Waldschratte und Geister des "Hirselberges bei Isenach". Neben den Urochsen, die heute schon ausgestorben sind, trabt vergnüglich das Einhorn, das nie gelebt. Albrecht Dürer zeichnet nach fremder Überlieferung das Rinozeros hinein, zu Ornamentlinien stilisiert. Inmitten dieses lustigen Spuks aber nun auf Blatt 158 ein ganz absonderlicher Gast.
Als "Affenwolff oder Berwolff" wird er vorgestellt. Und dann heißt es von ihm: "Dieses Thier ist mit großem Wunder gen Augspurg gebracht und gezeigt worden deß 1551 jahrs. Wirt gefunden in den grossen einödinen deß Indianischen landß, gar selten. An seinen füssen hat es finger als der mensch, und so man jm deutet so keert er den arß dar ... Ist von natur freudig, vorauß gegen den Weiberen, gegen welchen es sein freudigkeit viel erzeigt."
Ein Blick auf das Bild und der eigentümliche Herr ist trotz der dreihundert Jahre Abstand legitimiert. Es ist der große Affe des Kongogebiets, den wir Mandrill nennen.
Wo der große Äquatorstrom, der für unsere Tage den alten Sagennil in der Romantik abgelöst hat, den dunklen Kontinent in kühnem Bogen durchquert, da hat im Urwald die Natur ihr Meisterstück geschaffen an grotesker Scheusäligkeit des Affentypus. Dem schutzlosen Menschenmädchen auf ein¬ samem Pfad stürzt sich ein meterlanger, stiernackiger, kurzbeiniger Gnom entgegen, der Kopf ungeheuerlich groß, das Gebiß fletschend, in den Armen eine herkulische Kraft, die es mit dem Panther aufnähme. Am Leibe dieses Waldschratts wechseln Behaarung und Nacktheit in einer Weise ab, daß der Eindruck des koboldhaft Scheußlichen erst auf den Gipfel gebracht wird.
Den größten Teil des Körpers deckt ein echtes affenhaftes Haarfell, meist schwarzgrün, bloß am Bauche heller und am spitzen Kinnbart, der fratzenhaft mit dem steil sich sträubenden Schopf kontrastiert, zitronengelb. Aber entblößt, offene Nackt¬ haut sind das Gesicht und sein Gegenpol, die rückwärtige und Geschlechtsgegend. Und gerade auf diese Nacktteile jetzt scheint
Waldſchratte und Geiſter des „Hirſelberges bei Iſenach“. Neben den Urochſen, die heute ſchon ausgeſtorben ſind, trabt vergnüglich das Einhorn, das nie gelebt. Albrecht Dürer zeichnet nach fremder Überlieferung das Rinozeros hinein, zu Ornamentlinien ſtiliſiert. Inmitten dieſes luſtigen Spuks aber nun auf Blatt 158 ein ganz abſonderlicher Gaſt.
Als „Affenwolff oder Berwolff“ wird er vorgeſtellt. Und dann heißt es von ihm: „Dieſes Thier iſt mit großem Wunder gen Augſpurg gebracht und gezeigt worden deß 1551 jahrs. Wirt gefunden in den groſſen einödinen deß Indianiſchen landß, gar ſelten. An ſeinen füſſen hat es finger als der menſch, und ſo man jm deutet ſo keert er den arß dar ... Iſt von natur freudig, vorauß gegen den Weiberen, gegen welchen es ſein freudigkeit viel erzeigt.“
Ein Blick auf das Bild und der eigentümliche Herr iſt trotz der dreihundert Jahre Abſtand legitimiert. Es iſt der große Affe des Kongogebiets, den wir Mandrill nennen.
