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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Unermüdlich ſind, ſeit man die Thatſachen mühſam etwas
geſammelt und geſichtet hatte, die Erklärungsverſuche dafür ge¬
weſen, warum der Totemismus gerade das Mutterrecht ſo viel¬
fältig bevorzugt hat.

Das mißverſtändliche Wort „Mutterherrſchaft“ hat da
zuerſt allerlei Blaſen geworfen, als ſehe man überall in uralte
Amazonenſtaaten, die wirklich nach dem Spinnentypus gebaut
ſein ſollten: der Mann nur zur Zeugung zugelaſſen, dann
aber geſtäupt, und alles fortan nur in den Händen der
„Herrſcherin Frau“. Das iſt heute nur ſelber noch ein luſtiges
Grenzpoſtenmärchen der Forſchung.

Ich meine, daß du dir die richtige Antwort vielmehr recht
einfach aus jener Erinnyen-Affaire ſelber ſchon herausleſen
kannſt.

Nachdem die Geſchichte ſich hier auf den Gipfel zugeſpitzt,
geht ſie über allen Totemismus und alle ſozialen und recht¬
lichen Fragen in eine Debatte ein, die ich im Gegenſatz als eine
embryologiſche bezeichnen möchte. Alles gipfelt thatſächlich
in einer Entſcheidung, die nur der Naturforſcher heute löſen
könnte, vorausgeſetzt, daß auch er ſchon ſo weit iſt, es zu können.

Die Erinnys ſagt zu Oreſtes, er habe wider ſein Blut
gefrevelt. Denn die Mutter habe ihn als ihr Blut einſt unter
ihrem Herzen getragen. Frage: aber war der gemordete Vater
nicht auch ſein Blut, das er alſo rächen mußte? Hier ergreift
Apollo als Anwalt des Oreſtes das Wort zu einem Plaidoyer,
das ſich eben auf eine verbeſſerte — Embryologie ſtützt. Er
ſagt wörtlich:

„Darauf ſag ich alſo, mein gerechtes Wort vernimm:
Nicht iſt die Mutter ihres Kindes Zeugerin,
Sie hegt und trägt das auferweckte Leben nur;
Es zeugt der Vater, aber ſie bewahrt das Pfand
Dem Freund die Freundin, wenn ein Gott es nicht verletzt.“

Die Erinnyen warnen dagegen:

„Darnieder ſtürzeſt du die Mächte grauer Zeit.
Du, der junge Gott, willſt uns, die Greiſe niederrennen.“

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/237>, abgerufen am 23.02.2025.