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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Wie der Schatz im Märchen liegt die menschliche Nackt¬
heit in solchem Bilde, aufgeschlossen für einen Göttermoment
und jäh versinkend vor dem geringsten profanen Wort. Für
das rinnende Licht, für den heiligen Segen der Zeugung taucht
sie auf einen Augenblick auf. Auf taucht sie, damit die Kinder¬
knospe sich von ihr ringe. Dem Munde des Kindes, dem
reinen, erschließt sie ihre unverhüllte Brust. Und dem Jubel¬
gebet der Hingabe an die ewige, sternenweite, dauernde Welt
gibt sie sich nackt, -- den reinen Sternen, von denen die
Billionenmeilenfernen des Raumes jede Trübe, jede Schlacke
gelöst ....

Der alte Foliant, den ich hierneben gelegt, stammt vom
Jahre 1606.

Es ist in Wahrheit ein altes Klosterexemplar.

Nachdem die Tierkunde wie alle Naturforschung lange im
Verdauungsschlaf gelegen, wachte sie im sechzehnten Jahrhundert
mit Nachdruck auf. Der Doktor Konrad Gesner zu Zürich
schrieb um des Säkulums Mitte ein Riesenwerk in gewichtigen
Folianten über Tierkunde, mit dem Fleiß des Polyhistors, aber
auch selbst umschauert vom Geiste schon einer neuen, gekräftigten
Zeit. Von diesem Monumentalwerke erschien wenig später ein
deutscher Auszug, der mit seiner derb volkstümlichen Sprache
heute als echter "Gesner" zitiert zu werden pflegt, obwohl
verschiedene deutsche Bearbeiter sich erst zwischen den und seinen
vornehmen Lateintext geschoben haben. Unser Band ist das
"Tierbuch", also die Säugetiere, verdeutscht von einem zweiten
Schweizer Doktor der Zeit, dem "Herrn Konrad Forer".
Köstlich die Holzschnitte, köstlich der Text. Es war in vielem
noch eine arge Fratzenwelt, was die Leute damals als "Tiere"
schauten. Gottes humoristisches Kabinet oder auch seine
Schreckenskammer, je nachdem. Wie eine gespenstische Prozession
aus der Arche kommt das Tiervolk daher. Mit den Gerüchten
vom Orang-Utan mischen sich noch die antiken Sagen von den
Satyrn -- Geyßmännlein hier genannt -- und die deutschen

Wie der Schatz im Märchen liegt die menſchliche Nackt¬
heit in ſolchem Bilde, aufgeſchloſſen für einen Göttermoment
und jäh verſinkend vor dem geringſten profanen Wort. Für
das rinnende Licht, für den heiligen Segen der Zeugung taucht
ſie auf einen Augenblick auf. Auf taucht ſie, damit die Kinder¬
knoſpe ſich von ihr ringe. Dem Munde des Kindes, dem
reinen, erſchließt ſie ihre unverhüllte Bruſt. Und dem Jubel¬
gebet der Hingabe an die ewige, ſternenweite, dauernde Welt
gibt ſie ſich nackt, — den reinen Sternen, von denen die
Billionenmeilenfernen des Raumes jede Trübe, jede Schlacke
gelöſt ....

Der alte Foliant, den ich hierneben gelegt, ſtammt vom
Jahre 1606.

Es iſt in Wahrheit ein altes Kloſterexemplar.

Nachdem die Tierkunde wie alle Naturforſchung lange im
Verdauungsſchlaf gelegen, wachte ſie im ſechzehnten Jahrhundert
mit Nachdruck auf. Der Doktor Konrad Gesner zu Zürich
ſchrieb um des Säkulums Mitte ein Rieſenwerk in gewichtigen
Folianten über Tierkunde, mit dem Fleiß des Polyhiſtors, aber
auch ſelbſt umſchauert vom Geiſte ſchon einer neuen, gekräftigten
Zeit. Von dieſem Monumentalwerke erſchien wenig ſpäter ein
deutſcher Auszug, der mit ſeiner derb volkstümlichen Sprache
heute als echter „Gesner“ zitiert zu werden pflegt, obwohl
verſchiedene deutſche Bearbeiter ſich erſt zwiſchen den und ſeinen
vornehmen Lateintext geſchoben haben. Unſer Band iſt das
„Tierbuch“, alſo die Säugetiere, verdeutſcht von einem zweiten
Schweizer Doktor der Zeit, dem „Herrn Konrad Forer“.
Köſtlich die Holzſchnitte, köſtlich der Text. Es war in vielem
noch eine arge Fratzenwelt, was die Leute damals als „Tiere“
ſchauten. Gottes humoriſtiſches Kabinet oder auch ſeine
Schreckenskammer, je nachdem. Wie eine geſpenſtiſche Prozeſſion
aus der Arche kommt das Tiervolk daher. Mit den Gerüchten
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[11/0025] Wie der Schatz im Märchen liegt die menſchliche Nackt¬ heit in ſolchem Bilde, aufgeſchloſſen für einen Göttermoment und jäh verſinkend vor dem geringſten profanen Wort. Für das rinnende Licht, für den heiligen Segen der Zeugung taucht ſie auf einen Augenblick auf. Auf taucht ſie, damit die Kinder¬ knoſpe ſich von ihr ringe. Dem Munde des Kindes, dem reinen, erſchließt ſie ihre unverhüllte Bruſt. Und dem Jubel¬ gebet der Hingabe an die ewige, ſternenweite, dauernde Welt gibt ſie ſich nackt, — den reinen Sternen, von denen die Billionenmeilenfernen des Raumes jede Trübe, jede Schlacke gelöſt .... Der alte Foliant, den ich hierneben gelegt, ſtammt vom Jahre 1606. Es iſt in Wahrheit ein altes Kloſterexemplar. Nachdem die Tierkunde wie alle Naturforſchung lange im Verdauungsſchlaf gelegen, wachte ſie im ſechzehnten Jahrhundert mit Nachdruck auf. Der Doktor Konrad Gesner zu Zürich ſchrieb um des Säkulums Mitte ein Rieſenwerk in gewichtigen Folianten über Tierkunde, mit dem Fleiß des Polyhiſtors, aber auch ſelbſt umſchauert vom Geiſte ſchon einer neuen, gekräftigten Zeit. Von dieſem Monumentalwerke erſchien wenig ſpäter ein deutſcher Auszug, der mit ſeiner derb volkstümlichen Sprache heute als echter „Gesner“ zitiert zu werden pflegt, obwohl verſchiedene deutſche Bearbeiter ſich erſt zwiſchen den und ſeinen vornehmen Lateintext geſchoben haben. Unſer Band iſt das „Tierbuch“, alſo die Säugetiere, verdeutſcht von einem zweiten Schweizer Doktor der Zeit, dem „Herrn Konrad Forer“. Köſtlich die Holzſchnitte, köſtlich der Text. Es war in vielem noch eine arge Fratzenwelt, was die Leute damals als „Tiere“ ſchauten. Gottes humoriſtiſches Kabinet oder auch ſeine Schreckenskammer, je nachdem. Wie eine geſpenſtiſche Prozeſſion aus der Arche kommt das Tiervolk daher. Mit den Gerüchten vom Orang-Utan miſchen ſich noch die antiken Sagen von den Satyrn — Geyßmännlein hier genannt — und die deutſchen

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/25>, abgerufen am 06.05.2024.