wickeln und die Mutter dabei ihre Eier dem Vater direkt auf den Leib legt. Die Hauttasche hebt alsbald ihre Ränder schützend darüber, und -- die Mutter ist guter Dinge, denn ihre Mühe ist vorbei, der Vater aber hat fortan die ganze Last buchstäblich am Halse. Er muß die süße Bürde tragen, bis jedes Ei sich zu einem niedlichen Seefüllen ausgewachsen hat; erst diese verlassen durch eine kleine Öffnung probeweise den Beutel und suchen endlich, kühn geworden, ganz das Weite.
Natürlich bedeutet die Schwangerschaft für den Vater hier eine wahre Belastungszeit, genau wie sonst für die Mutter. Und es giebt andere, schon etwas höher stehende Tiere, denen die gleiche Vaterpflicht auferlegt ist und die wirklich durch diese unerhörte Erschwerung des Vaterberufs zu einer regelrechten Zeit des Exils und der Askese verurteilt werden.
Was das Seepferd zuerst vormacht, das treiben nämlich gewisse Kröten sozusagen im Großen, und mit der Dimension wachsen die Folgen ins Unheimliche.
Auf der roten Erde Westfalens haust ein kleiner Lurch, der wohl der spaßhafteste seines ganzen Geschlechts in Europa ist: die Geburtshelferkröte. Ihr Name hängt mit der Mission des Männchens zusammen. Diese kleinen grauen Krötenmänn¬ lein sind in der Liebeszeit hitzige Gesellen, die tolle Balgereien miteinander um den Besitz einer Krötenprinzessin vollführen. Ist aber endlich der Bund geschlossen, so bietet der Vater in treuester Hingabe seinen Rücken als "Bauch" dar. Es wächst ihm jedoch keine Tasche wie dem Seepferdchen. In langer Schnur haben die Eier nach Krötenbrauch das Licht der Welt erblickt. Diese Schnur wickelt sich der Krötenvater kunstvoll um die Oberschenkel und zieht mit der offenen Bürde zunächst ab. Die strenge Naturgeschichte verschweigt nicht, daß bei Mangel an Vätern bisweilen ein und derselbe Krötenprinz das Liebes¬ angebinde von drei Prinzessinen zugleich fortschleppt.
Mit dem Schleppen ist es aber nicht allein gethan. Die Eier müssen feucht erhalten werden, denn es sind wasser¬
wickeln und die Mutter dabei ihre Eier dem Vater direkt auf den Leib legt. Die Hauttaſche hebt alsbald ihre Ränder ſchützend darüber, und — die Mutter iſt guter Dinge, denn ihre Mühe iſt vorbei, der Vater aber hat fortan die ganze Laſt buchſtäblich am Halſe. Er muß die ſüße Bürde tragen, bis jedes Ei ſich zu einem niedlichen Seefüllen ausgewachſen hat; erſt dieſe verlaſſen durch eine kleine Öffnung probeweiſe den Beutel und ſuchen endlich, kühn geworden, ganz das Weite.
Natürlich bedeutet die Schwangerſchaft für den Vater hier eine wahre Belaſtungszeit, genau wie ſonſt für die Mutter. Und es giebt andere, ſchon etwas höher ſtehende Tiere, denen die gleiche Vaterpflicht auferlegt iſt und die wirklich durch dieſe unerhörte Erſchwerung des Vaterberufs zu einer regelrechten Zeit des Exils und der Askeſe verurteilt werden.
Was das Seepferd zuerſt vormacht, das treiben nämlich gewiſſe Kröten ſozuſagen im Großen, und mit der Dimenſion wachſen die Folgen ins Unheimliche.
Auf der roten Erde Weſtfalens hauſt ein kleiner Lurch, der wohl der ſpaßhafteſte ſeines ganzen Geſchlechts in Europa iſt: die Geburtshelferkröte. Ihr Name hängt mit der Miſſion des Männchens zuſammen. Dieſe kleinen grauen Krötenmänn¬ lein ſind in der Liebeszeit hitzige Geſellen, die tolle Balgereien miteinander um den Beſitz einer Krötenprinzeſſin vollführen. Iſt aber endlich der Bund geſchloſſen, ſo bietet der Vater in treueſter Hingabe ſeinen Rücken als „Bauch“ dar. Es wächſt ihm jedoch keine Taſche wie dem Seepferdchen. In langer Schnur haben die Eier nach Krötenbrauch das Licht der Welt erblickt. Dieſe Schnur wickelt ſich der Krötenvater kunſtvoll um die Oberſchenkel und zieht mit der offenen Bürde zunächſt ab. Die ſtrenge Naturgeſchichte verſchweigt nicht, daß bei Mangel an Vätern bisweilen ein und derſelbe Krötenprinz das Liebes¬ angebinde von drei Prinzeſſinen zugleich fortſchleppt.
Mit dem Schleppen iſt es aber nicht allein gethan. Die Eier müſſen feucht erhalten werden, denn es ſind waſſer¬
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wickeln und die Mutter dabei ihre Eier dem Vater direkt auf
den Leib legt. Die Hauttaſche hebt alsbald ihre Ränder
ſchützend darüber, und — die Mutter iſt guter Dinge, denn
ihre Mühe iſt vorbei, der Vater aber hat fortan die ganze
Laſt buchſtäblich am Halſe. Er muß die ſüße Bürde tragen,
bis jedes Ei ſich zu einem niedlichen Seefüllen ausgewachſen
hat; erſt dieſe verlaſſen durch eine kleine Öffnung probeweiſe
den Beutel und ſuchen endlich, kühn geworden, ganz das Weite.
Natürlich bedeutet die Schwangerſchaft für den Vater hier
eine wahre Belaſtungszeit, genau wie ſonſt für die Mutter.
Und es giebt andere, ſchon etwas höher ſtehende Tiere, denen
die gleiche Vaterpflicht auferlegt iſt und die wirklich durch dieſe
unerhörte Erſchwerung des Vaterberufs zu einer regelrechten
Zeit des Exils und der Askeſe verurteilt werden.
Was das Seepferd zuerſt vormacht, das treiben nämlich
gewiſſe Kröten ſozuſagen im Großen, und mit der Dimenſion
wachſen die Folgen ins Unheimliche.
Auf der roten Erde Weſtfalens hauſt ein kleiner Lurch,
der wohl der ſpaßhafteſte ſeines ganzen Geſchlechts in Europa
iſt: die Geburtshelferkröte. Ihr Name hängt mit der Miſſion
des Männchens zuſammen. Dieſe kleinen grauen Krötenmänn¬
lein ſind in der Liebeszeit hitzige Geſellen, die tolle Balgereien
miteinander um den Beſitz einer Krötenprinzeſſin vollführen.
Iſt aber endlich der Bund geſchloſſen, ſo bietet der Vater in
treueſter Hingabe ſeinen Rücken als „Bauch“ dar. Es wächſt
ihm jedoch keine Taſche wie dem Seepferdchen. In langer
Schnur haben die Eier nach Krötenbrauch das Licht der Welt
erblickt. Dieſe Schnur wickelt ſich der Krötenvater kunſtvoll
um die Oberſchenkel und zieht mit der offenen Bürde zunächſt
ab. Die ſtrenge Naturgeſchichte verſchweigt nicht, daß bei Mangel
an Vätern bisweilen ein und derſelbe Krötenprinz das Liebes¬
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Mit dem Schleppen iſt es aber nicht allein gethan. Die
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/245>, abgerufen am 23.02.2025.
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