Anätzungen der Ehe durch das Soziale merkbar werden im Sinne dessen, was ich dir früher erzählt habe. Aber immer fehlt der Beweis, daß es sich auch dabei um Reste eines schon einmal in Urtagen voll erfochtenen Sieges und nicht viel mehr um kleine Ansätze und gelegentliche Versuche bloß zu solchem Siege handle.
[Abbildung]
Da ist das berühmte jus primae noctis. Es ist mit so viel Sagen und Fabeln umgeben, daß seine wahre Geschichte zur Zeit noch gar nicht erzählt werden kann. Nur der Ideen¬ kern sei dargelegt.
Gehen wir an die Sache mit einem modernen Bilde, statt ein Kapitel aus alten Ritterromanen zu erzählen. In einem großen Warenhause einer modernen Weltstadt befinden sich ein Chef und so und so viele Verkäuferinnen, sorgsam zusammen¬ gesuchte hübsche Mädchen. Diese Mädchen mögen ihre privaten Liebschaften haben. Aber es ist hergebracht, ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, daß der Chef sie vorher einmal verführt, einmal besessen hat. Es ist sein Chefrecht, das auch hier ge¬ wahrt bleibt. Der Fall ist leider nicht aus der Luft gegriffen. In dieser losen Form ist das "Recht auf die erste Nacht" (jus primae noctis) zweifellos in der Menschheit immer wieder aufgetaucht und geübt worden, so lange es "Chefs" giebt, -- setze dir an Stelle des Warenhauswortes nur ein Dutzend nahe liegende andere.
Inwieweit dieses ungeschriebene Gewaltrecht in näheren oder ganz grauen Tagen ein faktisches "Recht" gewesen sei, also etwa der Gutsherr oder Ritter von seinen Bauern amt¬ lich fordern konnte, daß man ihm die Blüte der Braut opfere, wenn er nicht dem untergebenen Paare einfach den Heirats¬
Anätzungen der Ehe durch das Soziale merkbar werden im Sinne deſſen, was ich dir früher erzählt habe. Aber immer fehlt der Beweis, daß es ſich auch dabei um Reſte eines ſchon einmal in Urtagen voll erfochtenen Sieges und nicht viel mehr um kleine Anſätze und gelegentliche Verſuche bloß zu ſolchem Siege handle.
[Abbildung]
Da iſt das berühmte jus primae noctis. Es iſt mit ſo viel Sagen und Fabeln umgeben, daß ſeine wahre Geſchichte zur Zeit noch gar nicht erzählt werden kann. Nur der Ideen¬ kern ſei dargelegt.
Gehen wir an die Sache mit einem modernen Bilde, ſtatt ein Kapitel aus alten Ritterromanen zu erzählen. In einem großen Warenhauſe einer modernen Weltſtadt befinden ſich ein Chef und ſo und ſo viele Verkäuferinnen, ſorgſam zuſammen¬ geſuchte hübſche Mädchen. Dieſe Mädchen mögen ihre privaten Liebſchaften haben. Aber es iſt hergebracht, ein ungeſchriebenes Gewohnheitsrecht, daß der Chef ſie vorher einmal verführt, einmal beſeſſen hat. Es iſt ſein Chefrecht, das auch hier ge¬ wahrt bleibt. Der Fall iſt leider nicht aus der Luft gegriffen. In dieſer loſen Form iſt das „Recht auf die erſte Nacht“ (jus primae noctis) zweifellos in der Menſchheit immer wieder aufgetaucht und geübt worden, ſo lange es „Chefs“ giebt, — ſetze dir an Stelle des Warenhauswortes nur ein Dutzend nahe liegende andere.
