den Himmeln schwebt. Und damit das treue Paar sich nicht zufällig löse, wickelt das Männlein jene beiden langen dünnen Schweiffedern die Zeit über fest wie einen "Schuhmacherdraht" um den Leib der brütenden Mutter.
Die Historie ist so sinnreich erfunden, daß man sich fast wundert, daß sie nicht wahr ist. Denn die Natur ist ja un¬ erschöpflich in ähnlich verwickelten Methoden bei erschwerter Brutpflege. Lieblich erfunden ist auch die kleine Wilden-Geschichte, die Geßner beifügt: vom Vöglein Gottes als Bekehrer zum Unsterblichkeitsglauben. "Die Könige Marmin in den Inseln Molukkis", erzählt er, "haben vor wenig Jahren die Seelen untötlich seyn anfangen zu glauben, und das auß keinem andern grund, dann daz sie etwan ein sehr schönes vögelein, so nimmer weder auff die Erden, noch ander Ding sitze, vermerkt haben, sondern daz es zu zeiten auß der hohen Luft auff das Erdt¬ reich also todt hinabfalle. Und als die Machumeten, so dann umb Kauffmanschatz willen zu jhnen kommen, diesen vogel im Paradiß, welches dann das ort der abgestorbenen Seelen were, geboren seyn bezeugten, da haben die Könige die Machumetische Sekt angenommen, darumb daß dieselbge von diesem Paradiß viel großes verhiesse und zusagte."
Dreihundert Jahre später folgt eine Stunde schillerndster Naturforscher-Romantik.
Es ist im März 1857, auf einer der kleinen Aru-Inseln dicht bei Neu-Guinea. Ein englischer Sammler, Herr Alfred Russel Wallace, hat sich hier einquartiert, um Vögel zu schießen und Schmetterlinge und Käfer zu fangen. Es ist derselbe Wallace, der wenig später als Mitbegründer der Lehre von der natürlichen Zuchtwahl neben Darwin berühmt geworden ist. Die Aru-Inseln waren damals für einen Zoologen jungfräu¬ liches Gebiet. Wallace schickt seine Burschen auf die Jagd und einer bringt einen bunten Vogel heim. Es ist der erste Königsparadiesvogel, den ein Naturforscher an Ort und Stelle frisch vom Schuß erhält.
den Himmeln ſchwebt. Und damit das treue Paar ſich nicht zufällig löſe, wickelt das Männlein jene beiden langen dünnen Schweiffedern die Zeit über feſt wie einen „Schuhmacherdraht“ um den Leib der brütenden Mutter.
Die Hiſtorie iſt ſo ſinnreich erfunden, daß man ſich faſt wundert, daß ſie nicht wahr iſt. Denn die Natur iſt ja un¬ erſchöpflich in ähnlich verwickelten Methoden bei erſchwerter Brutpflege. Lieblich erfunden iſt auch die kleine Wilden-Geſchichte, die Geßner beifügt: vom Vöglein Gottes als Bekehrer zum Unſterblichkeitsglauben. „Die Könige Marmin in den Inſeln Molukkis“, erzählt er, „haben vor wenig Jahren die Seelen untötlich ſeyn anfangen zu glauben, und das auß keinem andern grund, dann daz ſie etwan ein ſehr ſchönes vögelein, ſo nimmer weder auff die Erden, noch ander Ding ſitze, vermerkt haben, ſondern daz es zu zeiten auß der hohen Luft auff das Erdt¬ reich alſo todt hinabfalle. Und als die Machumeten, ſo dann umb Kauffmanſchatz willen zu jhnen kommen, dieſen vogel im Paradiß, welches dann das ort der abgeſtorbenen Seelen were, geboren ſeyn bezeugten, da haben die Könige die Machumetiſche Sekt angenommen, darumb daß dieſelbge von dieſem Paradiß viel großes verhieſſe und zuſagte.“
Dreihundert Jahre ſpäter folgt eine Stunde ſchillerndſter Naturforſcher-Romantik.
Es iſt im März 1857, auf einer der kleinen Aru-Inſeln dicht bei Neu-Guinea. Ein engliſcher Sammler, Herr Alfred Ruſſel Wallace, hat ſich hier einquartiert, um Vögel zu ſchießen und Schmetterlinge und Käfer zu fangen. Es iſt derſelbe Wallace, der wenig ſpäter als Mitbegründer der Lehre von der natürlichen Zuchtwahl neben Darwin berühmt geworden iſt. Die Aru-Inſeln waren damals für einen Zoologen jungfräu¬ liches Gebiet. Wallace ſchickt ſeine Burſchen auf die Jagd und einer bringt einen bunten Vogel heim. Es iſt der erſte Königsparadiesvogel, den ein Naturforſcher an Ort und Stelle friſch vom Schuß erhält.
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den Himmeln ſchwebt. Und damit das treue Paar ſich nicht
zufällig löſe, wickelt das Männlein jene beiden langen dünnen
Schweiffedern die Zeit über feſt wie einen „Schuhmacherdraht“
um den Leib der brütenden Mutter.
Die Hiſtorie iſt ſo ſinnreich erfunden, daß man ſich faſt
wundert, daß ſie nicht wahr iſt. Denn die Natur iſt ja un¬
erſchöpflich in ähnlich verwickelten Methoden bei erſchwerter
Brutpflege. Lieblich erfunden iſt auch die kleine Wilden-Geſchichte,
die Geßner beifügt: vom Vöglein Gottes als Bekehrer zum
Unſterblichkeitsglauben. „Die Könige Marmin in den Inſeln
Molukkis“, erzählt er, „haben vor wenig Jahren die Seelen
untötlich ſeyn anfangen zu glauben, und das auß keinem andern
grund, dann daz ſie etwan ein ſehr ſchönes vögelein, ſo nimmer
weder auff die Erden, noch ander Ding ſitze, vermerkt haben,
ſondern daz es zu zeiten auß der hohen Luft auff das Erdt¬
reich alſo todt hinabfalle. Und als die Machumeten, ſo dann
umb Kauffmanſchatz willen zu jhnen kommen, dieſen vogel im
Paradiß, welches dann das ort der abgeſtorbenen Seelen were,
geboren ſeyn bezeugten, da haben die Könige die Machumetiſche
Sekt angenommen, darumb daß dieſelbge von dieſem Paradiß
viel großes verhieſſe und zuſagte.“
Dreihundert Jahre ſpäter folgt eine Stunde ſchillerndſter
Naturforſcher-Romantik.
Es iſt im März 1857, auf einer der kleinen Aru-Inſeln
dicht bei Neu-Guinea. Ein engliſcher Sammler, Herr Alfred
Ruſſel Wallace, hat ſich hier einquartiert, um Vögel zu ſchießen
und Schmetterlinge und Käfer zu fangen. Es iſt derſelbe
Wallace, der wenig ſpäter als Mitbegründer der Lehre von
der natürlichen Zuchtwahl neben Darwin berühmt geworden iſt.
Die Aru-Inſeln waren damals für einen Zoologen jungfräu¬
liches Gebiet. Wallace ſchickt ſeine Burſchen auf die Jagd
und einer bringt einen bunten Vogel heim. Es iſt der erſte
Königsparadiesvogel, den ein Naturforſcher an Ort und Stelle
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/360>, abgerufen am 22.11.2024.
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