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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Das Kunstblatt ist von Fidus. Da siehst du im grünen
Raume schwebend das Weltenei. Sinnig hat des großen
Künstlers Hand es geöffnet und im Hohlraum der geteilten
Schale aus der alten Wasserwiege die heilige Lotosblume des
Lebens sprießen lassen. Schützend wie eine Mauer vor profanem
Blick spannt sich hinter der Blüte ein großes Pflanzenblatt
empor. Denn es schützt ein liebliches Geheimnis. In den
Staubfäden der entfalteten Seerosenkrone sitzt ein zierliches
junges Menschenweib. Ein Kindlein liegt in seinem Schoße, --
das uralte, ewig junge Mysterium: Menschenmutter und
Menschenkind. Ihre Augen sind bei dem Kinde, die Hände
zusammengedrückt nicht wie im Gebet der Sehnsucht, sondern
in der überwältigenden Wonne erfüllten Weltenglücks. Es ist
da! jauchzt der ganze junge Leib, -- das unfaßbare Geschenk
aus dem ewig Verborgenen heraus ist da! Woher? Über
ihrem Haupte glüht es wie eine segnende Sonne: die ewige
Schaffenskraft der Natur, -- wie eine große wunderbare
Zeugung umströmt, durchfließt sie das leise abwärts rinnende Licht.

Diese Menschenmutter ist nackt. Nur vom Scheitel rollt
ihr das weiche Gelock bis auf die Schultern herab. Das liebe
Köpfchen des Kindes hüllt den geweihten Heimatboden, dem
es entblüht ist, mit dem dunklen Fleck seines eigenen Haars.

Wunderbar ist in diesem Bilde der Ausdruck des Natür¬
lichen, fruchtbar Schaffenden gepaart mit dem höchsten Zauber
menschlicher Reine und Unschuld. Nur für einen Moment des
Lichtes hat sich diese Gruppe sehen lassen. Der leiseste Schatten
eines unreinen Gedankens heranstreifend -- und die Lotos¬
blätter werden sich trotzig schnell über ihr zusammenfalten wie
die grünen Fiederzeilen am Mimosenzweig. Und durch die
verschlossene Blüte nur wird es nachflammen wie ein tiefes,
immer tieferes Purpurrot, -- die Röte der Scham. Und
ganz in die Wassertiefe wird die Knospe zuletzt hinabtauchen,
den Schauer der unedeln Berührung in der heiligen Krystall¬
flut wieder von sich abzuwaschen.

Das Kunſtblatt iſt von Fidus. Da ſiehſt du im grünen
Raume ſchwebend das Weltenei. Sinnig hat des großen
Künſtlers Hand es geöffnet und im Hohlraum der geteilten
Schale aus der alten Waſſerwiege die heilige Lotosblume des
Lebens ſprießen laſſen. Schützend wie eine Mauer vor profanem
Blick ſpannt ſich hinter der Blüte ein großes Pflanzenblatt
empor. Denn es ſchützt ein liebliches Geheimnis. In den
Staubfäden der entfalteten Seeroſenkrone ſitzt ein zierliches
junges Menſchenweib. Ein Kindlein liegt in ſeinem Schoße, —
das uralte, ewig junge Myſterium: Menſchenmutter und
Menſchenkind. Ihre Augen ſind bei dem Kinde, die Hände
zuſammengedrückt nicht wie im Gebet der Sehnſucht, ſondern
in der überwältigenden Wonne erfüllten Weltenglücks. Es iſt
da! jauchzt der ganze junge Leib, — das unfaßbare Geſchenk
aus dem ewig Verborgenen heraus iſt da! Woher? Über
ihrem Haupte glüht es wie eine ſegnende Sonne: die ewige
Schaffenskraft der Natur, — wie eine große wunderbare
Zeugung umſtrömt, durchfließt ſie das leiſe abwärts rinnende Licht.

Dieſe Menſchenmutter iſt nackt. Nur vom Scheitel rollt
ihr das weiche Gelock bis auf die Schultern herab. Das liebe
Köpfchen des Kindes hüllt den geweihten Heimatboden, dem
es entblüht iſt, mit dem dunklen Fleck ſeines eigenen Haars.

Wunderbar iſt in dieſem Bilde der Ausdruck des Natür¬
lichen, fruchtbar Schaffenden gepaart mit dem höchſten Zauber
menſchlicher Reine und Unſchuld. Nur für einen Moment des
Lichtes hat ſich dieſe Gruppe ſehen laſſen. Der leiſeſte Schatten
eines unreinen Gedankens heranſtreifend — und die Lotos¬
blätter werden ſich trotzig ſchnell über ihr zuſammenfalten wie
die grünen Fiederzeilen am Mimoſenzweig. Und durch die
verſchloſſene Blüte nur wird es nachflammen wie ein tiefes,
immer tieferes Purpurrot, — die Röte der Scham. Und
ganz in die Waſſertiefe wird die Knoſpe zuletzt hinabtauchen,
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[10/0024] Das Kunſtblatt iſt von Fidus. Da ſiehſt du im grünen Raume ſchwebend das Weltenei. Sinnig hat des großen Künſtlers Hand es geöffnet und im Hohlraum der geteilten Schale aus der alten Waſſerwiege die heilige Lotosblume des Lebens ſprießen laſſen. Schützend wie eine Mauer vor profanem Blick ſpannt ſich hinter der Blüte ein großes Pflanzenblatt empor. Denn es ſchützt ein liebliches Geheimnis. In den Staubfäden der entfalteten Seeroſenkrone ſitzt ein zierliches junges Menſchenweib. Ein Kindlein liegt in ſeinem Schoße, — das uralte, ewig junge Myſterium: Menſchenmutter und Menſchenkind. Ihre Augen ſind bei dem Kinde, die Hände zuſammengedrückt nicht wie im Gebet der Sehnſucht, ſondern in der überwältigenden Wonne erfüllten Weltenglücks. Es iſt da! jauchzt der ganze junge Leib, — das unfaßbare Geſchenk aus dem ewig Verborgenen heraus iſt da! Woher? Über ihrem Haupte glüht es wie eine ſegnende Sonne: die ewige Schaffenskraft der Natur, — wie eine große wunderbare Zeugung umſtrömt, durchfließt ſie das leiſe abwärts rinnende Licht. Dieſe Menſchenmutter iſt nackt. Nur vom Scheitel rollt ihr das weiche Gelock bis auf die Schultern herab. Das liebe Köpfchen des Kindes hüllt den geweihten Heimatboden, dem es entblüht iſt, mit dem dunklen Fleck ſeines eigenen Haars. Wunderbar iſt in dieſem Bilde der Ausdruck des Natür¬ lichen, fruchtbar Schaffenden gepaart mit dem höchſten Zauber menſchlicher Reine und Unſchuld. Nur für einen Moment des Lichtes hat ſich dieſe Gruppe ſehen laſſen. Der leiſeſte Schatten eines unreinen Gedankens heranſtreifend — und die Lotos¬ blätter werden ſich trotzig ſchnell über ihr zuſammenfalten wie die grünen Fiederzeilen am Mimoſenzweig. Und durch die verſchloſſene Blüte nur wird es nachflammen wie ein tiefes, immer tieferes Purpurrot, — die Röte der Scham. Und ganz in die Waſſertiefe wird die Knoſpe zuletzt hinabtauchen, den Schauer der unedeln Berührung in der heiligen Kryſtall¬ flut wieder von ſich abzuwaſchen.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/24>, abgerufen am 21.11.2024.