bedürftige Amphibieneier. Das Rätlichste wäre ja, gleich ins Wasser damit zu gehen. Gerade die Lebensart dieser Kröten scheint aber bereits eine Anpassung an zeitweisen Wassermangel zu enthalten. So gräbt sich unser Vater mit der süßen Bürde erst anderthalb Wochen in die feuchte Erde, oder er hüpft von Zeit zu Zeit unter nassem Grase hindurch. Inzwischen reifen in den Eiern die Kaulquäppchen. Und eines Tages bietet sich nun doch dem Wandernden ein Tümpel, er taucht, und das kleine geschwänzte Volk löst sich von seiner Wiege, um den Rest seiner Entwickelung nach gemeiner Froschart nun frei im Wasser zu vollenden. Erst das fertige Krötlein wirft den Ruderschwanz wieder ab und klettert ans Land.
Ganz deutlich fühlt man durch: die Geschichte ist hier eine uralte Reiseanpassung. Die Liebe vollzog sich fern vom Wasser. Eine Reise mußte sich erst dazwischen schieben. Ohne diesen Dienst des Vaters als Paketbriefträger der köstlichen Fracht wären die Eier elendiglich in der Wüste liegen geblieben und verdorrt. Heute machen das uralt Erworbene die Enkel auto¬ matisch nach, wenn auch Tümpel ganz in der Nähe sind. Sie ist ein Stück versteinerter Urweltsnotwendigkeit, diese Kröte, das Monument einer bangen Stunde fern vom rettenden Kinder¬ teich. Aber wie seltsam, daß der Vater gerade der Retter, der Postbote geworden ist!
Unsere brave Geburtshelferkröte ist aber nur erst wieder eine schlichte Anfängerin gegen die Nasenkröte Chiles, die nach Darwin benannt ist: die Rhinoderma Darwinii.
Es ist ein ganz kleines, schwärzliches Ungetüm, durch Haut¬ lappen an der Nase selbst innerhalb des Krötenideals besonders häßlich. Ein Naturforscher greift das Tier auf und findet es an der Unterseite merkwürdig geschwollen. Er schlitzt ihm den Bauch auf, und aus einer hohlen Trommel, die alle Eingeweide nach oben gequetscht hat und fast den ganzen Raum allein füllt, quellen ihm ein Dutzend fertig entwickelter junger Kröten ent¬ gegen. Also vermutet er ein Weibchen und glaubt den höchst
bedürftige Amphibieneier. Das Rätlichſte wäre ja, gleich ins Waſſer damit zu gehen. Gerade die Lebensart dieſer Kröten ſcheint aber bereits eine Anpaſſung an zeitweiſen Waſſermangel zu enthalten. So gräbt ſich unſer Vater mit der ſüßen Bürde erſt anderthalb Wochen in die feuchte Erde, oder er hüpft von Zeit zu Zeit unter naſſem Graſe hindurch. Inzwiſchen reifen in den Eiern die Kaulquäppchen. Und eines Tages bietet ſich nun doch dem Wandernden ein Tümpel, er taucht, und das kleine geſchwänzte Volk löſt ſich von ſeiner Wiege, um den Reſt ſeiner Entwickelung nach gemeiner Froſchart nun frei im Waſſer zu vollenden. Erſt das fertige Krötlein wirft den Ruderſchwanz wieder ab und klettert ans Land.
Ganz deutlich fühlt man durch: die Geſchichte iſt hier eine uralte Reiſeanpaſſung. Die Liebe vollzog ſich fern vom Waſſer. Eine Reiſe mußte ſich erſt dazwiſchen ſchieben. Ohne dieſen Dienſt des Vaters als Paketbriefträger der köſtlichen Fracht wären die Eier elendiglich in der Wüſte liegen geblieben und verdorrt. Heute machen das uralt Erworbene die Enkel auto¬ matiſch nach, wenn auch Tümpel ganz in der Nähe ſind. Sie iſt ein Stück verſteinerter Urweltsnotwendigkeit, dieſe Kröte, das Monument einer bangen Stunde fern vom rettenden Kinder¬ teich. Aber wie ſeltſam, daß der Vater gerade der Retter, der Poſtbote geworden iſt!
Unſere brave Geburtshelferkröte iſt aber nur erſt wieder eine ſchlichte Anfängerin gegen die Naſenkröte Chiles, die nach Darwin benannt iſt: die Rhinoderma Darwinii.
Es iſt ein ganz kleines, ſchwärzliches Ungetüm, durch Haut¬ lappen an der Naſe ſelbſt innerhalb des Krötenideals beſonders häßlich. Ein Naturforſcher greift das Tier auf und findet es an der Unterſeite merkwürdig geſchwollen. Er ſchlitzt ihm den Bauch auf, und aus einer hohlen Trommel, die alle Eingeweide nach oben gequetſcht hat und faſt den ganzen Raum allein füllt, quellen ihm ein Dutzend fertig entwickelter junger Kröten ent¬ gegen. Alſo vermutet er ein Weibchen und glaubt den höchſt
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bedürftige Amphibieneier. Das Rätlichſte wäre ja, gleich ins
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ſcheint aber bereits eine Anpaſſung an zeitweiſen Waſſermangel
zu enthalten. So gräbt ſich unſer Vater mit der ſüßen Bürde
erſt anderthalb Wochen in die feuchte Erde, oder er hüpft von
Zeit zu Zeit unter naſſem Graſe hindurch. Inzwiſchen reifen
in den Eiern die Kaulquäppchen. Und eines Tages bietet ſich
nun doch dem Wandernden ein Tümpel, er taucht, und das
kleine geſchwänzte Volk löſt ſich von ſeiner Wiege, um den Reſt
ſeiner Entwickelung nach gemeiner Froſchart nun frei im Waſſer
zu vollenden. Erſt das fertige Krötlein wirft den Ruderſchwanz
wieder ab und klettert ans Land.
Ganz deutlich fühlt man durch: die Geſchichte iſt hier eine
uralte Reiſeanpaſſung. Die Liebe vollzog ſich fern vom Waſſer.
Eine Reiſe mußte ſich erſt dazwiſchen ſchieben. Ohne dieſen
Dienſt des Vaters als Paketbriefträger der köſtlichen Fracht
wären die Eier elendiglich in der Wüſte liegen geblieben und
verdorrt. Heute machen das uralt Erworbene die Enkel auto¬
matiſch nach, wenn auch Tümpel ganz in der Nähe ſind. Sie
iſt ein Stück verſteinerter Urweltsnotwendigkeit, dieſe Kröte,
das Monument einer bangen Stunde fern vom rettenden Kinder¬
teich. Aber wie ſeltſam, daß der Vater gerade der Retter, der
Poſtbote geworden iſt!
Unſere brave Geburtshelferkröte iſt aber nur erſt wieder
eine ſchlichte Anfängerin gegen die Naſenkröte Chiles, die nach
Darwin benannt iſt: die Rhinoderma Darwinii.
Es iſt ein ganz kleines, ſchwärzliches Ungetüm, durch Haut¬
lappen an der Naſe ſelbſt innerhalb des Krötenideals beſonders
häßlich. Ein Naturforſcher greift das Tier auf und findet es
an der Unterſeite merkwürdig geſchwollen. Er ſchlitzt ihm den
Bauch auf, und aus einer hohlen Trommel, die alle Eingeweide
nach oben gequetſcht hat und faſt den ganzen Raum allein füllt,
quellen ihm ein Dutzend fertig entwickelter junger Kröten ent¬
gegen. Alſo vermutet er ein Weibchen und glaubt den höchſt
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/246>, abgerufen am 27.07.2024.
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