Das Symbol braucht gar nicht einmal so realistisch als Verschluß aufzutreten. Die Phantasie ist mit noch viel weniger zufrieden. Ein Strick, ein Riemen nur in der Nähe thut's schon, eine grüne Ranke, die den streitigen Punkt gar nicht berührt. Der Neu-Kaledonier hat bloß eine Schnur um den Leib, die Obbo-Negerin am Albert-Nyanza nimmt ein Laub¬ büschel. Wo die Negerfrau bei der Feldarbeit gebückt steht, befestigt sie ihr Symbol am Hinterteil und auch das wird streng gehalten; wer es ihr nimmt, gegen den lehnt sich ihre Scham mit aller Energie auf. Vogel hat von einem armen Weibe erzählt, das auf diese Moral eingeschult war und in der Gefangenschaft seine Hinterhülle verloren hatte wie der Ein¬ siedlerkrebs seine Muschel; es saß nackt am Boden und weigerte sich aufzustehen, bis man ihm ein grünes Reiß reichte, -- mit dem deckte es dann seine abseitige Blöße und fühlte sich in seiner Ehre gerettet. Auf Samoa ist es der Nabel, der vielfach das erotische Symbol trägt, -- wer ihn entblößt, wo es nicht sein soll, der verfällt der Moralkritik, während die echten Geschlechts¬ teile unbeachtet bleiben, -- sie bleiben es eben vom Standpunkt der Erotik aus, solange das Symbol, einerlei von wo, seine geistige Tarnkappe über sie zieht.
Immer aber, sei das Symbol auch winzig wie die Stempelmarke auf einem riesigen Aktenblatt, ist die Achtung, die Wirkung die ganze. Erst wo gar nichts ist oder vermutet wird, erscheint in den Vorstellungen der Begriff von Nacktheit im Sinne einer Roheit, einer Unanständigkeit. Der Fidschi- Insulaner, der nackt ist bis auf einen winzigen Hüftschurz, sagt zum Missionär vom Neu-Kaledonier, von dem er meint, er gehe völlig ohne Schamsymbol: "Die haben noch nicht einmal einen Schurz drauf und wollen Götter haben!" In Momenten höchster Weihe aber geschieht es, daß absichtlich das Symbol fortgelassen wird, eben um zu dokumentieren, daß jetzt jede leiseste Möglichkeit einer Mißdeutung ausgeschlossen sei: die Königin der Balonda-Neger empfängt Livingstone in
Das Symbol braucht gar nicht einmal ſo realiſtiſch als Verſchluß aufzutreten. Die Phantaſie iſt mit noch viel weniger zufrieden. Ein Strick, ein Riemen nur in der Nähe thut's ſchon, eine grüne Ranke, die den ſtreitigen Punkt gar nicht berührt. Der Neu-Kaledonier hat bloß eine Schnur um den Leib, die Obbo-Negerin am Albert-Nyanza nimmt ein Laub¬ büſchel. Wo die Negerfrau bei der Feldarbeit gebückt ſteht, befeſtigt ſie ihr Symbol am Hinterteil und auch das wird ſtreng gehalten; wer es ihr nimmt, gegen den lehnt ſich ihre Scham mit aller Energie auf. Vogel hat von einem armen Weibe erzählt, das auf dieſe Moral eingeſchult war und in der Gefangenſchaft ſeine Hinterhülle verloren hatte wie der Ein¬ ſiedlerkrebs ſeine Muſchel; es ſaß nackt am Boden und weigerte ſich aufzuſtehen, bis man ihm ein grünes Reiß reichte, — mit dem deckte es dann ſeine abſeitige Blöße und fühlte ſich in ſeiner Ehre gerettet. Auf Samoa iſt es der Nabel, der vielfach das erotiſche Symbol trägt, — wer ihn entblößt, wo es nicht ſein ſoll, der verfällt der Moralkritik, während die echten Geſchlechts¬ teile unbeachtet bleiben, — ſie bleiben es eben vom Standpunkt der Erotik aus, ſolange das Symbol, einerlei von wo, ſeine geiſtige Tarnkappe über ſie zieht.
