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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Aber was? Ich gerate ja über jede Grenze des Mensch¬
lichen hinaus. Schön -- und schön! Wären die Begriffe
doch nicht die gleichen? Laß uns vorsichtig weitergehen, ob
sich eine Lösung biete.

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Das Dresdener Museum zeigt nicht nur die prachtvollsten
Paradiesvögel. Auch die übrige Vogelsammlung ist überaus
reich gerade an den schönen Formen. Umsichtig aufgestellt,
erzeugen sie einen Farbenrausch ohne gleichen. Da sind die
Kolibris, deren ganze Farbenleistung meist auf einen kleinen
Fleck an der Kehle zusammengedrängt ist, hier aber volle Edel¬
steinkraft besitzt. Da sind die Spechte, die gewisse Farben immer
wieder kaleidoskopartig durcheinandergewürfelt zeigen; überblickst
du sie, wie es die fast künstlerische Anordnung hier ermöglicht,
in langen Farbenreihen, so siehst du, wie die einzelnen Kalei¬
doskopstellungen in Wahrheit Stufenfolgen bilden, eine die
andere ablösen, ersetzen, sich auseinander entwickeln lassen. Da
sind die Tauben, unsere einheimischen meist so sanft in den
Farben, auf den tropischen von den Molukken aber der ganze
Schiller üppigster Tropenpracht.

Auf einmal dann aber, vor einer neuen Schrankflucht, ein
ganz anderes Bild.

Grau und braun, jenseits aller Lichterfülle, die zahllosen
Arten der Nester all dieser Vögel. Es ist wirklich eine andere
Welt. Auf den ersten Blick siehst du, wie alles auf die
Nützlichkeit, die Sicherheit, den Schutz hier angelegt ist. Aber
mit welchem Genie, unter wieviel tausend Möglichkeiten und
Zwangslagen! Da ist das sogenannte eßbare Schwalbennest,
das aus kittendem Speichel an die senkrechte Felswand geklebt
ist. Das Nest des Schneidervogels, zu dem ein paar große
Blätter vom Vogel selbst durch eigens gesponnene Fäden mit
dem Schnabel als Nadel regelrecht aneinandergenäht sind. Die

Aber was? Ich gerate ja über jede Grenze des Menſch¬
lichen hinaus. Schön — und ſchön! Wären die Begriffe
doch nicht die gleichen? Laß uns vorſichtig weitergehen, ob
ſich eine Löſung biete.

[Abbildung]

Das Dresdener Muſeum zeigt nicht nur die prachtvollſten
Paradiesvögel. Auch die übrige Vogelſammlung iſt überaus
reich gerade an den ſchönen Formen. Umſichtig aufgeſtellt,
erzeugen ſie einen Farbenrauſch ohne gleichen. Da ſind die
Kolibris, deren ganze Farbenleiſtung meiſt auf einen kleinen
Fleck an der Kehle zuſammengedrängt iſt, hier aber volle Edel¬
ſteinkraft beſitzt. Da ſind die Spechte, die gewiſſe Farben immer
wieder kaleidoſkopartig durcheinandergewürfelt zeigen; überblickſt
du ſie, wie es die faſt künſtleriſche Anordnung hier ermöglicht,
in langen Farbenreihen, ſo ſiehſt du, wie die einzelnen Kalei¬
doſkopſtellungen in Wahrheit Stufenfolgen bilden, eine die
andere ablöſen, erſetzen, ſich auseinander entwickeln laſſen. Da
ſind die Tauben, unſere einheimiſchen meiſt ſo ſanft in den
Farben, auf den tropiſchen von den Molukken aber der ganze
Schiller üppigſter Tropenpracht.

Auf einmal dann aber, vor einer neuen Schrankflucht, ein
ganz anderes Bild.

Grau und braun, jenſeits aller Lichterfülle, die zahlloſen
Arten der Neſter all dieſer Vögel. Es iſt wirklich eine andere
Welt. Auf den erſten Blick ſiehſt du, wie alles auf die
Nützlichkeit, die Sicherheit, den Schutz hier angelegt iſt. Aber
mit welchem Genie, unter wieviel tauſend Möglichkeiten und
Zwangslagen! Da iſt das ſogenannte eßbare Schwalbenneſt,
das aus kittendem Speichel an die ſenkrechte Felswand geklebt
iſt. Das Neſt des Schneidervogels, zu dem ein paar große
Blätter vom Vogel ſelbſt durch eigens geſponnene Fäden mit
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[351/0367] Aber was? Ich gerate ja über jede Grenze des Menſch¬ lichen hinaus. Schön — und ſchön! Wären die Begriffe doch nicht die gleichen? Laß uns vorſichtig weitergehen, ob ſich eine Löſung biete. [Abbildung] Das Dresdener Muſeum zeigt nicht nur die prachtvollſten Paradiesvögel. Auch die übrige Vogelſammlung iſt überaus reich gerade an den ſchönen Formen. Umſichtig aufgeſtellt, erzeugen ſie einen Farbenrauſch ohne gleichen. Da ſind die Kolibris, deren ganze Farbenleiſtung meiſt auf einen kleinen Fleck an der Kehle zuſammengedrängt iſt, hier aber volle Edel¬ ſteinkraft beſitzt. Da ſind die Spechte, die gewiſſe Farben immer wieder kaleidoſkopartig durcheinandergewürfelt zeigen; überblickſt du ſie, wie es die faſt künſtleriſche Anordnung hier ermöglicht, in langen Farbenreihen, ſo ſiehſt du, wie die einzelnen Kalei¬ doſkopſtellungen in Wahrheit Stufenfolgen bilden, eine die andere ablöſen, erſetzen, ſich auseinander entwickeln laſſen. Da ſind die Tauben, unſere einheimiſchen meiſt ſo ſanft in den Farben, auf den tropiſchen von den Molukken aber der ganze Schiller üppigſter Tropenpracht. Auf einmal dann aber, vor einer neuen Schrankflucht, ein ganz anderes Bild. Grau und braun, jenſeits aller Lichterfülle, die zahlloſen Arten der Neſter all dieſer Vögel. Es iſt wirklich eine andere Welt. Auf den erſten Blick ſiehſt du, wie alles auf die Nützlichkeit, die Sicherheit, den Schutz hier angelegt iſt. Aber mit welchem Genie, unter wieviel tauſend Möglichkeiten und Zwangslagen! Da iſt das ſogenannte eßbare Schwalbenneſt, das aus kittendem Speichel an die ſenkrechte Felswand geklebt iſt. Das Neſt des Schneidervogels, zu dem ein paar große Blätter vom Vogel ſelbſt durch eigens geſponnene Fäden mit dem Schnabel als Nadel regelrecht aneinandergenäht ſind. Die

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/367>, abgerufen am 22.11.2024.