Australien. Alle jene Räuber gehören höheren Säugetier¬ gruppen an. In Australien giebt es keine höheren Säuger. Uralte Ordnungen vertreten sie hier noch, graue Reliquien der Ichthyosauruszeit: Schnabeltiere und Beuteltiere. Und das hebt wesentlich schon in Neu-Guiena an. Es fehlen aber sogar hier die räuberischen, fleischfressenden Beuteltiere des australischen Kontinents. Wohl klettert, seltsam genug, ein großes Känguruh der Insel in die Baumäste hinauf. Aber dieses Baumkänguruh ist Vegetarier gleich seinen hüpfenden Verwandten in der Grasebene. Das große Landschnabeltier Neu-Guienas schleckt Ameisen und hat nicht einmal einen Zahn im schnabelartigen Munde, um auch nur den schwächsten Vogel fassen zu können. Dazu endlose Strecken weit einheitlich dichter, dunkler Wald, ein undurchdringliches Blättermeer, in dem selbst der Scharfblick eines kreisenden Raubvogels kaum Gefahren bringt. Eine Lust ist es hier, Vogel zu sein. Und wie ent¬ lastet erscheint alles vom groben Daseinskampf. Der Unschulds¬ vogel der Legende, die Taube, sicherlich der schutzlosesten Vögel einer, wird kühn und üppig hier, mehrt sich ins Ungemessene und spaltet sich in mehr Arten als sonst auf einem zweiten Fleck der Erde, -- dabei jene Prachttauben, die mit den Papageien an Farbenglanz wetteifern.
Das jetzt ist auch der Ort, wo der Paradiesvogel seinen entscheidenden Schritt that: von der mühsamen Behauptung im nackten Daseinskampfe zur Kunst.
Die Paradiesvögel, selber noch graue Krähen ohne jeden Schönheitsreiz, besaßen doch jenen einfachen Schönheitssinn schon in ihrem kleinen Krähengehirn, den wir beim Laubenvogel gefunden haben. Eine grellrote Beere gefiel ihnen besser als eine schlichte grüne, eine der wundervollen großen Blüten des Urwaldes machte mehr Eindruck auf sie als ein beliebiges Blatt, ein reiner schneeweißer Kieselstein fesselte ihre Aufmerksamkeit stärker als tausend grobfarbige schmutzige Steine des Bach¬ randes daneben.
Auſtralien. Alle jene Räuber gehören höheren Säugetier¬ gruppen an. In Auſtralien giebt es keine höheren Säuger. Uralte Ordnungen vertreten ſie hier noch, graue Reliquien der Ichthyoſauruszeit: Schnabeltiere und Beuteltiere. Und das hebt weſentlich ſchon in Neu-Guiena an. Es fehlen aber ſogar hier die räuberiſchen, fleiſchfreſſenden Beuteltiere des auſtraliſchen Kontinents. Wohl klettert, ſeltſam genug, ein großes Känguruh der Inſel in die Baumäſte hinauf. Aber dieſes Baumkänguruh iſt Vegetarier gleich ſeinen hüpfenden Verwandten in der Grasebene. Das große Landſchnabeltier Neu-Guienas ſchleckt Ameiſen und hat nicht einmal einen Zahn im ſchnabelartigen Munde, um auch nur den ſchwächſten Vogel faſſen zu können. Dazu endloſe Strecken weit einheitlich dichter, dunkler Wald, ein undurchdringliches Blättermeer, in dem ſelbſt der Scharfblick eines kreiſenden Raubvogels kaum Gefahren bringt. Eine Luſt iſt es hier, Vogel zu ſein. Und wie ent¬ laſtet erſcheint alles vom groben Daſeinskampf. Der Unſchulds¬ vogel der Legende, die Taube, ſicherlich der ſchutzloſeſten Vögel einer, wird kühn und üppig hier, mehrt ſich ins Ungemeſſene und ſpaltet ſich in mehr Arten als ſonſt auf einem zweiten Fleck der Erde, — dabei jene Prachttauben, die mit den Papageien an Farbenglanz wetteifern.
Das jetzt iſt auch der Ort, wo der Paradiesvogel ſeinen entſcheidenden Schritt that: von der mühſamen Behauptung im nackten Daſeinskampfe zur Kunſt.
Die Paradiesvögel, ſelber noch graue Krähen ohne jeden Schönheitsreiz, beſaßen doch jenen einfachen Schönheitsſinn ſchon in ihrem kleinen Krähengehirn, den wir beim Laubenvogel gefunden haben. Eine grellrote Beere gefiel ihnen beſſer als eine ſchlichte grüne, eine der wundervollen großen Blüten des Urwaldes machte mehr Eindruck auf ſie als ein beliebiges Blatt, ein reiner ſchneeweißer Kieſelſtein feſſelte ihre Aufmerkſamkeit ſtärker als tauſend grobfarbige ſchmutzige Steine des Bach¬ randes daneben.
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Auſtralien. Alle jene Räuber gehören höheren Säugetier¬
gruppen an. In Auſtralien giebt es keine höheren Säuger.
Uralte Ordnungen vertreten ſie hier noch, graue Reliquien der
Ichthyoſauruszeit: Schnabeltiere und Beuteltiere. Und das
hebt weſentlich ſchon in Neu-Guiena an. Es fehlen aber
ſogar hier die räuberiſchen, fleiſchfreſſenden Beuteltiere des
auſtraliſchen Kontinents. Wohl klettert, ſeltſam genug, ein
großes Känguruh der Inſel in die Baumäſte hinauf. Aber
dieſes Baumkänguruh iſt Vegetarier gleich ſeinen hüpfenden
Verwandten in der Grasebene. Das große Landſchnabeltier
Neu-Guienas ſchleckt Ameiſen und hat nicht einmal einen Zahn
im ſchnabelartigen Munde, um auch nur den ſchwächſten Vogel
faſſen zu können. Dazu endloſe Strecken weit einheitlich dichter,
dunkler Wald, ein undurchdringliches Blättermeer, in dem ſelbſt
der Scharfblick eines kreiſenden Raubvogels kaum Gefahren
bringt. Eine Luſt iſt es hier, Vogel zu ſein. Und wie ent¬
laſtet erſcheint alles vom groben Daſeinskampf. Der Unſchulds¬
vogel der Legende, die Taube, ſicherlich der ſchutzloſeſten Vögel
einer, wird kühn und üppig hier, mehrt ſich ins Ungemeſſene
und ſpaltet ſich in mehr Arten als ſonſt auf einem zweiten
Fleck der Erde, — dabei jene Prachttauben, die mit den
Papageien an Farbenglanz wetteifern.
Das jetzt iſt auch der Ort, wo der Paradiesvogel ſeinen
entſcheidenden Schritt that: von der mühſamen Behauptung
im nackten Daſeinskampfe zur Kunſt.
Die Paradiesvögel, ſelber noch graue Krähen ohne jeden
Schönheitsreiz, beſaßen doch jenen einfachen Schönheitsſinn
ſchon in ihrem kleinen Krähengehirn, den wir beim Laubenvogel
gefunden haben. Eine grellrote Beere gefiel ihnen beſſer als
eine ſchlichte grüne, eine der wundervollen großen Blüten des
Urwaldes machte mehr Eindruck auf ſie als ein beliebiges Blatt,
ein reiner ſchneeweißer Kieſelſtein feſſelte ihre Aufmerkſamkeit
ſtärker als tauſend grobfarbige ſchmutzige Steine des Bach¬
randes daneben.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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