wie sie früher die Philosophie hinter ihrem Ofen so trefflich gebrauchen konnte, -- bis eines Tages sich die echte Tierkunde klar darüber war, daß sie einfach verkehrt sei.
Jene Tierkunde, die sich darauf besann, daß der Mensch geschichtlich ja selber nur ein Tier sei, ein feiner Goldextrakt, destilliert aus Tierheit, ein Kristall, dessen Mutterlauge diese sogenannte Tierheit gewesen ist und nichts sonst.
Daß Tiere ästhetisches Empfinden überhaupt besitzen, hat uns der Laubenvogel Australiens gezeigt. Gerade dieser Lauben¬ vogel weist aber auch schon auf jenes Verhältnis von Druck und Entlastung hin, das offenbar in dem kleinen Gehirn des Vogels sich ganz mit derselben Folgerichtigkeit entwickelt wie beim Menschen.
Im Vogel, der vom Daseinskampfe durch irgend eine Ur¬ sache stärker entlastet wird, ohne daß sonst durch eine Begleit¬ erscheinung seine Kraft und Gesundheit leiden, quillt die tiefere ästhetische Schicht einfach genau so nach jener bildlichen Art entlasteter Kohlensäure in die Höhe, wie bei uns. Man kann etwas Derartiges schon bei jedem Tier, besonders jungen Tieren beobachten, wenn sie spielen. Das Spiel tritt un¬ mittelbar ein, sobald die wirkliche Sorge auf einen Augenblick pausiert. Und dieses Spiel zeigt in vielen, wenn nicht allen Fällen schon Anfänge ästhetischer Züge, es ist eine Art Dichten des Tieres. Aber es giebt da noch einen viel allgemeineren und großartigeren Punkt und just ist das gerade der, den wir für unsere Paradiesvögel brauchen und um dessentwillen ich dir überhaupt dieses ganze Tiermärchen erzähle.
Jene Lauben des australischen Vogels sind "Hochzeits¬ lauben."
Er baut sie in seiner Flitterzeit, im vollen Rausch der Liebe. Im Leben mindestens aller höheren und höchsten Tiere ist die Zeit der Liebe die ausgesprochenste Entlastungszeit ihres Lebens, was materielle Lebenssorge angeht. Das Tier in seiner Liebeszeit ist wie verzaubert. Es gehört einer anderen
wie ſie früher die Philoſophie hinter ihrem Ofen ſo trefflich gebrauchen konnte, — bis eines Tages ſich die echte Tierkunde klar darüber war, daß ſie einfach verkehrt ſei.
Jene Tierkunde, die ſich darauf beſann, daß der Menſch geſchichtlich ja ſelber nur ein Tier ſei, ein feiner Goldextrakt, deſtilliert aus Tierheit, ein Kriſtall, deſſen Mutterlauge dieſe ſogenannte Tierheit geweſen iſt und nichts ſonſt.
Daß Tiere äſthetiſches Empfinden überhaupt beſitzen, hat uns der Laubenvogel Auſtraliens gezeigt. Gerade dieſer Lauben¬ vogel weiſt aber auch ſchon auf jenes Verhältnis von Druck und Entlaſtung hin, das offenbar in dem kleinen Gehirn des Vogels ſich ganz mit derſelben Folgerichtigkeit entwickelt wie beim Menſchen.
Im Vogel, der vom Daſeinskampfe durch irgend eine Ur¬ ſache ſtärker entlaſtet wird, ohne daß ſonſt durch eine Begleit¬ erſcheinung ſeine Kraft und Geſundheit leiden, quillt die tiefere äſthetiſche Schicht einfach genau ſo nach jener bildlichen Art entlaſteter Kohlenſäure in die Höhe, wie bei uns. Man kann etwas Derartiges ſchon bei jedem Tier, beſonders jungen Tieren beobachten, wenn ſie ſpielen. Das Spiel tritt un¬ mittelbar ein, ſobald die wirkliche Sorge auf einen Augenblick pauſiert. Und dieſes Spiel zeigt in vielen, wenn nicht allen Fällen ſchon Anfänge äſthetiſcher Züge, es iſt eine Art Dichten des Tieres. Aber es giebt da noch einen viel allgemeineren und großartigeren Punkt und juſt iſt das gerade der, den wir für unſere Paradiesvögel brauchen und um deſſentwillen ich dir überhaupt dieſes ganze Tiermärchen erzähle.
Jene Lauben des auſtraliſchen Vogels ſind „Hochzeits¬ lauben.“
Er baut ſie in ſeiner Flitterzeit, im vollen Rauſch der Liebe. Im Leben mindeſtens aller höheren und höchſten Tiere iſt die Zeit der Liebe die ausgeſprochenſte Entlaſtungszeit ihres Lebens, was materielle Lebensſorge angeht. Das Tier in ſeiner Liebeszeit iſt wie verzaubert. Es gehört einer anderen
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wie ſie früher die Philoſophie hinter ihrem Ofen ſo trefflich
gebrauchen konnte, — bis eines Tages ſich die echte Tierkunde
klar darüber war, daß ſie einfach verkehrt ſei.
Jene Tierkunde, die ſich darauf beſann, daß der Menſch
geſchichtlich ja ſelber nur ein Tier ſei, ein feiner Goldextrakt,
deſtilliert aus Tierheit, ein Kriſtall, deſſen Mutterlauge dieſe
ſogenannte Tierheit geweſen iſt und nichts ſonſt.
Daß Tiere äſthetiſches Empfinden überhaupt beſitzen, hat
uns der Laubenvogel Auſtraliens gezeigt. Gerade dieſer Lauben¬
vogel weiſt aber auch ſchon auf jenes Verhältnis von Druck und
Entlaſtung hin, das offenbar in dem kleinen Gehirn des Vogels
ſich ganz mit derſelben Folgerichtigkeit entwickelt wie beim
Menſchen.
Im Vogel, der vom Daſeinskampfe durch irgend eine Ur¬
ſache ſtärker entlaſtet wird, ohne daß ſonſt durch eine Begleit¬
erſcheinung ſeine Kraft und Geſundheit leiden, quillt die tiefere
äſthetiſche Schicht einfach genau ſo nach jener bildlichen Art
entlaſteter Kohlenſäure in die Höhe, wie bei uns. Man kann
etwas Derartiges ſchon bei jedem Tier, beſonders jungen
Tieren beobachten, wenn ſie ſpielen. Das Spiel tritt un¬
mittelbar ein, ſobald die wirkliche Sorge auf einen Augenblick
pauſiert. Und dieſes Spiel zeigt in vielen, wenn nicht allen
Fällen ſchon Anfänge äſthetiſcher Züge, es iſt eine Art Dichten
des Tieres. Aber es giebt da noch einen viel allgemeineren
und großartigeren Punkt und juſt iſt das gerade der, den wir
für unſere Paradiesvögel brauchen und um deſſentwillen ich
dir überhaupt dieſes ganze Tiermärchen erzähle.
Jene Lauben des auſtraliſchen Vogels ſind „Hochzeits¬
lauben.“
Er baut ſie in ſeiner Flitterzeit, im vollen Rauſch der
Liebe. Im Leben mindeſtens aller höheren und höchſten Tiere
iſt die Zeit der Liebe die ausgeſprochenſte Entlaſtungszeit ihres
Lebens, was materielle Lebensſorge angeht. Das Tier in
ſeiner Liebeszeit iſt wie verzaubert. Es gehört einer anderen
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/391>, abgerufen am 22.11.2024.
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