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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Die Embryologie Apollos bei Äſchylus:

„Nicht iſt die Mutter ihres Kindes Zeugerin,
Sie hegt und trägt das aufgeweckte Leben nur,“
entſprach in Äſchylus' Tagen allerdings einer gerade wechſelnden
Strömung der zeitgenöſſiſchen Schulmedizin: Hippokrates ver¬
trat wenig ſpäter mit Eifer die Behauptung, daß das weib¬
liche Menſtrualblut thatſächlich nichts mit der eigentlichen
Zeugung zu thun habe. Hippokrates ſelbſt näherte ſich mit
ſeiner eigenen Anſicht vom Sachverhalt ſtark ſchon unſerem
heutigen Wiſſen; ihm liefert das Weib zur Zeugung einen ſamen¬
artigen Beitrag genau wie der Mann, beide Beiträge treffen
ſich im Akt und beide ſind im ſtande, dem Kinde Ähnlichkeiten
zu übertragen, da ſie ſelber einen Extrakt aus allen Teilen des
elterlichen Körpers enthalten; in unſeren Tagen hat Darwin
ſogar den letzteren Zuſatz in ſeiner ebenſo berühmten, wie viel¬
befehdeten Pangeneſis-Theorie wieder aufgenommen. Etwas
von neuen Ideen dieſer Art hatte jedenfalls auch ſchon Äſchylus'
Apollo bei ſeinem embryologiſchen Plaidoyer läuten hören.

Anderswo aber, wo die Medizin keineswegs ſo gefällig
entgegenkam, wurde ein ganz anderer, viel verwickelterer Aus¬
weg probiert vom Moment an, da das Vaterrecht praktiſch
erwünſchter ſchien. Wieder einmal wie bei jenen unheimlichen
Näh- und Schneidekunſtſtücken wurde probiert, der Natur nach¬
träglich die Sache aufzuzwängen.

Konnte der Vater nicht künſtlich dem Kinde blutsverwandt
gemacht werden?

Das Schlichteſte wäre ja ein einfacher Rechtsakt geweſen:
der Vater adoptierte ſein eigenes Kind für ſein Totem. Cere¬
monien dieſer Art findeſt du in der That bei höheren Kultur¬
völkern, z. B. bei den Römern, noch in deutlich ſichtbaren Reſten
geſchichtlich vor. Aber die realiſtiſche Phantaſie des natur¬
näheren Menſchen begnügte ſich noch nicht mit ſolchem Ver¬
ſtandesakt. Ihm mußte etwas hinein, das wirklich einigermaßen
auf „Fleiſch und Blut“ ging. Wie, wenn man den Vater

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/241>, abgerufen am 23.02.2025.