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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Lehren des Arztes Susruta, taucht der Embryo durch den
Kraftſtoß des Mannesſamens wie eine Lotosknoſpe unmittelbar
aus dem Menſtrualblut auf. Das kehrt wieder bei Ariſtoteles
und geht von dem in die Weisheit der arabiſchen Ärzte ein.

Bei Ariſtoteles iſt das weibliche Menſtrualblut der „Stoff“,
der Mannesſamen nur der Bewegungsanſtoß. Das Verhältnis
iſt wie bei Milch und Lab: die Milch giebt den Stoff, das
Lab den Stoß zum Gerinnen. Im Banne ſolcher Anſchauungen
wird die Logik in der Knotenzerhauung bei der Totemfrage
durchaus ſcharf: das Kind galt nur mit der Mutter als wirk¬
lich blutsverwandt und damit gehörte es fraglos in ihr
Totem.

Immerhin aber ergab ſich dieſes „Mutterrecht“ nicht an
ſich notwendig ſchon aus dem Totemismus und ſeiner Anti-
Inzucht ſelbſt. Für dieſen konnte rein ſozial auch das um¬
gekehrte Prinzip ebenſogut Geltung erlangen: alſo Übergang
der Frau und der Kinder durch die Ehe in das Totem des
Ehemanns. Wo trotz aller ſozialen Übergliederung die Ehe
in möglichſt feſter Form wirtſchaftlich ſich behauptete, da war
es ſogar aus rein praktiſchen Gründen doch näher liegend, daß
die Familie ſich dem Beſchützer, dem Manne, auch im Blutſinne
angliederte, alſo in ſein Totem übertrat wie in ſeine Ehegewalt.
Und ſo ſiehſt du in der That, wenn auch nicht bei den kon¬
ſervativen Irokeſen, ſo doch ſonſt das Mutterrecht ſich wieder
vielfältig vom Totemismus ablöſen, das „Vaterrecht“ erſetzt es
wie in jener Stelle des Äſchylus.

Gerade bei dieſem Übergang haben wir aber noch einmal
ein ſchlagendes Beiſpiel für die Richtigkeit der Annahme, daß
das ganze „Mutterrecht“ nicht auf einer beſonderen ſozialen
Urſtellung der Frau beruhte, ſondern lediglich auf einer ein¬
ſeitig mutterfreundlichen Embryologie.

Dieſe Embryologie war offenbar noch lange Zeiten hin¬
durch ſehr viel zäher als der Dichter mit ſeinen Götterurteilen
erwarten läßt.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/240>, abgerufen am 23.02.2025.