jeder Dichter, hat Viſcher einmal geſagt, iſt viel dümmer als er ſelbſt und viel geſcheiter als er ſelbſt. Will ſagen: in jeder Dichter-Individualität giebt's ein kleines Lichtfeld und eine ungeheure Abgrundtiefe darunter, die faktiſch unendlich viel mehr umfaßt, als oben ſichtbar wird. So ſchweben wir Menſchen aber alle miteinander beſtändig über einem Ozean von Dingen, die eigentlich alle „wir“ ſind und die wir gleich¬ wohl auf Verlangen nicht haben können. Das Seelenleben deiner eigenen Samentierchen iſt dir ſo fremd wie das der Marsbewohner. [Abbildung] Aber nehmen wir wirklich einmal an, wofür doch im Grunde alles ſpricht: das Zuſammenfließen zweier Weſen, die jedes nur aus einer einzigen Zelle beſtehen, in ein neues Einheitsweſen bedeute für dieſe Weſen ihren höchſten fertigen Wolluſtmoment. Dieſe Wolluſt war dann offenbar die wirklich älteſte der Lebewelt auf Erden. In irgend einem Urmeer vergeſſener Grautage der Erdgeſchichte iſt ſie zuerſt von Einzellern erlebt worden, — bei den Rumpelſtilzen unſeres Schöpfungsmärchens. Von ſolchen Einzellern iſt ſie dann in aller Folge myriaden¬ fach weiter erlebt worden. Und ſie wird noch in uns ſelbſt und in allen anderen höchſten Tieren täglich erlebt von den einzelligen Geſchlechtszellen, dem Samen und dem Ei, wo immer dieſe den wahren Miſchakt vollziehen. Wir ganzen Menſchen aber, ich, und du, wie du hier vor mir ſtehſt, und jeder ſonſt, — wir können überhaupt den Fertigwerdepunkt unſerer Wolluſt nicht in dieſem äußerſten Miſchmoment mehr haben, — denn wir ſind rieſige Zellſtaaten, Genoſſenſchaften von Zellen, die ſich als ſolche gar nicht mehr miteinander im Ganzen vermiſchen.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/320>, abgerufen am 22.11.2024.