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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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zitternde Kreise werfen. Der Mensch hat geistige Kindermöglich¬
keiten. Wenn sein Gehirn gesund, seine Lunge aber krank ist, so
soll er mit dem Gehirn zeugen und die Nachwelt wird es ihm
danken, aber er soll nicht körperliche Krüppel zu ihrer eigenen
Qual erzeugen, die seine Lunge erben. Für diese Fälle hat
die Konzeptionsverhütung einen heiligen Sinn als Willensthat
des Menschen genau so wie ihn die Schutzmittel in der Blüte
gegen Selbstbefruchtung hatten.

Aber es zeigt sich auch hier sofort wieder, wohin die Ent¬
scheidung über den Gebrauch dieses zweischneidigen Schwertes
gehört: in die Hand des Arztes. Es gehört in die Hand des
reifen Menschen, der die große innere Erleuchtung gehabt hat,
da der Begriff der Menschheit ihm als ein religiöses Moment
aufgegangen ist. Dieser Mensch wird neben der negativen
Pflicht stets auch die andere, positive sehen: nämlich daß es
Pflicht jedes gesunden Mannes, jedes gesunden Weibes ist,
den ganzen Liebesweg der Natur mitzugehen bis zum wirklichen
Kinderzeugen, genau so große, genau so heilige, genau so un¬
umgängliche Pflicht. In die Hand dieses Menschen kannst du ge¬
trost das Arkanum legen, das unsere Wissenschaft heute noch gar
nicht besitzt: nämlich ein absolut sicheres Konzeptionshemmungs¬
mittel für alle Fälle, und du hast die Sicherheit, daß er es
nicht mißbrauchen wird.

Das von der hohen Warte aus. Aber diese Warte ist
ein Schluß der Menschheit, nicht ein Anfang. Der Anfang
mußte auch hier ein mehr oder minder wüstes Experimentieren
sein, mit allerhand Möglichkeiten und Gefahren.

Die eine Seite menschlichen Spintisierens war dabei ziem¬
lich harmlos. Sie hatte etwas vom Suchen nach dem Stein
der Weisen an sich. Man forschte nach irgend einem Medika¬
ment, das absolut konzeptionssicher machen sollte, wie man
anderswo ein Geheimmittel erstrebte, das kugelfest in der
Schlacht machen könnte. Diese Versuche, unendlich variiert, sind
doch alle resultatlos verlaufen. Die Philosophie mischte sich

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zitternde Kreiſe werfen. Der Menſch hat geiſtige Kindermöglich¬
keiten. Wenn ſein Gehirn geſund, ſeine Lunge aber krank iſt, ſo
ſoll er mit dem Gehirn zeugen und die Nachwelt wird es ihm
danken, aber er ſoll nicht körperliche Krüppel zu ihrer eigenen
Qual erzeugen, die ſeine Lunge erben. Für dieſe Fälle hat
die Konzeptionsverhütung einen heiligen Sinn als Willensthat
des Menſchen genau ſo wie ihn die Schutzmittel in der Blüte
gegen Selbſtbefruchtung hatten.

Aber es zeigt ſich auch hier ſofort wieder, wohin die Ent¬
ſcheidung über den Gebrauch dieſes zweiſchneidigen Schwertes
gehört: in die Hand des Arztes. Es gehört in die Hand des
reifen Menſchen, der die große innere Erleuchtung gehabt hat,
da der Begriff der Menſchheit ihm als ein religiöſes Moment
aufgegangen iſt. Dieſer Menſch wird neben der negativen
Pflicht ſtets auch die andere, poſitive ſehen: nämlich daß es
Pflicht jedes geſunden Mannes, jedes geſunden Weibes iſt,
den ganzen Liebesweg der Natur mitzugehen bis zum wirklichen
Kinderzeugen, genau ſo große, genau ſo heilige, genau ſo un¬
umgängliche Pflicht. In die Hand dieſes Menſchen kannſt du ge¬
troſt das Arkanum legen, das unſere Wiſſenſchaft heute noch gar
nicht beſitzt: nämlich ein abſolut ſicheres Konzeptionshemmungs¬
mittel für alle Fälle, und du haſt die Sicherheit, daß er es
nicht mißbrauchen wird.

Das von der hohen Warte aus. Aber dieſe Warte iſt
ein Schluß der Menſchheit, nicht ein Anfang. Der Anfang
mußte auch hier ein mehr oder minder wüſtes Experimentieren
ſein, mit allerhand Möglichkeiten und Gefahren.

Die eine Seite menſchlichen Spintiſierens war dabei ziem¬
lich harmlos. Sie hatte etwas vom Suchen nach dem Stein
der Weiſen an ſich. Man forſchte nach irgend einem Medika¬
ment, das abſolut konzeptionsſicher machen ſollte, wie man
anderswo ein Geheimmittel erſtrebte, das kugelfeſt in der
Schlacht machen könnte. Dieſe Verſuche, unendlich variiert, ſind
doch alle reſultatlos verlaufen. Die Philoſophie miſchte ſich

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[257/0271] zitternde Kreiſe werfen. Der Menſch hat geiſtige Kindermöglich¬ keiten. Wenn ſein Gehirn geſund, ſeine Lunge aber krank iſt, ſo ſoll er mit dem Gehirn zeugen und die Nachwelt wird es ihm danken, aber er ſoll nicht körperliche Krüppel zu ihrer eigenen Qual erzeugen, die ſeine Lunge erben. Für dieſe Fälle hat die Konzeptionsverhütung einen heiligen Sinn als Willensthat des Menſchen genau ſo wie ihn die Schutzmittel in der Blüte gegen Selbſtbefruchtung hatten. Aber es zeigt ſich auch hier ſofort wieder, wohin die Ent¬ ſcheidung über den Gebrauch dieſes zweiſchneidigen Schwertes gehört: in die Hand des Arztes. Es gehört in die Hand des reifen Menſchen, der die große innere Erleuchtung gehabt hat, da der Begriff der Menſchheit ihm als ein religiöſes Moment aufgegangen iſt. Dieſer Menſch wird neben der negativen Pflicht ſtets auch die andere, poſitive ſehen: nämlich daß es Pflicht jedes geſunden Mannes, jedes geſunden Weibes iſt, den ganzen Liebesweg der Natur mitzugehen bis zum wirklichen Kinderzeugen, genau ſo große, genau ſo heilige, genau ſo un¬ umgängliche Pflicht. In die Hand dieſes Menſchen kannſt du ge¬ troſt das Arkanum legen, das unſere Wiſſenſchaft heute noch gar nicht beſitzt: nämlich ein abſolut ſicheres Konzeptionshemmungs¬ mittel für alle Fälle, und du haſt die Sicherheit, daß er es nicht mißbrauchen wird. Das von der hohen Warte aus. Aber dieſe Warte iſt ein Schluß der Menſchheit, nicht ein Anfang. Der Anfang mußte auch hier ein mehr oder minder wüſtes Experimentieren ſein, mit allerhand Möglichkeiten und Gefahren. Die eine Seite menſchlichen Spintiſierens war dabei ziem¬ lich harmlos. Sie hatte etwas vom Suchen nach dem Stein der Weiſen an ſich. Man forſchte nach irgend einem Medika¬ ment, das abſolut konzeptionsſicher machen ſollte, wie man anderswo ein Geheimmittel erſtrebte, das kugelfeſt in der Schlacht machen könnte. Dieſe Verſuche, unendlich variiert, ſind doch alle reſultatlos verlaufen. Die Philoſophie miſchte ſich 17

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/271>, abgerufen am 21.11.2024.