Inwieweit dieſes ungeſchriebene Gewaltrecht in näheren oder ganz grauen Tagen ein faktiſches „Recht“ geweſen ſei, alſo etwa der Gutsherr oder Ritter von ſeinen Bauern amt¬ lich fordern konnte, daß man ihm die Blüte der Braut opfere, wenn er nicht dem untergebenen Paare einfach den Heirats¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0288"n="274"/>
Anätzungen der Ehe durch das Soziale merkbar werden im<lb/>
Sinne deſſen, was ich dir früher erzählt habe. Aber immer<lb/>
fehlt der Beweis, daß es ſich auch dabei um Reſte eines<lb/>ſchon einmal in Urtagen voll erfochtenen Sieges und nicht viel<lb/>
mehr um kleine Anſätze und gelegentliche Verſuche bloß zu<lb/>ſolchem Siege handle.</p><lb/><figure/><p>Da iſt das berühmte <hirendition="#aq">jus primae noctis</hi>. Es iſt mit ſo<lb/>
viel Sagen und Fabeln umgeben, daß ſeine wahre Geſchichte<lb/>
zur Zeit noch gar nicht erzählt werden kann. Nur der Ideen¬<lb/>
kern ſei dargelegt.</p><lb/><p>Gehen wir an die Sache mit einem modernen Bilde, ſtatt<lb/>
ein Kapitel aus alten Ritterromanen zu erzählen. In einem<lb/>
großen Warenhauſe einer modernen Weltſtadt befinden ſich<lb/>
ein Chef und ſo und ſo viele Verkäuferinnen, ſorgſam zuſammen¬<lb/>
geſuchte hübſche Mädchen. Dieſe Mädchen mögen ihre privaten<lb/>
Liebſchaften haben. Aber es iſt hergebracht, ein ungeſchriebenes<lb/>
Gewohnheitsrecht, daß der Chef ſie vorher einmal verführt,<lb/>
einmal beſeſſen hat. Es iſt ſein Chefrecht, das auch hier ge¬<lb/>
wahrt bleibt. Der Fall iſt leider nicht aus der Luft gegriffen.<lb/>
In dieſer loſen Form iſt das „Recht auf die erſte Nacht“<lb/>
(<hirendition="#aq">jus primae noctis</hi>) zweifellos in der Menſchheit immer wieder<lb/>
aufgetaucht und geübt worden, ſo lange es „Chefs“ giebt, —<lb/>ſetze dir an Stelle des Warenhauswortes nur ein Dutzend<lb/>
nahe liegende andere.</p><lb/><p>Inwieweit dieſes ungeſchriebene Gewaltrecht in näheren<lb/>
oder ganz grauen Tagen ein faktiſches „Recht“ geweſen ſei,<lb/>
alſo etwa der Gutsherr oder Ritter von ſeinen Bauern amt¬<lb/>
lich fordern konnte, daß man ihm die Blüte der Braut opfere,<lb/>
wenn er nicht dem untergebenen Paare einfach den Heirats¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[274/0288]
Anätzungen der Ehe durch das Soziale merkbar werden im
Sinne deſſen, was ich dir früher erzählt habe. Aber immer
fehlt der Beweis, daß es ſich auch dabei um Reſte eines
ſchon einmal in Urtagen voll erfochtenen Sieges und nicht viel
mehr um kleine Anſätze und gelegentliche Verſuche bloß zu
ſolchem Siege handle.
[Abbildung]
Da iſt das berühmte jus primae noctis. Es iſt mit ſo
viel Sagen und Fabeln umgeben, daß ſeine wahre Geſchichte
zur Zeit noch gar nicht erzählt werden kann. Nur der Ideen¬
kern ſei dargelegt.
Gehen wir an die Sache mit einem modernen Bilde, ſtatt
ein Kapitel aus alten Ritterromanen zu erzählen. In einem
großen Warenhauſe einer modernen Weltſtadt befinden ſich
ein Chef und ſo und ſo viele Verkäuferinnen, ſorgſam zuſammen¬
geſuchte hübſche Mädchen. Dieſe Mädchen mögen ihre privaten
Liebſchaften haben. Aber es iſt hergebracht, ein ungeſchriebenes
Gewohnheitsrecht, daß der Chef ſie vorher einmal verführt,
einmal beſeſſen hat. Es iſt ſein Chefrecht, das auch hier ge¬
wahrt bleibt. Der Fall iſt leider nicht aus der Luft gegriffen.
In dieſer loſen Form iſt das „Recht auf die erſte Nacht“
(jus primae noctis) zweifellos in der Menſchheit immer wieder
aufgetaucht und geübt worden, ſo lange es „Chefs“ giebt, —
ſetze dir an Stelle des Warenhauswortes nur ein Dutzend
nahe liegende andere.
Inwieweit dieſes ungeſchriebene Gewaltrecht in näheren
oder ganz grauen Tagen ein faktiſches „Recht“ geweſen ſei,
alſo etwa der Gutsherr oder Ritter von ſeinen Bauern amt¬
lich fordern konnte, daß man ihm die Blüte der Braut opfere,
wenn er nicht dem untergebenen Paare einfach den Heirats¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/288>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.