Wo der große Äquatorſtrom, der für unſere Tage den alten Sagennil in der Romantik abgelöſt hat, den dunklen Kontinent in kühnem Bogen durchquert, da hat im Urwald die Natur ihr Meiſterſtück geſchaffen an grotesker Scheuſäligkeit des Affentypus. Dem ſchutzloſen Menſchenmädchen auf ein¬ ſamem Pfad ſtürzt ſich ein meterlanger, ſtiernackiger, kurzbeiniger Gnom entgegen, der Kopf ungeheuerlich groß, das Gebiß fletſchend, in den Armen eine herkuliſche Kraft, die es mit dem Panther aufnähme. Am Leibe dieſes Waldſchratts wechſeln Behaarung und Nacktheit in einer Weiſe ab, daß der Eindruck des koboldhaft Scheußlichen erſt auf den Gipfel gebracht wird.
Den größten Teil des Körpers deckt ein echtes affenhaftes Haarfell, meiſt ſchwarzgrün, bloß am Bauche heller und am ſpitzen Kinnbart, der fratzenhaft mit dem ſteil ſich ſträubenden Schopf kontraſtiert, zitronengelb. Aber entblößt, offene Nackt¬ haut ſind das Geſicht und ſein Gegenpol, die rückwärtige und Geſchlechtsgegend. Und gerade auf dieſe Nacktteile jetzt ſcheint
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Waldſchratte und Geiſter des „Hirſelberges bei Iſenach“.
Neben den Urochſen, die heute ſchon ausgeſtorben ſind, trabt
vergnüglich das Einhorn, das nie gelebt. Albrecht Dürer
zeichnet nach fremder Überlieferung das Rinozeros hinein, zu
Ornamentlinien ſtiliſiert. Inmitten dieſes luſtigen Spuks aber
nun auf Blatt 158 ein ganz abſonderlicher Gaſt.
Als „Affenwolff oder Berwolff“ wird er vorgeſtellt. Und
dann heißt es von ihm: „Dieſes Thier iſt mit großem Wunder
gen Augſpurg gebracht und gezeigt worden deß 1551 jahrs.
Wirt gefunden in den groſſen einödinen deß Indianiſchen
landß, gar ſelten. An ſeinen füſſen hat es finger als der
menſch, und ſo man jm deutet ſo keert er den arß dar ...
Iſt von natur freudig, vorauß gegen den Weiberen, gegen
welchen es ſein freudigkeit viel erzeigt.“
Ein Blick auf das Bild und der eigentümliche Herr iſt
trotz der dreihundert Jahre Abſtand legitimiert. Es iſt der
große Affe des Kongogebiets, den wir Mandrill nennen.
Wo der große Äquatorſtrom, der für unſere Tage den
alten Sagennil in der Romantik abgelöſt hat, den dunklen
Kontinent in kühnem Bogen durchquert, da hat im Urwald
die Natur ihr Meiſterſtück geſchaffen an grotesker Scheuſäligkeit
des Affentypus. Dem ſchutzloſen Menſchenmädchen auf ein¬
ſamem Pfad ſtürzt ſich ein meterlanger, ſtiernackiger, kurzbeiniger
Gnom entgegen, der Kopf ungeheuerlich groß, das Gebiß
fletſchend, in den Armen eine herkuliſche Kraft, die es mit dem
Panther aufnähme. Am Leibe dieſes Waldſchratts wechſeln
Behaarung und Nacktheit in einer Weiſe ab, daß der Eindruck
des koboldhaft Scheußlichen erſt auf den Gipfel gebracht wird.
Den größten Teil des Körpers deckt ein echtes affenhaftes
Haarfell, meiſt ſchwarzgrün, bloß am Bauche heller und am
ſpitzen Kinnbart, der fratzenhaft mit dem ſteil ſich ſträubenden
Schopf kontraſtiert, zitronengelb. Aber entblößt, offene Nackt¬
haut ſind das Geſicht und ſein Gegenpol, die rückwärtige und
Geſchlechtsgegend. Und gerade auf dieſe Nacktteile jetzt ſcheint
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/26>, abgerufen am 23.11.2024.
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