ursprünglicher Einzelwesen nach dem Prinzip der Arbeitsteilung sind. Im Triumph seiner Vereinheitlichung besitzt es natür¬ lich auch wieder die Lust- und Schmerzempfindungen wie jede jener früheren Einzelzellen. Ein Stich mit der Nadel bringt bei ihm eine Schmerzreaktion hervor genau wie bei dem Ein¬ zeller. Und wenn es in die Liebeserregungen gerät, so taucht auch dieses höhere Vielzell-Individuum in eine breite Gold¬ welle vielfältig verschlungener Lustgefühle mit einer geraden Steigerung auf einen Gipfelmoment der absoluten Liebeslust- Erfüllung los.
Aber!
Diese ganze Liebeslust muß sich mit all ihren Steigerungen doch in einem hier den Verhältnissen der Zellgenossenschaft im Gegensatz zur Einzelzelle anbequemt haben. Ihr ganzer Lauf mußte sich bis zum Schluß erfüllen innerhalb jener Distance-Liebe, die der Zellgenossenschaft ja allein gewährt ist. Von einer Erfüllung im wahren Mischakt konnte bei ihr keinerlei Rede sein, da die ganzen männlichen und weiblichen Vielzell- Wesen sich als solche gar nicht mehr mischten bis zum In¬ einanderfließen.
Alles umfaßte bis zu dem gewissen Punkt ja das Liebes¬ leben auch der großen Zellgenossenschaften, wie du eine bist, wie ich eine bin, wie deine Liebste eine ist. Diese höheren, gesteigerten Individuen sahen sich, konnten sich aufeinander zu bewegen, hörten sich, fühlten sich durch hundert feine äußere Medien hindurch, sie schmolzen geistig einander zu, setzten sich in wunderbare Harmonie, -- sie berührten sich endlich unmittel¬ bar mit den Hauptwänden ihrer Leiber -- sie drückten sich die Hand, umarmten sich, küßten sich, -- sie preßten sich immer fester aneinander, durchdrangen sich ein kurzes Stück Körper in Körper. In alle dem trug ihre Liebe die ganze Sache, trug sie tausendmal besser als die sich suchenden Einzelzellen es jemals vermocht, trug sie für die im Leibesinneren ver¬ borgenen Geschlechtszellen mit. Alle Lust- und Leidgefühle
urſprünglicher Einzelweſen nach dem Prinzip der Arbeitsteilung ſind. Im Triumph ſeiner Vereinheitlichung beſitzt es natür¬ lich auch wieder die Luſt- und Schmerzempfindungen wie jede jener früheren Einzelzellen. Ein Stich mit der Nadel bringt bei ihm eine Schmerzreaktion hervor genau wie bei dem Ein¬ zeller. Und wenn es in die Liebeserregungen gerät, ſo taucht auch dieſes höhere Vielzell-Individuum in eine breite Gold¬ welle vielfältig verſchlungener Luſtgefühle mit einer geraden Steigerung auf einen Gipfelmoment der abſoluten Liebesluſt- Erfüllung los.
Aber!
Dieſe ganze Liebesluſt muß ſich mit all ihren Steigerungen doch in einem hier den Verhältniſſen der Zellgenoſſenſchaft im Gegenſatz zur Einzelzelle anbequemt haben. Ihr ganzer Lauf mußte ſich bis zum Schluß erfüllen innerhalb jener Diſtance-Liebe, die der Zellgenoſſenſchaft ja allein gewährt iſt. Von einer Erfüllung im wahren Miſchakt konnte bei ihr keinerlei Rede ſein, da die ganzen männlichen und weiblichen Vielzell- Weſen ſich als ſolche gar nicht mehr miſchten bis zum In¬ einanderfließen.
Alles umfaßte bis zu dem gewiſſen Punkt ja das Liebes¬ leben auch der großen Zellgenoſſenſchaften, wie du eine biſt, wie ich eine bin, wie deine Liebſte eine iſt. Dieſe höheren, geſteigerten Individuen ſahen ſich, konnten ſich aufeinander zu bewegen, hörten ſich, fühlten ſich durch hundert feine äußere Medien hindurch, ſie ſchmolzen geiſtig einander zu, ſetzten ſich in wunderbare Harmonie, — ſie berührten ſich endlich unmittel¬ bar mit den Hauptwänden ihrer Leiber — ſie drückten ſich die Hand, umarmten ſich, küßten ſich, — ſie preßten ſich immer feſter aneinander, durchdrangen ſich ein kurzes Stück Körper in Körper. In alle dem trug ihre Liebe die ganze Sache, trug ſie tauſendmal beſſer als die ſich ſuchenden Einzelzellen es jemals vermocht, trug ſie für die im Leibesinneren ver¬ borgenen Geſchlechtszellen mit. Alle Luſt- und Leidgefühle
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urſprünglicher Einzelweſen nach dem Prinzip der Arbeitsteilung
ſind. Im Triumph ſeiner Vereinheitlichung beſitzt es natür¬
lich auch wieder die Luſt- und Schmerzempfindungen wie jede
jener früheren Einzelzellen. Ein Stich mit der Nadel bringt
bei ihm eine Schmerzreaktion hervor genau wie bei dem Ein¬
zeller. Und wenn es in die Liebeserregungen gerät, ſo taucht
auch dieſes höhere Vielzell-Individuum in eine breite Gold¬
welle vielfältig verſchlungener Luſtgefühle mit einer geraden
Steigerung auf einen Gipfelmoment der abſoluten Liebesluſt-
Erfüllung los.
Aber!
Dieſe ganze Liebesluſt muß ſich mit all ihren Steigerungen
doch in einem hier den Verhältniſſen der Zellgenoſſenſchaft
im Gegenſatz zur Einzelzelle anbequemt haben. Ihr ganzer
Lauf mußte ſich bis zum Schluß erfüllen innerhalb jener
Diſtance-Liebe, die der Zellgenoſſenſchaft ja allein gewährt iſt.
Von einer Erfüllung im wahren Miſchakt konnte bei ihr keinerlei
Rede ſein, da die ganzen männlichen und weiblichen Vielzell-
Weſen ſich als ſolche gar nicht mehr miſchten bis zum In¬
einanderfließen.
Alles umfaßte bis zu dem gewiſſen Punkt ja das Liebes¬
leben auch der großen Zellgenoſſenſchaften, wie du eine biſt,
wie ich eine bin, wie deine Liebſte eine iſt. Dieſe höheren,
geſteigerten Individuen ſahen ſich, konnten ſich aufeinander zu
bewegen, hörten ſich, fühlten ſich durch hundert feine äußere
Medien hindurch, ſie ſchmolzen geiſtig einander zu, ſetzten ſich
in wunderbare Harmonie, — ſie berührten ſich endlich unmittel¬
bar mit den Hauptwänden ihrer Leiber — ſie drückten ſich die
Hand, umarmten ſich, küßten ſich, — ſie preßten ſich immer
feſter aneinander, durchdrangen ſich ein kurzes Stück Körper
in Körper. In alle dem trug ihre Liebe die ganze Sache,
trug ſie tauſendmal beſſer als die ſich ſuchenden Einzelzellen
es jemals vermocht, trug ſie für die im Leibesinneren ver¬
borgenen Geſchlechtszellen mit. Alle Luſt- und Leidgefühle
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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