Immer aber, ſei das Symbol auch winzig wie die Stempelmarke auf einem rieſigen Aktenblatt, iſt die Achtung, die Wirkung die ganze. Erſt wo gar nichts iſt oder vermutet wird, erſcheint in den Vorſtellungen der Begriff von Nacktheit im Sinne einer Roheit, einer Unanſtändigkeit. Der Fidſchi- Inſulaner, der nackt iſt bis auf einen winzigen Hüftſchurz, ſagt zum Miſſionär vom Neu-Kaledonier, von dem er meint, er gehe völlig ohne Schamſymbol: „Die haben noch nicht einmal einen Schurz drauf und wollen Götter haben!“ In Momenten höchſter Weihe aber geſchieht es, daß abſichtlich das Symbol fortgelaſſen wird, eben um zu dokumentieren, daß jetzt jede leiſeſte Möglichkeit einer Mißdeutung ausgeſchloſſen ſei: die Königin der Balonda-Neger empfängt Livingſtone in
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Das Symbol braucht gar nicht einmal ſo realiſtiſch als
Verſchluß aufzutreten. Die Phantaſie iſt mit noch viel weniger
zufrieden. Ein Strick, ein Riemen nur in der Nähe thut's
ſchon, eine grüne Ranke, die den ſtreitigen Punkt gar nicht
berührt. Der Neu-Kaledonier hat bloß eine Schnur um den
Leib, die Obbo-Negerin am Albert-Nyanza nimmt ein Laub¬
büſchel. Wo die Negerfrau bei der Feldarbeit gebückt ſteht,
befeſtigt ſie ihr Symbol am Hinterteil und auch das wird
ſtreng gehalten; wer es ihr nimmt, gegen den lehnt ſich ihre
Scham mit aller Energie auf. Vogel hat von einem armen
Weibe erzählt, das auf dieſe Moral eingeſchult war und in
der Gefangenſchaft ſeine Hinterhülle verloren hatte wie der Ein¬
ſiedlerkrebs ſeine Muſchel; es ſaß nackt am Boden und weigerte ſich
aufzuſtehen, bis man ihm ein grünes Reiß reichte, — mit dem
deckte es dann ſeine abſeitige Blöße und fühlte ſich in ſeiner
Ehre gerettet. Auf Samoa iſt es der Nabel, der vielfach das
erotiſche Symbol trägt, — wer ihn entblößt, wo es nicht ſein
ſoll, der verfällt der Moralkritik, während die echten Geſchlechts¬
teile unbeachtet bleiben, — ſie bleiben es eben vom Standpunkt
der Erotik aus, ſolange das Symbol, einerlei von wo, ſeine
geiſtige Tarnkappe über ſie zieht.
Immer aber, ſei das Symbol auch winzig wie die
Stempelmarke auf einem rieſigen Aktenblatt, iſt die Achtung,
die Wirkung die ganze. Erſt wo gar nichts iſt oder vermutet
wird, erſcheint in den Vorſtellungen der Begriff von Nacktheit
im Sinne einer Roheit, einer Unanſtändigkeit. Der Fidſchi-
Inſulaner, der nackt iſt bis auf einen winzigen Hüftſchurz,
ſagt zum Miſſionär vom Neu-Kaledonier, von dem er meint,
er gehe völlig ohne Schamſymbol: „Die haben noch nicht
einmal einen Schurz drauf und wollen Götter haben!“ In
Momenten höchſter Weihe aber geſchieht es, daß abſichtlich das
Symbol fortgelaſſen wird, eben um zu dokumentieren, daß
jetzt jede leiſeſte Möglichkeit einer Mißdeutung ausgeſchloſſen
ſei: die Königin der Balonda-Neger empfängt Livingſtone in
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/126>, abgerufen am 21.11.2024.
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