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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Naturschöpfung nicht um des Menschen willen allein entstanden
sein könne, sondern einen eigenen Selbstzweck der Existenz
besitzen müsse.

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Ich bin auf diese Entdeckungsgeschichte hier so genau ein¬
gegangen, weil sie einen Maßstab dafür giebt, wie dieser Vogel
immer wieder gewirkt hat. Der rohe Eingeborene, der geschäfts¬
kühle überseeische Händler, der hausbackene Gelehrte des sech¬
zehnten Jahrhunderts in seiner Apothekerstube daheim, und
dann wieder der feinsinnige Philosoph und Naturforscher des
neunzehnten Jahrhunderts, sie alle lassen im Anblick dieses
Vogels die Tagesarbeit einen Augenblick sinken, sinnen, dichten
Märchen; selbst der strenge Forscher sucht eine poetische Ader
und philosophiert über Gott und Welt. Worte wie Gott,
König, Paradies, Inbegriff der Schönheit werden beschworen,
um ihm einen Namen zu geben.

Und dabei ist dieser Königs-Paradiesvogel nur einer unter
vielen in langer Reihe. Der zierlichste, aber nicht einmal auf¬
fälligste seiner Familie.

Da ist in dem bunten Museumsbilde der sogenannte "große
Paradiesvogel", eigentlich der bekannteste Typus der Gruppe.
Auch er im Grunde noch kein großer Vogel, einer Dohle etwa
gleich. Aber die Empfindung der Größe entsteht durch die
ungeheuerliche Verschwendung gewisser Federn. Der echte Vogel¬
leib ist beinah schlicht gefärbt, braunrot, nur im Nacken mit
einem Goldband und von der Kehle bis über die Augen sammet¬
grün. Aber an den Seiten dieses Leibes, unter den Flügeln,
an einer Stelle, wo man auffallende Federn sonst gar nicht
erwartet, ergießt es sich wie eine riesige Welle wogenden Goldes,
der eigentliche "Paradiesschweif", dessen köstliche Federn überall
geschätzt sind, der thatsächlich an dem Vogel bloß lose daran

Naturſchöpfung nicht um des Menſchen willen allein entſtanden
ſein könne, ſondern einen eigenen Selbſtzweck der Exiſtenz
beſitzen müſſe.

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Ich bin auf dieſe Entdeckungsgeſchichte hier ſo genau ein¬
gegangen, weil ſie einen Maßſtab dafür giebt, wie dieſer Vogel
immer wieder gewirkt hat. Der rohe Eingeborene, der geſchäfts¬
kühle überſeeiſche Händler, der hausbackene Gelehrte des ſech¬
zehnten Jahrhunderts in ſeiner Apothekerſtube daheim, und
dann wieder der feinſinnige Philoſoph und Naturforſcher des
neunzehnten Jahrhunderts, ſie alle laſſen im Anblick dieſes
Vogels die Tagesarbeit einen Augenblick ſinken, ſinnen, dichten
Märchen; ſelbſt der ſtrenge Forſcher ſucht eine poetiſche Ader
und philoſophiert über Gott und Welt. Worte wie Gott,
König, Paradies, Inbegriff der Schönheit werden beſchworen,
um ihm einen Namen zu geben.

Und dabei iſt dieſer Königs-Paradiesvogel nur einer unter
vielen in langer Reihe. Der zierlichſte, aber nicht einmal auf¬
fälligſte ſeiner Familie.

Da iſt in dem bunten Muſeumsbilde der ſogenannte „große
Paradiesvogel“, eigentlich der bekannteſte Typus der Gruppe.
Auch er im Grunde noch kein großer Vogel, einer Dohle etwa
gleich. Aber die Empfindung der Größe entſteht durch die
ungeheuerliche Verſchwendung gewiſſer Federn. Der echte Vogel¬
leib iſt beinah ſchlicht gefärbt, braunrot, nur im Nacken mit
einem Goldband und von der Kehle bis über die Augen ſammet¬
grün. Aber an den Seiten dieſes Leibes, unter den Flügeln,
an einer Stelle, wo man auffallende Federn ſonſt gar nicht
erwartet, ergießt es ſich wie eine rieſige Welle wogenden Goldes,
der eigentliche „Paradiesſchweif“, deſſen köſtliche Federn überall
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[346/0362] Naturſchöpfung nicht um des Menſchen willen allein entſtanden ſein könne, ſondern einen eigenen Selbſtzweck der Exiſtenz beſitzen müſſe. [Abbildung] Ich bin auf dieſe Entdeckungsgeſchichte hier ſo genau ein¬ gegangen, weil ſie einen Maßſtab dafür giebt, wie dieſer Vogel immer wieder gewirkt hat. Der rohe Eingeborene, der geſchäfts¬ kühle überſeeiſche Händler, der hausbackene Gelehrte des ſech¬ zehnten Jahrhunderts in ſeiner Apothekerſtube daheim, und dann wieder der feinſinnige Philoſoph und Naturforſcher des neunzehnten Jahrhunderts, ſie alle laſſen im Anblick dieſes Vogels die Tagesarbeit einen Augenblick ſinken, ſinnen, dichten Märchen; ſelbſt der ſtrenge Forſcher ſucht eine poetiſche Ader und philoſophiert über Gott und Welt. Worte wie Gott, König, Paradies, Inbegriff der Schönheit werden beſchworen, um ihm einen Namen zu geben. Und dabei iſt dieſer Königs-Paradiesvogel nur einer unter vielen in langer Reihe. Der zierlichſte, aber nicht einmal auf¬ fälligſte ſeiner Familie. Da iſt in dem bunten Muſeumsbilde der ſogenannte „große Paradiesvogel“, eigentlich der bekannteſte Typus der Gruppe. Auch er im Grunde noch kein großer Vogel, einer Dohle etwa gleich. Aber die Empfindung der Größe entſteht durch die ungeheuerliche Verſchwendung gewiſſer Federn. Der echte Vogel¬ leib iſt beinah ſchlicht gefärbt, braunrot, nur im Nacken mit einem Goldband und von der Kehle bis über die Augen ſammet¬ grün. Aber an den Seiten dieſes Leibes, unter den Flügeln, an einer Stelle, wo man auffallende Federn ſonſt gar nicht erwartet, ergießt es ſich wie eine rieſige Welle wogenden Goldes, der eigentliche „Paradiesſchweif“, deſſen köſtliche Federn überall geſchätzt ſind, der thatſächlich an dem Vogel bloß loſe daran

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/362>, abgerufen am 22.11.2024.