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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Äußerst anziehend schildert Wallace, wie der Tag für ihn
ein Fest war. Einer der Zwecke seiner ganzen Reise war
damit erfüllt. "Die Empfindungen eines Naturforschers, welcher
lange gewünscht hat, das Ding in Wirklichkeit zu sehen, das
er bis jetzt nur nach einer Beschreibung, nach Zeichnungen
und nach schlecht erhaltenen äußeren Körperdecken kannte --
speziell wenn dieses Ding von außerordentlicher Schönheit und
Seltenheit ist -- bedürften einer poetischen Ader, wenn sie
vollkommen zum Ausdruck gelangen sollten. Die entfernte
Insel, auf der ich mich befand, in einem fast unbesuchten
Meere, weitab von den Straßen der Kaufmannsflotten, die
wilden, üppigen, tropischen Wälder, die sich weit nach allen
Seiten hin ausbreiten, die rohen, unkultivierten Wilden, die
mich umstarrten, -- alles das hatte einen Einfluß auf die
Empfindungen, mit denen ich diesen Inbegriff der Schönheit
schaute."

Er schwebte allerdings nicht im Sinne Geßners ewig
durch den Äther, dieser Inbegriff der Schönheit. Wallace sah
diesmal sehr genau die blauen Füße vor sich, die an früher
bekannten Bälgen stets erst nachträglich von den Eingeborenen
abgeschnitten worden waren. Aber der unmittelbare Reiz des
Schönen blieb. "Ich dachte an die lang vergangenen Zeiten,
während welcher die aufeinander folgenden Generationen dieses
kleinen Geschöpfes ihre Entwickelung durchliefen -- Jahr auf
Jahr zur Welt gebracht wurden, lebten und starben, und alles
in diesen dunklen, düsteren Wäldern, ohne daß ein intelligentes
Auge ihre Lieblichkeit erspähte, -- eine üppige Verschwendung
von Schönheit."

Der Gedanke stimmt ihn melancholisch. Er sagt sich, daß
der Kulturmensch, wenn er wirklich in diesen entlegenen Wald¬
winkel kommt, die schwachen Vögelchen sogar rasch zum Aus¬
sterben bringen wird -- eine Prophezeihung, die heute schon
für das ganze Paradiesvogel-Geschlecht sich in Wirklichkeit zu
verwandeln droht. Und so philosophiert er, daß diese köstliche

Äußerſt anziehend ſchildert Wallace, wie der Tag für ihn
ein Feſt war. Einer der Zwecke ſeiner ganzen Reiſe war
damit erfüllt. „Die Empfindungen eines Naturforſchers, welcher
lange gewünſcht hat, das Ding in Wirklichkeit zu ſehen, das
er bis jetzt nur nach einer Beſchreibung, nach Zeichnungen
und nach ſchlecht erhaltenen äußeren Körperdecken kannte —
ſpeziell wenn dieſes Ding von außerordentlicher Schönheit und
Seltenheit iſt — bedürften einer poetiſchen Ader, wenn ſie
vollkommen zum Ausdruck gelangen ſollten. Die entfernte
Inſel, auf der ich mich befand, in einem faſt unbeſuchten
Meere, weitab von den Straßen der Kaufmannsflotten, die
wilden, üppigen, tropiſchen Wälder, die ſich weit nach allen
Seiten hin ausbreiten, die rohen, unkultivierten Wilden, die
mich umſtarrten, — alles das hatte einen Einfluß auf die
Empfindungen, mit denen ich dieſen Inbegriff der Schönheit
ſchaute.“

Er ſchwebte allerdings nicht im Sinne Geßners ewig
durch den Äther, dieſer Inbegriff der Schönheit. Wallace ſah
diesmal ſehr genau die blauen Füße vor ſich, die an früher
bekannten Bälgen ſtets erſt nachträglich von den Eingeborenen
abgeſchnitten worden waren. Aber der unmittelbare Reiz des
Schönen blieb. „Ich dachte an die lang vergangenen Zeiten,
während welcher die aufeinander folgenden Generationen dieſes
kleinen Geſchöpfes ihre Entwickelung durchliefen — Jahr auf
Jahr zur Welt gebracht wurden, lebten und ſtarben, und alles
in dieſen dunklen, düſteren Wäldern, ohne daß ein intelligentes
Auge ihre Lieblichkeit erſpähte, — eine üppige Verſchwendung
von Schönheit.“

Der Gedanke ſtimmt ihn melancholiſch. Er ſagt ſich, daß
der Kulturmenſch, wenn er wirklich in dieſen entlegenen Wald¬
winkel kommt, die ſchwachen Vögelchen ſogar raſch zum Aus¬
ſterben bringen wird — eine Prophezeihung, die heute ſchon
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[345/0361] Äußerſt anziehend ſchildert Wallace, wie der Tag für ihn ein Feſt war. Einer der Zwecke ſeiner ganzen Reiſe war damit erfüllt. „Die Empfindungen eines Naturforſchers, welcher lange gewünſcht hat, das Ding in Wirklichkeit zu ſehen, das er bis jetzt nur nach einer Beſchreibung, nach Zeichnungen und nach ſchlecht erhaltenen äußeren Körperdecken kannte — ſpeziell wenn dieſes Ding von außerordentlicher Schönheit und Seltenheit iſt — bedürften einer poetiſchen Ader, wenn ſie vollkommen zum Ausdruck gelangen ſollten. Die entfernte Inſel, auf der ich mich befand, in einem faſt unbeſuchten Meere, weitab von den Straßen der Kaufmannsflotten, die wilden, üppigen, tropiſchen Wälder, die ſich weit nach allen Seiten hin ausbreiten, die rohen, unkultivierten Wilden, die mich umſtarrten, — alles das hatte einen Einfluß auf die Empfindungen, mit denen ich dieſen Inbegriff der Schönheit ſchaute.“ Er ſchwebte allerdings nicht im Sinne Geßners ewig durch den Äther, dieſer Inbegriff der Schönheit. Wallace ſah diesmal ſehr genau die blauen Füße vor ſich, die an früher bekannten Bälgen ſtets erſt nachträglich von den Eingeborenen abgeſchnitten worden waren. Aber der unmittelbare Reiz des Schönen blieb. „Ich dachte an die lang vergangenen Zeiten, während welcher die aufeinander folgenden Generationen dieſes kleinen Geſchöpfes ihre Entwickelung durchliefen — Jahr auf Jahr zur Welt gebracht wurden, lebten und ſtarben, und alles in dieſen dunklen, düſteren Wäldern, ohne daß ein intelligentes Auge ihre Lieblichkeit erſpähte, — eine üppige Verſchwendung von Schönheit.“ Der Gedanke ſtimmt ihn melancholiſch. Er ſagt ſich, daß der Kulturmenſch, wenn er wirklich in dieſen entlegenen Wald¬ winkel kommt, die ſchwachen Vögelchen ſogar raſch zum Aus¬ ſterben bringen wird — eine Prophezeihung, die heute ſchon für das ganze Paradiesvogel-Geſchlecht ſich in Wirklichkeit zu verwandeln droht. Und ſo philoſophiert er, daß dieſe köſtliche

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/361>, abgerufen am 22.11.2024.